Seit ich meinen ersten Fuß in die Berufswelt gesetzt habe, lausche ich immer wieder Gesprächen über Führungskräfte und ihre Kompetenzen. Nicht zu selten lässt irgendwer an irgendeiner Stelle der Diskussion einen Satz wie diesen fallen: “Entweder man hat das Zeug dazu andere Menschen zu führen — oder eben nicht”.
Trotz der Masse an Modellen, Workshops und Artikeln zu Konzepten wie Leadership Development und Leadership als Skill scheint das Bild der Führungskraft als unerklärliches Phänomen, als genetisch bedingte Bestimmung von Auserwählten weiterhin in den Köpfen vieler Menschen verankert zu sein.
Das Leadership Gen
Tatsächlich hat die Wissenschaft dieser Frage schon einige Aufmerksamkeit gewidmet und zunächst den Zusammenhang zwischen unserer DNA und Persönlichkeitseigenschaften untersucht und zu einem gewissen Grad auch nachweisen können. Da liegt es nah, diese Verknüpfung auch im Kontext von Leadership zu suchen.
Zahlreiche Studien führen Eigenschaften wie Extrovertiertheit, Intelligenz, Risikobereitschaft oder Durchsetzungsvermögen als Eigenschaften auf, die in Zusammenhang mit dem Innehalten von Leadership Positionen stehen. Extrovertiertheit beispielsweise unterstützt durch soziale und enthusiastische Züge, Durchsetzungsvermögen und Intelligenz dagegen verhelfen dazu, als kompetent empfunden zu werden. Die Studie „Born to lead? A twin design and genetic association study of leadership role occupancy” (2013) identifizierte erstmals sogar einen Genotyp, der mit Leadership in Verbindung steht. Die Wahrscheinlichkeit eine Führungsrolle zu besetzen war bei den Studienteilnehmern mit der DNA Sequenz rs4950 um 24% höher.
Dr Jan-Emmanuel De Neve: “We have identified a genotype, called rs4950, which appears to be associated with the passing of leadership ability down through generations.”
All diese Studienerkenntnisse deuten darauf hin, dass genetische Veranlagung zumindest einen gewissen Einfluss auf unsere Persönlichkeit und damit die Wahrscheinlichkeit hat, ob jemand zu einem Leader wird oder nicht. Heißt das nun, dass man bei Job Interviews vorab Genanalysen und Persönlichkeitstests durchführen sollte, um Führungskräfte einzustellen?
Leadership Emergenz vs. Leadership Qualität
Die Antwort lautet hier: Vorsicht vor voreiligen Schlüssen! Die Studie „Born to lead“ zeigt zwar, dass Leader bestimmte Genstrukturen aufweisen, allerdings stehen diese nicht in Verbindung mit bestimmten Eigenschaften. Außerdem besitzt schätzungsweise die Hälfte der Bevölkerung die genannte Gensequenz, was die Bedeutung von Umweltfaktoren und individuellen Erfahrungen für das Aufsteigen zum Leaders hervorhebt.
Die erläuterten genetischen Veranlagungen machen es schlichtweg leichter, eine Leaderposition einzunehmen und als Leader wahrgenommen zu werden. Aufschluss über die Qualität einer Führungskraft lassen sie dabei nicht zu. Im Gegenteil, die Eigenschaften, die es einer Person erleichtern in eine Führungsposition zu kommen, haben nur sehr geringen Einfluss darauf, wie erfolgreich sie sein wird. Leider werden Führungspositionen aber häufig genau anhand dieser Art von Eigenschaften ausgewählt — wie intelligent, charismatisch oder extrovertiert sie wirken. Dabei können auch introvertierte Personen erfolgreiche Leader oder sogar bessere Leader sein. Sie zeichnen sich schlichtweg durch andere Qualitäten, wie ihre Ruhe, eine stets perfekte Vorbereitung und gutes Zuhören aus.
Die richtige Frage stellen
Mir scheint, dass in der Diskussion darüber, ob Führungskompetenz angeboren ist oder erlernt werden kann, die falsche Frage gestellt wird.
Es geht doch vielmehr darum, die richtigen Personen für die richtigen Jobs zu finden. Es geht darum, den Mythos über den extrovertierten, charismatischen Führer aufzubrechen und tiefer in die Stärken eines Jeden zu blicken. Es geht darum, sich seiner eigenen Persönlichkeit bewusst zu werden, um erfolgreich sich selbst und andere führen zu können.
Genutzte Quellen:
