Corporate Social Learning

Dr. Alexander Klier
Beck et al.
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6 min readJul 1, 2019
Ein Barcamp zeichnet sich durch eine hohe Interaktivität und wechselnde Expertisen aus. So auch das Corporate Learning Camp 2017 mit seinen annähernd 100 Sessions über 2 Tage. Der Andrang war immer groß, der Austausch in der Regel sehr fruchtbar. Bild: Alexander Klier, verwendbar unter den Bedingungen der Creative Commons BY-SA.

Und schon war es wieder vorbei. Von Donnerstag, 28.09.2017 bis Freitag, 29.09.2017, fand das siebte Corporate Learning Camp der Corporate Learning Allianz unter der Überschrift “L&D in the Digital Age” in Frankfurt statt. Für mich war es ein äußerst inspirierendes Zusammentreffen. Im Gegensatz zum Jahr davor lag der Fokus noch einmal mehr auf dem Thema der betrieblichen Aus- und Weiterbildung, das ich im weiteren mit Corporate Learning benennen will. Damit hat in meinen Augen das Thema der digitalen Transformation nicht mehr nur die Kollaboration oder (allgemeine) Bildung, sondern, in Bezug auf das künftige Lernen, vor allem die entsprechenden Abteilungen in Unternehmen, wie etwa HR, Personalentwicklung oder L&D, erreicht. Entsprechend vielfältig waren die Sessionvorschläge (hier geht es zum Sessionplan über die beiden Tage), die für knapp 100 Slots gemacht wurden. Das ganz Besondere dieses Camps war jedoch, dass es vom MOOCathon 2025 eingerahmt wurde und damit einen Ausblick auf die Zukunft betrieblichen Lernens geboten hat. Was das heisst, will ich im folgenden kurz erläutern.

Learning & Development in the Digital Age” war das Haupt-Thema des diesjährigen CLC17. lutzland hat in einem kurzen Video die wesentlichen Eindrücke des Corporate Learning Camp festgehalten.

Der digitale Campgedanke

Nicht umsonst gilt das Format der Barcamps als Format einer “Kultur der Digitalität” (Felix Stalder). Was eigentlich nur dann zu verstehen bzw. zu rechtfertigen ist, wenn man die digitale Transformation nicht auf die Technologien und Tools bezieht, sondern vor allem auf die Form, wie beispielsweise Lernprozesse organisiert werden können und in welcher Kultur sie tatsächlich gestaltet sind. Einen interessanten Überblick über die Historie des mittlerweile etablierten Angebots gibt Simon Dückert auf einer Seite der Cogneon-Akademie. Für mich persönlich machen die Kultur der Digitalität an diesem sehr analogen Setting folgende Eigenschaften aus:

  • Alle Teilnehmer*innen am Barcamp begegnen sich auf Augenhöhe. Dazu trägt die kurze Vorstellungsrunde am Anfang genauso bei, wie das obligatorische Du und der Verzicht auf irgendwelche Titel.
  • Barcamps leben vom gemeinsamen Austausch im Sinne einer echten Diskussion und einer dieser vorausgehenden oder daran anschließenden Vernetzung bezüglich eines Themas. Kristallisationspunkt dieses Vorgehens sind die jeweiligen Sessions — wie natürlich auch die Pausen, die sehr bewusst zwischen den verschiedenen inhaltlichen Slots angesiedelt sind.
  • Eine der wichtigsten Aspekte jedoch ist für mich, dass sich die Expertise verschiebt bzw. eigentlich genau die Rollen in der Frage, wer denn Experte in welcher Sache ist. Jede*r kann seine Expertise in Form eines Session-Vorschlages einbringen und umgedreht Fragen (im Rahmen seiner Session) stellen, die in einer gemeinsamen Expertenrunde näher geklärt werden, denn die anwesenden Teilnehmer*innen sind die richtigen.
Die Grafik ist die kondensierte Form der Diskussion sehr kontroverser Meinungen in der Session “Selbstorganisiertes Lernen im Fokus”, eingebunden in einen entsprechenden Tweet von mir.

