Arbeitszeitgesetz: Schutz vor der eigenen Unvernunft

Sonja
BeChange
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4 min readDec 21, 2018

Seit Frederick Winslow Taylors Scientific Management hat sich unsere Arbeitswelt deutlich verändert. Ich bin im Jahr 1989 geboren und gehöre der Generation Y an. Anders als vorangegangen Generationen wird uns nachgesagt, Arbeit nicht als reine finanzielle Existenzsicherung zu sehen. Sie ist Teil unseres Selbstverständnisses. Zwischen Leidenschaft und Lohnarbeit, Berufung und Beruf, wird die Grenze zwischen Arbeit und Privatleben immer undeutlicher.

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Das Streben nach einem Job, mit dem ich mich voll und ganz identifizieren kann, ist durchaus berechtigt. Immerhin acht Jahre unserer Lebenszeit verbringen wir im Schnitt auf der Arbeit. Einige junge Unternehmen setzen mit ihrer Personalpolitik genau hier an: Büros gleichen Wohnzimmern, Kollegen gleichen Freunden und Arbeitszeiten sind flexibel. Es wird inzwischen von einem Übergang von Work-Life-Balance zu Work-Life-Blending gesprochen. Oft geht die Freiheit, zeit- und ortsflexibel arbeiten zu können, mit der Erwartung einher, permanent erreichbar zu sein. Auch während unserer Innovations-Vorlesung kam die Theorie auf, dass Innovation nur dann möglich sei, wenn man bereit ist sie mit in den Feierabend zu nehmen. Dabei sind Ruhephasen für den menschlichen Körper extrem wichtig.

Wie viel Flexibilität ist erlaubt?

Wohl kaum ein Gesetz wird so häufig gebrochen wie das Arbeitszeitgesetz. Dabei sind die Regeln klar: tägliche Höchstarbeitszeit von 8 Stunden und maximal 2 Überstunden pro Tag. An Sonn- und Feiertagen darf ohne Sondergenehmigung gar nicht gearbeitet werden, denn sie dienen der Ruhe und „seelischen Erhebung“. Da der Gesetzgeber weiß, wie wichtig Regeneration ist, sind neben Arbeitszeit auch Ruhepausen geregelt: ab 6 Stunden Arbeit mindestens 30 Minuten, ab 9 Stunden Arbeit 45 Minuten Pause. Zusätzlich gilt eine Ruhezeit von mindestens 11 aufeinander folgenden Stunden zwischen 2 Arbeitseinsätzen.

Obwohl 45% der Büroangestellten in Deutschland mit einem Laptop und 21% mit einem Smartphone ausgestattet sind, muss ich als Arbeitnehmer also nicht permanent erreichbar sein. Die in vielen Unternehmen angebotene flexible Vertrauensarbeitszeit ist zwar praktisch, führt aber dazu, dass im Schnitt mehr gearbeitet wird als bei festen Arbeitszeiten.

Unvereinbar mit der Arbeit 4.0

Die geltenden Arbeitszeitgesetze seien zu starr und realitätsfern, klagen einige Unternehmen. Für die Arbeitswelt 4.0 benötige man flexiblere Lösungen. Je flexibler und autonomer die Mitarbeiter arbeiten können, desto zufriedener sein diese, heißt es dazu oft. Vor allem die Ruhezeit von 11 Stunden zwischen 2 Einsätzen steht oft in der Kritik, da auch das Lesen einer E-mail oder ein kurzer Anruf als Unterbrechung dieser gelten.

Auch die Wirtschaftsweisen halten den bisherigen Arbeitsschutz und das geltende Arbeitszeitgesetz in einer digitalisierten Berufswelt für nicht mehr geeignet.

Zu starr, zu unflexibel, für die digitale Arbeitswelt nicht geeignet. So sehen es die Unternehmen. Wenn die Arbeit mit in den Feierabend kommt, hat das allerdings auch gesundheitliche Konsequenzen.

Schützt euch durch Ruhephasen!

Egal wie gerne ich meinen Job mache: eine Grenze zwischen Arbeit und Privatleben ist wichtig. Mache ich meinen Job richtig gerne, ist sie sogar besonders wichtig.

