Sind Autistengruppen von der Pharmaindustrie abhängig?

Mela Eckenfels
Aus-ge-Vaxxed
Published in
4 min readMay 7, 2017

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Seit der Ankündigung des Films “Vaxxed — Eine unbequeme Wahrheit” in Deutschland, meldete sich eine Gruppe lautstark zu Wort. Autisten. Von ihnen und ihrer — angeblich durch Impfungen ausgelösten — Behinderung handelt der Film und doch kommen sie darin nicht zu Wort.

Ihr Engagement scheint für genug Nachfragen und Unruhe in den Reihen der Filmbesucher gesorgt zu haben, dass der Filmverleih, die Busch Media Group, kommentierende Autisten auf der Vaxxed-Facebook-Seite blockte. Um anschließend zu verkünden, deren Kritik sei durch “von der Pharmaindustrie abhängige Autistengruppen gesteuert”.

Ist das so?

Wie organisieren sich Autisten?

Autisten sind kein sonderlich geselliges Völkchen. In diesem einen Punkt haben die gängigen Stereotype über autistische Menschen mal recht. Dennoch gibt es Gruppen, in denen sich Autisten treffen und über Themen rund um das Leben mit Autismus sprechen oder versuchen sich gegenseitig Hilfestellung zu geben. Diese Gruppen findet man vor allem:

1. Auf Facebook

Die meisten Menschen, auch Autisten, besitzen einen Facebook-Account und es ist somit einfach eine Autistengruppe zu finden. Die Facebook-Suche bietet eine breite Auswahl mit unterschiedlicher Ausrichtung. Von Gruppen, die sich gezielt an frühkindliche Autisten oder an Asperger-Autisten richten, bis hin zu Gruppen die der Vernetzung zwischen Autisten, Eltern von Autisten und Fachleuten dienen.

2. Foren, Chats und ähnliche Kommunikationsplattformen

Hier finden vor allem Autisten Anschluß, die kein Facebook haben, oder denen die Plattform zu unstrukturiert für nachhaltige, wirklich interaktive, Diskussionen ist.

3. Vereine und (lokale) Selbsthilfegruppen

Da Autisten sich nicht gern in Vereinen zusammenschliessen, gibt es gegenwärtig nur einen wirklich aktiven Autistenverein. Selbsthilfegruppen werden von Autismustherapeuten angeboten oder sind lose an Elternorganisationen angeschlossen. Ganz selten sind sie selbstorganisiert.

Was kostet das?

1. Facebook

Die Kosten des eigenen Internetanschlusses, den man meist schon hat.

2. Foren, Chats und andere Kommunikationsplattformen

Sofern ein derartiger Dienst nicht viele hundert Nutzer versorgen muss, bewegen sich die Kosten monatlich im niedrigen zweistelligen Bereich — für den Anbieter des Dienstes, nicht für die Nutzer. Für Nutzer sind diese Dienste generell kostenlos. Viele Gruppen nutzen kostenlose Infrastrukturen, wie öffentliche IRC-Server oder kostenlose Forenangebote.

3. Vereine und Selbsthilfegruppen

Die Vereine finanzieren sich weitgehend durch Mitgliedsbeiträge. Selbsthilfegruppen treffen sich meist in kostenlos zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten zum Beispiel der lokalen Gliederung von Autismus Deutschland.

Kurz: eine finanzielle Abhängigkeit von externen Geldgebern ist gering bis nicht vorhanden. Lediglich bei Veranstaltungen wie Fachtagen oder Vorträgen müssen Räumlichkeiten oder die Honorare der Vortragenden und deren Reisekosten gedeckt werden. Dazu werden entweder Spenden gesammelt oder meist lokale Unternehmen als Sponsoren hinzugezogen.

Aber die Medikamente?

Es gibt kein Medikament gegen Autismus.

Autisten sind schlechte Kunden der Pharmaunternehmen. Anders als beispielsweise Epileptiker oder Diabetiker sind sie nicht ständig auf Medikamente angewiesen. Nein, sie sind gar nicht auf Medikamente angewiesen. Lediglich bei Komorbiditäten, wie schweren Depressionen oder Angst- und Panikstörungen kommen Medikamente zum Einsatz. Hat der Autist auch ADS wird gern Ritalin verschrieben.

Viele Autisten sind Medikamenten gegenüber skeptisch eingestellt. Da, zum Beispiel im klinischen Setting und bei Heimunterbringung, Medikamente häufig nur zur Ruhigstellung eingesetzt werden — nicht, um den Autisten zu helfen. Wir sind auch deshalb skeptisch Medikamenten gegenüber, weil sie bei uns gerne paradox wirken, was nicht alle Ärzte glauben.

Und sonst?

Das Verhältnis zwischen Autisten und medizinischer Zunft ist überhaupt inzwischen nicht mehr ungetrübt. Ärztefunktionäre mögen es gar nicht so sehr, dass Autisten sich selbst zu Wort melden und versuchen Mißverständnisse und falsche Vorstellungen aufzuklären. Wie zum Beispiel mit voreilig schlechten Prognosen, bei denen die Eltern der jüngsten Autisten erst mal zu hören bekommen, was das Kind alles nie können wird — obwohl bei richtiger Unterstützung und Förderung die Entwicklung ganz anders verlaufen kann. Oder mit der Behauptung, dass dass “herausfordernde Verhalten” und “Wutanfälle” von Autisten aus Aggression und Trotz entstehen, statt aus völliger Überforderung und Überlastung heraus. Oder gegen die Behauptung, Autisten empfänden keine Gefühle oder hätten keine Empathie.

Dieses Rütteln am liebgewonnenen, althergebrachten und “sicheren” Wissen über Autismus kommt nicht bei jedem gut an. Umgekehrt kommen Mediziner, Psychologen und Pädagogen mit ihrem Hang zu drastischen, oft unwissenschaflichen, Therapien bei Autisten nicht gut an. Autisten wollen eigentlich nur, dass man ihre Bedürfnisse ernst nimmt und darauf eingeht.

Soll ich das etwa glauben?

Soll ich das etwa glauben? — Nein, liebe Impfgegner. Glauben sollen Sie gar nicht, sie sollen prüfen. Holen Sie sich die Informationen, aus verschiedenen Quellen. Achten Sie darauf, dass die Quellen nicht einfach voneinander abschreiben. Schauen Sie genau hin, beschäftigen Sie sich mit dem, was Sie finden.

Tun Sie das!

Und dann sollten Sie wütend werden. Wütend über Menschen und Interessengruppen, die Ihnen Lügen vorsetzen. Die Ihnen das Denken abnehmen wollen. Die Sie unter dem Denkmantel des ‘Denk selbst!’ entmündigen wollen. Die ihre unehrenhaften Geschäfte auf dem Rücken Ihres Vertrauens machen wollen.

Ich, wir Autisten, wir Impfbefürworter, wollen nicht, dass Sie uns blind glauben. Wir vertrauen Ihrem wachen Verstand. Wir möchten, dass Sie genau hinschauen.

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Mela Eckenfels
Aus-ge-Vaxxed

Author. Nerdy, dorky geekgirl. Kann Spuren von Politik und Nischenthemen enthalten. Autismus, Geschichte. Patreon: https://mela.geekgirls.de/unterstuetzen/