Auf diese Weise war ich selbst Teil dieses Gebens und Nehmens: angeboten habe ich einen Erfahrungsaustausch zum Thema des digitalen Stuhlkreises (Tag 1) und ganz besonders spannend fand ich die Teilnahme an einer Diskussion zum Thema “Selbstorganisiertes Lernen im Fokus” (Tag 2). Insbesondere bei letzterem wurde deutlich, dass hinter diesem Thema äußerst unterschiedliche Menschenbilder und demzufolge Vorstellungen davon, ob ein selbstbestimmtes Lernen möglich ist oder nicht, stecken. Gelungen fand ich diese Diskussion deshalb, weil diese Unterschiedlichkeit deutlich geworden ist. Das bietet Ansatzpunkte dafür, gemeinsam in einen Austausch zu kommen. Was, zugegeben, im Nachgang dazu meist noch nicht direkt gelingt, weder über die Dokumentation, noch über andere digitale Medien, die sich gerade dafür besonders anbieten würden. Dafür jedoch manchmal in Form von einigen Nachbetrachtungen, wie beispielsweise bei Martina Pumpat hier, und darauf aufbauenenden Diskussionen stattfindet.

Mehr noch als viele Worte dürften die Bilder, die Frank Rumpenhorst gemacht hat, den Gedanken und die besondere Stimmung des Corporate Learning Camps transportieren.

Die Vorarbeiten

Ich hatte schon erwähnt, dass dieses Corporate Learning Camp für mich ein besonderes war. Das hat damit zu tun, dass es den Abschluss des davor angesiedelten Corporate Learning MOOCathons 2025 darstellte. Im Rahmen des MOOCathons wurde zum einen ein Corporate Learning MOOC mit acht Beispiel gebenden Firmen (über zehn Wochen) organisiert. Weiter wurden über einen Hackathon beispielhaft die Ergebnisse daraus destilliert, komprimiert und dokumentiert. Die Dokumentation selbst wurde in einem Wikibook erstellt und steht unter den Bedingungen der Creative Commons. Einen unmittelbaren Einblick in den MOOC-Anteil hatte ich durch meine eigene Teilnahme im Rahmen einer Lerngruppe mit Studierenden an der Hochschule München bekommen. Inhaltlich und kritisch habe ich auch im Rahmen meiner eigenen Blogs (beispielsweise hier und hier) dazu Stellung bezogen. Gerade dadurch aber war ich aus eigener Initiative Teil eben jener Corporate Learning Community, die hochmotiviert die Begeisterung über die neuen Formate — und ihrer Kultur — in den Bereich des Corporate Learnings übertragen will. Was wiederum nur gelingen dürfte, wenn es genug Möglichkeiten gibt, diese neuen (digitalen) Formate tatsächlich zu leben. Zur Kultur der Digitalität gehört es meiner Ansicht nach jedenfalls, an ihrer Einführung zu partizipieren, also aktiv Anteil zu haben und über die Ausgestaltung mitreden zu können. Fasse ich das alles zusammen und verbinde es mit den Reflexionen, die im entstandenen Dokument “Lernen in Organisationen im digitalen Zeitalter” enthalten sind, dann ergibt sich für mich eine Richtung, in welche sich auch das Corporate Learning entwickelt: hin zu einem Corporate Social Learning mit einer entsprechenden Kultur des digitalen Lernens. Damit folgt es eigentlich sehr konsequent der Idee sozialer Kollaboration in Unternehmen und kollektiver Lernprozesse im Bereich des Social Learning.

Um zu eine Kultur des digitalen sozialen Lernens zu kommen, muss sich auch die Sprache, die ja immer Ausdruck entsprechenden Denkens ist, ändern. Gezeigt hat sich dies im Rahmen des Corporate Learning Camps beispielsweise am Thema “Entmündigungsvokabular”.

Die Reflexionen

Ich will diesen Gedanken abschließend noch einmal kurz argumentativ einholen und betonen, warum es sich auch dabei um eine Kultur der Digitalität handelt. Dabei gehe ich von der Bestandsaufnahme aus, die Grundlage für das Erstellen des oben erwähnten Wikibooks war und dort in Form von Thesen zur Diskussion steht.

