Kreislaufwirtschaft — Lösungskonzept oder Greenwashing?

Melina Maria Mueller
Arbeitskreis Kreislaufwirtschaft
4 min readOct 13, 2022

Gestörte Lieferketten und Inflation: Chancen und Hürden der Kreislaufwirtschaft

Tiefgreifende Veränderungen sicher geglaubter Rahmenbedingungen haben in den vergangenen zwei Jahren maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidungen und Strategien vieler Unternehmen. Neben begrenzter Versorgungssicherheit — etwa mit Rohmaterialien aus Holz, Metall oder Kunststoff — stellen steigende Preise für Energie sowie die zunehmende Inflation Unternehmen vor enorme Herausforderungen. Gleichzeitig büßen bereits erkannte und drängende Probleme wie die Klimakrise keineswegs an Dringlichkeit ein.

Die Lösung dieser vielschichtigen Probleme erfordert nicht nur kurzfristiges „Feuerlöschen“, sondern vielmehr ein Konzept, das Lösungsansätze für mehr als ein einzelnes Problemfeld bietet. Die Idee der Kreislaufwirtschaft ist keineswegs neu, gewinnt in den aktuellen Umständen jedoch signifikant an Relevanz. Neben offensichtlichen Kostenvorteilen, der Verbesserung der eigenen CO2-Bilanz und dem verminderten Einsatz von Ressourcen bietet das Konzept umfassende Chancen, insbesondere für fertigende Unternehmen.

Resilientere Lieferketten, besserer Materialfluss und sinkende Einkaufspreise

Viele Unternehmen haben in den vergangenen Jahren versäumt, ihre Lieferketten resilient zu gestalten (1). Zu diesem Ergebnis kommt eine McKinsey Studie aus Dezember 2021. Nearshoring, also die Beschaffung bei lokalen Lieferanten, sowie die zusätzliche Bevorratung mit Materialien stellen der Studie zufolge zentrale Strategien der befragten Unternehmen dar, um gestörten Lieferketten zu begegnen. Beide Strategien scheinen adäquate Lösungsmöglichkeiten, um solcherlei Probleme kurzfristig zu lösen. Nachteilig ist jedoch in beiden Fällen, dass steigende Preise — sowohl für die Lagerhaltungskosten einer vermehrten Bevorratung als auch für höhere Einkaufspreise für die Beschaffung im Hochlohnland — eine nahezu zwingende Folge sind. Eine Kreislaufwirtschaft bietet demgegenüber die Möglichkeit, Lieferketten in Teilen komplett selbst zu beeinflussen und gleichzeitig die Materialkosten eines Produktes durch Wiederverwendung von Materialien und Rohstoffen zu senken. Fehlen etwa Materialien eines Zulieferers, können im Zuge einer etablierten Kreislaufwirtschaft Materialrückflüsse beschleunigt und die fehlenden Materialien aus Altprodukten vermehrt wiedergewonnen werden. Es entsteht Dual-Sourcing, wobei das Unternehmen zum eigenen Lieferanten wird. Auf diese Weise können „Lücken“ im Materialzufluss aus wiederverwendeten Bauteilen überbrückt und ein kontinuierlicher Produktionsfluss erhalten werden.

Naheliegendes Konzept — aber mit Hürden

Die Vorteile einer Kreislaufwirtschaft scheinen so plausibel, dass die Frage erlaubt sein muss, warum Unternehmen das Konzept nicht bereits in großen Teilen umgesetzt und ihre Strategie integriert haben. Dabei gibt es viele Gründe, die eine Umsetzung für Unternehmen erschweren oder nahezu unmöglich erscheinen lassen. Sie erstrecken sich über den kompletten Produktlebenszyklus. Angefangen bei der Entwicklung gibt es heute selten ein sogenanntes „Design for Reuse“. Die Konzeption eines Produktes, das einfach repariert oder wiederverwendet werden kann, ist bisher in den wenigsten Industrien Standard. Schrauben statt Kleben, mehr statt weniger Material an kritischen Stellen eines Produktes, Monomaterial anstelle von Mixmaterial stellen nur einige Konzepte dar, um die Wiederverwendbarkeit von Materialien, Bauteilen, Baugruppen und Produkten zu ermöglichen. Im Kontext von zunehmendem Kostendruck erfordert es große Weitsicht, ein Produkt teurer als notwendig zu konstruieren, um ihm im Anschluss an seine Nutzung ein „zweites Leben“ zu ermöglichen.

Logistik und IT als kritische Enabler

Die Rückgewinnung von Altprodukten und das Design logistischer Prozesse in der Kreislaufwirtschaft stellen ein weiteres zentrales Hemmnis für Unternehmen dar. Die Wiederverwendung von Produkten und Materialien scheitert nicht selten daran, dass es für Kunden keine Anreize gibt, Produkte zurückzuschicken und kein logistischer Kanal existiert, der den Rückfluss von Altprodukten ermöglicht. Pfandsysteme oder Pay-per-Use-Modelle sind nur einige Konzepte, die in diesem Kontext zu nennen sind.

Die innerbetriebliche Verwertung der retournierten Produkte und deren logistische Abwicklung erfordern weitere Anstrengungen bei der Etablierung einer Kreislaufwirtschaft dar. So müssen im Zuge einer Kreislaufwirtschaft Fertigungssteuerung und Arbeitsvorbereitung neu gedacht werden. Unsicherheit bezüglich der Qualität und der Menge wiederverwendbarer Teile sind der Kreislaufwirtschaft inhärent.

Es gibt kein ERP-System, das den komplexen Anforderungen an eine Abbildung von Material- und Produktkreisläufen im Rückfluss einer Kreislaufwirtschaft vollends gerecht wird. Um diese Kreisläufe dennoch effizient abbilden zu können, erfordert es demnach eine sinnvolle Integration und Erweiterung vorhandener IT-Systeme.

Kreislaufwirtschaft ist mehr als Greenwashing

Es wird deutlich, dass das Konzept der Kreislaufwirtschaft keineswegs ein einfach umzusetzender Lösungsansatz ist, wie zunächst naheliegt. Gleichzeitig werben zunehmend mehr Unternehmen damit, ihre Produkte nachhaltig zu gestalten, indem Produkte werbewirksam in Flaschen aus recyceltem Kunststoff verkauft werden. Vor diesem Hintergrund scheint es ironisch, dass recyceltes Kunststoffgranulat auf dem Weltmarkt inzwischen schwieriger zu beschaffen und gleichzeitig teurer ist als neues.

Der Übergang zwischen Greenwashing und echter Nachhaltigkeit scheint genauso fließend wie die Abwägung zwischen den Chancen einer Kreislaufwirtschaft und den damit verbundenen Herausforderungen für produzierende Unternehmen. Ein großer mögliche Nutzen erfordert ein Umdenken aller Funktionen im Unternehmen: die gezielte Entwicklung von wiederverwendbaren Produkten, Tracking von Produkten im Markt, eine adaptive Arbeitsplanung, die Einbindung von Aufarbeitungsprozessen, neue Anreizsysteme und die finanzielle Abbildung von Aufarbeitungsaktivitäten.

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(1) https://www.mckinsey.de/news/presse/2021-12-16-supply-chain-survey

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