Ausschnitt aus: “Triumph des Hl. Ignatius, Sant’​ Ignazio, Rom von Andrea Pozzi, Quelle: Wikimedia*

Examen — Eine jesuitische Übung nicht nur für Krisenzeiten

Sigi Lautenbacher
Beck et al.

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Ignatius von Loyola, der Gründer des Jesuitenordens, ist manchen vielleicht auch bekannt als der Verfasser der ignatianischen Exerzitien. Das sind praktische geistliche Übungen, die Anleitung zum Gebet, Meditationen und spirituelle Methoden der Achtsamkeit für eine Zeit des zurückgezogenen Lebens enthalten. Neben den vierwöchigen Schweigeexerzitien gibt es auch kürzere “Sprints”, die oftmals neben der Tagesarbeit erledigt werden können.**

Eine der wichtigsten Übungen ist verblüffend aktuell und ein hervorragendes Schema für mehr Achtsamkeit für die Arbeit in verteilten, virtuellen Teams. Im Original geht es dabei natürlich um die existenzielle Zuwendung zu Gott, doch auch in einer säkularisierten Fassung ist “examen” — so der Titel — ein gutes tägliches Ritual für alle Teammitglieder.

Beim “examen” geht es um Achtsamkeit und Reflexion des Tages. Zwei mal am Tag — am besten mittags und abends nach getaner Arbeit — wird die Tagesroutine für 5 Minuten auf “on hold” gesetzt und nachgespürt, ob man noch auf dem richtigen Weg ist. Die dazu nötigen 5 Schritte kann man sich leicht an den fünf Fingern einer Hand merken:

  1. Sich der Gegenwart meines Teams stellen: Ich blicke aus der Perspektive meines Teams auf meinen Tag. Ich verlasse meinen Standpunkt und schaue mit den Augen der Anderen, höre mit den Ohren der Anderen und gehe mit den Schuhen der Anderen. Wie nehmen sie meine Arbeit wahr? Welchen Betrag zum Gelingen des Ganzen werden sie entdecken?
  2. Den Fokus auf das Gelungene und Positive legen: Ignatius würde wahrscheinlich sagen: Der Tag, den ich gerade lebe, ist ein Geschenk Gottes. Deswegen macht es Sinn, den Blick auf das zu lenken, wofür man dankbar ist. Wenn wir das konkret auf das Arbeitsleben beziehen, so kann ich mich fragen: Gibt es drei Dinge, die heute positiv waren, für die ich dankbar bin? Was habe ich dazu beigetragen? Am besten wäre es, sich diese drei Punkte zu notieren.
  3. Tagesreflexion: Was kommt, wenn ich auf den gerade beendeten Arbeitstag schaue? Ohne zu werten versuche ich, gleichermaßen Positives wie Negatives, Wichtiges und scheinbar Unwichtiges wahrzunehmen. Ich lasse mich von nichts davon beherrschen, sondern frage mich, was mich in Allem angetrieben hat, welche Haltung hinter dem Erfahrenen spürbar wird. Ein spiritueller Mensch wird das dann Gebet nennen, für die Säkularen unter uns, ist es eine Meditation, in der wir nachspüren, was aus unserer Perspektive wichtig und neu war an diesem Tag. Vielleicht schreibe ich das auch auf.
  4. Fehler stehen lassen. Ich schaue darauf, was falsch gelaufen ist und finde meinen Beitrag dazu. Ich suche nicht nach Erklärungen oder nach Schuldigen, ich konzentriere mich auf einen machbaren Schritt zum Besseren.
  5. Vorausschau: Was wird morgen sein? Welche Arbeitsthemen werden auf mich zukommen? Wo brauche ich mein Team am dringendsten, worauf muss ich besonders achten? Hier haben die Gläubigen unter uns dann wieder einen klaren Vorsprung: Sie legen das, was sie bewegt in Gottes Hände und vertrauen auf ihn. Für alle anderen gilt: Sich nicht gefangen nehmen lassen von der Sorge, sondern auf das Zusammen des Teams zu vertrauen.

Wie jede Übung der Achtsamkeit sollte das examen fester Bestandteil des Tagesrhythmus werden, um wirken zu können. Vielleicht gelingt es reifen Teams sogar, Aspekte daraus für eine Teamreflexion zu verwenden.

Ich freue mich auf Euer Feedback!

** würde der Hl. Ignatius noch leben, er würde sich vermutlich im Grab umdrehen ob der vorgenommenen Banalisierung. Sollten Befugtere als ich diesen Text lesen, so ermutige ich zu konstruktivem Kommentar und Kritik! Eine schöne Initiative sind auch die Online Exerzitien.

Und noch ein Buchtipp — Gerd Haeffner, der viel zu früh verstorbene Professor der Philosophie an der Hochschule für Philosophie SJ hat ein schönes Buch geschrieben mit dem Titel: Wege in die Freiheit. Philosophische Meditationen über das Menschsein. Kohlhammer Verlag 2006.

* Und noch der Link auf das Originalbild Es handelt sich um das Deckenfresko der Kirche Sant’ Ignazio in Rom.

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