  • “Der Schwerpunkt von Corporate Learning liegt auf der Organisation (Planung, Einkauf, Entwicklung, Administration, Verteilung) formaler Bildungsangebote.” Es gibt einen ziemlich engen Zusammenhang zwischen der Geschichte der Entstehung tayloristischer Organisationen, allgemeiner Bildung und natürlich auch beruflicher Bildung. Im Bereich von Unternehmen hat dies dazu geführt, dass die Qualifikationsanforderungen von Seiten der Hierarchie bestimmt werden und mit einer entsprechenden “Diagnostik” die Beschäftigten fremdbestimmt auf die jeweiligen Stellen hin qualifiziert werden sollen.
  • “Corporate Learning ist im Auf- und Umbruch: Es gibt in vielen Unternehmen eine Reihe von Initiativen, auf neuen Wegen von- und miteinander zu lernen.” Im Rahmen der digitalen Transformation steht nicht nur der Bauplan der Organisationen zur Disposition, sondern damit untrennbar verknüpft auch die Art und Weise, wie betriebliche Aus- und Fortbildung, also das Corporate Learning, gedacht, organisiert und schließlich auch bewertet wird. In den genauen Konsequenzen ist dies jedoch noch keineswegs absehbar. Es führt jedoch zumindest zu einer Suchbewegung nach der adäquaten Organisation und ersten Experimenten mit neuen Formaten selbstbestimmten betrieblichen Lernens.
  • “Die neuen Anforderungen des lebenslangen, selbstorganisierten Lernens sind bei Mitarbeitern, Führungskräften und Bildungsexperten noch nicht angekommen.” Ähnlich wie bei der Frage der digitalen Transformation (beispielsweise in Bezug auf digital leaders) allgemein werden im Bereich des Corporate Learning die Antworten zunächst im Bereich von Tools, oder aber einem sogenannten “digitalen Mindset”, als personale Zuschreibungen (beispielsweise als neue Lerner*innen) entsprechender Eigenschaften gesucht. Doch zuallererst steckt in der digitalen Transformation die Chance, die Kultur des betrieblichen Lernens weg von einer Entmündigungs- und Belehrungsdidaktik, die strukturgebunden hinter beruflichen Qualifikationen steckt, hin zu einer Ermöglichungsmathetik (Mathetik = Wissenschaft des Lernens) zu bringen, die im Bereich der sozialen Kompetenzbildung beispielsweise immer schon notwendig war.

Die neuen Wege einer Kultur des digitalen Lernens, die möglich sind, um die Lernprozesse in Unternehmen anders zu gestalten und neu auszurichten, liegen also nicht in der Erfüllung des Wunsches, dass die Beschäftigten sich nun gefälligst all diese Eigenschaften aneignen sollen. Erst umgekehrt wird ein Schuh daraus: Damit sich die Mitarbeiter*innen zu eigeninitiativ tätigen Lernenden hin entwickeln können und auch wollen, müssen zuallererst die Strukturen und Vorstellungen eines Corporate Social Learning entwickelt werden. Das wiederum geht nur gemeinsam, also partizipativ mit allen Stakeholdern am Prozess, vor allem mit den Lerner*innen. Wie könnten solche Strukturen konkret aussehen? Hier wiederum beinhaltet das Wikibook gute Überlegungen. Kurz gesagt: Im Rahmen eines Corporate Social Learning entwickeln die Beteiligten die entsprechenden Abteilung zum interdisziplinären Lern-Netzwerk weiter, gehen vom zentral gesteuerten Lernen zum selbstbestimmten und kollaborativen Lernen über, lernen ganz selbstverständlich vernetzt in virtuellen und physischen Räumen und kommen so vom “Wissen ist Macht” zum “Wissen teilen ist Macht”. Dafür lohnt es sich doch, aktiv zu werden und mitzugestalten. Wie es in Barcamps eben üblich ist. Von dieser Kultur kann man also viel lernen.

Dieser Beitrag wurde erstmals am 04.10.2017 im Rahmen unseres Corporate Blogs veröffentlicht. Er bezieht sich auf das Corporate Learning Camp 2017 und wurde mit leichten Änderungen zu Beginn übernommen.

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Dr. Alexander Klier
Beck et al.

Ich arbeite bei der Firma changeable GmbH. Während meiner Beschäftigung bei Beck et al. habe ich diese Beiträge für cen Corporate Blog verfasst.