Wissen in Organisationen braucht Führung, nicht Management

Jochen Adler
Arbeiten im Netzwerk
3 min readFeb 4, 2015

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Wissensmanagement ist so 1990er…

Als Berater für Organisationen, die die Vernetzung ihrer Belegschaften zum Wettbewerbsvorteil machen wollen, komme ich sehr häufig mit dem Begriff “Wissensmanagement” in Berührung, in Gesprächen, auf Visitenkarten und Konferenzprogrammen. Und irgendetwas daran fühlt sich falsch an. Jedes Mal. Hier versuche ich, zu erklären, was das ist.

Wissen und Information

Ich will nicht lange theoretisch ausschweifen, aber kurz klarmachen, dass allein die Beschäftigung mit dem Begriff Wissen in diesem Zusammenhang Bände spricht. Wissen ist nämlich etwas wesentlich Komplizierteres, aber auch wesentlich Wertvolleres als reine Information, wie beispielsweise die deutsche UNESCO-Kommission feststellt:

Die UNESCO zieht den Begriff der Wissensgesellschaften dem der Informationsgesellschaft vor. Sie legt den Schwerpunkt damit bewusst auf Bildung und Entwicklung und bezieht eine ethische, soziale und politische Perspektive ein. Der Begriff der Informationsgesellschaft hingegen ist technisch geprägt und legt den Akzent nur auf das Mittel; die Bereitstellung von Information allein ist nur eine Voraussetzung für den Wissenserwerb.

Nun bin ich von Hause aus Informatiker, kenne mich also mit technischen Lösungen zur Informationsverarbeitung ganz gut aus: Software, Datenbanken, Betriebssysteme, Speichermedien, Netzwerke. Wie die UNESCO schon mit ihrer Definition andeutet, sind aber ganz andere Dinge entscheidend, wenn ein Wissensvorsprung auch zum nachhaltigen Wettbewerbsvorteil werden soll: die Verbindung zur Praxis, die erfolgreiche Anwendung, Experimente und die resultierende Erfahrung und Expertise, ständiges Lernen, die neue Kombination althergebrachter Informationen, ein regelmäßiger Wechsel der Perspektiven, die Weitergabe und das Teilen von Wissen im Netzwerk kluger Köpfe.

Management und Führung

Wer Wissen zum Wettbewerbsvorteil machen will, braucht dann also ein konsequentes Wissensmanagement, oder? Ich bin nicht sicher.

Mir käme in diesem Zusammenhang eher der Begriff der Führung in den Sinn als der Begriff Management. Am Unterschied haben sich Autoren schon oft abgearbeitet, was beispielsweise auch dieser sehr lesenswerte Kurz-Artikel im Wall Street Journal unterstreicht:

The manager’s job is to plan, organize and coordinate. The leader’s job is to inspire and motivate.

Wissen braucht Führung

Wie oft habe ich dann auch die entsprechenden Management-Phrasen schon gehört: Wir wollen Innovationsführer werden! Wir werden die Gewinner der digitalen Transformation! Wir wollen Silos aufbrechen, transparenter zusammenarbeiten, den Wissensaustausch fördern, ja, sogar gleich arbeiten wie ein Netzwerk.

Und hiermit kommen wir zur Pointe: Informationen kann man managen. Zur Nutzung und zur Weitergabe von Wissen in einer Organisation kann man lediglich hinführen.

World’s Best Boss

Wissensmanagement ist eine Führungsaufgabe.

Man muss gutes Beispiel sein, also eigenes Wissen teilen—anstatt sich zu brüsten mit Insider-Kenntnis als Statussymbol und Herrschaftswissen aus Führungszirkeln. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollte man coachen und loben, wenn sie Firmen-, Branchen- und bereichsübergreifende Netzwerke pflegen und praktische Zusammenarbeit einleiten, anstatt ihre Egoismen zu fördern und ihnen Grenzen zu setzen. Die Führungskräfte der Zukunft schaffen ein Umfeld, das die Weitergabe von Informationen honoriert, das Experimente fördert und Fehler nicht nur toleriert, sondern provoziert — weil gerade aus ihnen neues Wissen entsteht.

Führungssysteme sollten die Nutzung und Bereitstellung von Wissen klar als Ziele formulieren und regelmäßig daran erinnern, dass es sich hierbei um ausdrücklich gewolltes Verhalten handelt. Denn auch umgekehrt funktioniert die Rechnung: Wer Wissen teilt und Netzwerke fördert, zeigt Führungsqualitäten und verdient Förderung. Wer Geheimnisse hütet, wird bestenfalls ein Manager, aber sicherlich kein Leader.

Oder, wie es schon Peter Drucker sagte, zitiert im besagten WSJ-Atikel:

One does not ‘manage’ people. The task is to lead people. And the goal is to make productive the specific strengths and knowledge of every individual.

One Does Not Simply ‘Manage’ People

Was sind Ihre Gedanken zum Thema? Wie lassen sich Wissensschätze in Unternehmen heben? Finden Sie, die Rolle von “Firmenwissen” als Wettbewerbsvorteil ist überbewertet — oder kann man sie im verschärften Wettbewerb der vernetzten, globalisierten Wirtschaft gar nicht hoch genug schätzen?
Ich freue mich über Ihre Kommentare am Artikel oder
auf Twitter.

Fotos:
Library Books von timetrax,
World’s Best Boss von Kumar Appaiah,
“One Does Not Simply ‘Manage’ People” erstellt mit memegerator.net.

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Jochen Adler
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