Eine begrenzte Zeit intensiver Arbeit ist kein Problem, denn der menschliche Organismus ist gewissermaßen dafür gemacht, auch mal an Grenzen zu gehen. Aber wenn Menschen dauerhaft auf Hochtouren arbeiten, wird es gefährlich.“ — Wirtschaftspsychologin Kerstin Riedel

Das hat nichts mit Faulheit zu tun. Einer Anstrengung folgt Ermüdung und wir benötigen eine Phase der Erholung. Das Recht auf Erholung steht sogar in Artikel 24 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschrieben: „Jeder hat das Recht auf Erholung und Freizeit und insbesondere auf eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit und regelmäßigen bezahlten Urlaub.“

Trotzdem fallen laut Bundesarbeitsministerium in Deutschland bei 28 Prozent der Beschäftigten regelmäßig Pausen aus. Dabei fördern Pausen die Gesundheit, steigern Produktivität und senken die Gefahr von Unfällen.

Laut Schlafforschern sind 8 Stunden Arbeit, 8 Stunden zum Leben und 8 Stunden Schlaf pro Tag die optimale Aufteilung. Vom Schreibtisch direkt ins Bett können wir aber trotzdem nicht fallen. Für einen entspannten Schlaf benötigen wir Zeit, um uns vom Arbeitstag zu lösen. Andernfalls stehen wir geistig und körperlich unweigerlich unter Spannung.

„Menschen können weniger schlafen, als sie biologisch müssten, und das tun sie auch häufig. Aber es hat seinen Preis, wenn man regelmäßig zu wenig schläft, zu schlecht oder beides. Wer das tut, stirbt zwar nicht gleich, aber eindeutig früher als andere.“ - Barbara Knab.

Arbeitnehmer oder Arbeitgeber: Wer ist für die Einhaltung von Ruhezeiten verantwortlich?

Zunächst einmal ist der Arbeitgeber verantwortlich. Bei Vertrauensarbeitszeit kann er die Verantwortung für die Aufzeichnung der gearbeiteten Stunden jedoch an seine Mitarbeiter abgeben. Überwacht wird die Einhaltung letztlich durch Aufsichtsbehörden — bei Verstoßen drohen Geldbußen bis hin zu Freiheitsstrafen. Einige Unternehmen starteten bereits eigene Initiativen: VW stellt auf Diensthandys zwischen 18.15 und 7 Uhr keine Mails zu und Smartmove schaltet den E-Mail-Verkehr zwischen 20 und 7.30 Uhr einfach ab.

Wie ich meine Ruhepausen zur maximalen Regenartion nutze, muss allerdings jeder für sich selbst herausfinden. Das Erholungsbedürfnis ist ganz individuell: empfinde ich meine Job als unterfordernd, suche ich mir einen aktiven Ausgleich, empfinde ich ihn als hektisch, einen ruhigen Ausgleich. In der Rechtsvorlesung haben wir gelernt, dass der Arbeitnehmer sogar gesetzlich verpflichtet ist, seinen Erholungsurlaub zur — wie der Name schon sagt — Erholung zu verwenden.

Ausblick für Führungskräfte

Unsere Arbeitswelt verändert sich und mag heute mehr Flexibilität erfordern als in der Vergangenheit. Trotzdem schätze ich es, dass in Deutschland strenge Arbeitsgesetze gelten. Wenn wettbewerbsfähig zu bleiben bedeutet, sich auf den global kleinsten gemeinsamen Nenner im Arbeitnehmerschutz zu einigen, wäre das fatal. CDU, FDP und auch SPD haben bereits versucht, das Arbeitszeitgesetz zu lockern. Für uns als Arbeitnehmer hoffe ich, die deutschen Gewerkschaften leisten weiterhin Widerstand.

Es wird künftig eine der großen Herausforderungen für Führungskräfte sein, notwendige Flexibilität zuzulassen und gleichzeitig Gesundheit der Mitarbeiter zu schützen. Bei aller Freiheit und Autonomie ist es wichtig, sich seiner Vorbildfunktion bewusst zu sein. Halte ich als Führungskraft meine Ruhepausen nicht ein, wirkt sich das auf das Pausenverhalten meiner Mitarbeiter aus - und somit auch auf meine und ihre Gesundheit.

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