Start-Up Städtischer Bauhof
Mit agilen Strukturen auf dem Weg in
die kommunale Zukunft

Bild: Stadt Herrenberg

Fast alle Mitarbeitenden der Abteilung Bauhof waren zum Zeitpunkt des Projektbeginns unzufrieden. Sie wünschten sich sowohl in monetärer wie auch in persönlicher und fachlicher Hinsicht mehr Entwicklungsmöglichkeiten.

Als dann der zuständige Meister in den Ruhestand ging, war dies der perfekte Zeitpunkt, die Führungsstruktur der Abteilung ganz grundsätzlich in den Blick zu nehmen und zukunftsweisend neu auszurichten.
Bislang herrschte im Amt häufig ein „Silo-Denken“: Daueraufgaben und Aufträge wurden strikt nach Zuständigkeit erledigt, ungeachtet dessen, ob die Kolleg*innen der anderen Abteilungen vielleicht über mehr Knowhow und/oder mehr freie Arbeitskapazitäten verfügten.
Mit den alten, hierarchischen Führungsstrukturen blieb für den Amtsleiter zu wenig Zeit, sich um seine eigentliche Aufgabe als Führungskraft zu kümmern — nämlich darum, sein Fachamt strategisch und zeitgemäß weiterzuentwickeln.

Vorher (Bild: Stadt Herrenberg)
und nachher. (Bild: Stadt Herrenberg)

Kann man einen Bauhof wie ein Start-Up denken?
Durch den Veränderungsprozess wurden die vormals verkrusteten und hierarchischen Strukturen aufgebrochen. Abläufe und Prozesse wurden effektiver, effizienter und digitaler. Natürlich und vor allem im Bauhof — doch die Ausläufer der Bewegung haben längst auch die anderen Abteilungen des Amtes erreicht.
Das vorherrschende „Silo-Denken“ bröckelt. Aufgaben werden immer häufiger abteilungsübergreifend abgearbeitet, die Teams entsprechend der Fähigkeiten der Mitarbeitenden zusammengestellt, was ebenfalls zu mehr Effektivität führt — und sich ganz konkret an der stetig steigenden Zahl der abgearbeiteten Einzelaufträge festmachen lässt.
Im Bauhof wird seither nicht nur an den Prozessen wird gearbeitet. Nebenbei werden nun auch das fachliche Können und die Ideen der Mitarbeitenden deutlich besser genutzt. Mit dem wunderbaren Nebeneffekt, dass sich für den Amtsleiter nun mehr Freiräume ergeben — er muss jetzt nicht mehr ausschließlich im System, sondern kann jetzt vor allem am System arbeiten.

Bild: Stadt Herrenberg

Der kulturelle Wandel breitet sich aus
Man kann sagen, dass ein Kulturwandel stattgefunden hat. Die Mitarbeitenden identifizieren sich mit ihrer Arbeit und übernehmen ganz selbstverständlich Verantwortung. Sie haben digitale Prozesse angestoßen, durch die ihnen die Arbeit und die Bürgerkommunikation leichter von der Hand geht. War früher der Meister oft der „Flaschenhals“, so sind die Aufgaben nun — auch den jeweiligen Fachkenntnissen entsprechend — aufgeteilt. Dadurch wird die Arbeit mit höherer Qualität und schneller ausgeführt, gleiches gilt für das Abarbeiten von Bürgeranfragen und Beschwerden. Dass es sich keinesfalls um eine subjektive Wahrnehmung handelt, hat eine wissenschaftlich begleitete Evaluation gezeigt. Die Rückmeldungen von anderen Fachämtern und von externen Partnern zeigt, dass der Selbstorganisations-Effekt allen Nutzer*innen zugutekommt. Es ist spürbar, dass diese Veränderung auch schon jetzt — ganz am Anfang der Prozessentwicklung — in der Abteilung Grün beginnt.

Bild: Stadt Herrenberg

Veränderung von Innen und im laufenden Betrieb
Die Mitarbeitenden des Amts für Technik und Grün (Tug) waren und sind nicht nur „methodisch eingebunden“ in die Prozesse. Schon bei Einführung der Selbstorganisation im Bauhof, erst recht aber jetzt beim Gesamtprozess „Agiles TUG“ sind es die Mitarbeitenden selbst, die die Veränderungen anstoßen, entwickeln, verwerfen, optimieren und letztendlich auch implementieren. Dadurch, dass alle Änderungen im „laufenden Betrieb“ vorgenommen werden, werden die anderen Nutzer *innen direkt damit konfrontiert — und können Ihrerseits wieder direkt zurückspiegeln, ob die Änderung zu einer Verbesserung führt oder eben nicht. Kein einfaches, auf jeden Fall aber ein absolut ehrliches Unterfangen. Die Mitarbeitenden selbst erleben sowohl positive wie auch negative Reaktionen und Rückmeldungen. Im Gegensatz zum bekannten Sprichwort sorgen die vielen Köche hier nicht für ungenießbare Geschmackserlebnisse. Ganz im Gegenteil: Die Vielzahl und Vielfalt der Beteiligten führt dazu, dass die Ergebnisse gut durchdacht sind und von der Mehrheit getragen werden.

Wer war und ist dabei
Neben den Mitarbeitenden des Fachamts waren am gesamten Innovationsprozess auch andere Fachämter der Stadtverwaltung, Bürger*innen und Besucher*innen der (Mitmach)Stadt Herrenberg, externe Partner, Unternehmen und Dienstleister beteiligt.
Externe Unterstützung bekommt das Amt durch die Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg. Studierende haben verschiedene Geschäftsprozesse des TUG wissenschaftlich erhoben, dokumentiert, ausgewertet und Vorschläge zur Optimierung erarbeitet. Darin liegt nicht nur ein kurz- sondern auch ein langfristiger Aspekt: Die Studierenden werden das erlangte Wissen in die Kommunen tragen, in denen sie künftig arbeiten.

Mit den gemeinnützige Werkstätten und Wohnstätten (GWW) hat sich eine Zusammenarbeit entwickelt, denn: Die Mitarbeitenden der Abteilung Bauhof haben entschieden und in Zusammenarbeit mit Personalrat und Personalabteilung umgesetzt, dass zwei Mitarbeitende mit erhöhtem Förderbedarf in den ersten Arbeitsmarkt überführt werden.

Das Projekt wurde von verschiedenen externen Software-Entwicklern unterstützt. Sie haben unter anderem einen Prototyp für eine Lager-App entwickelt, die derzeit im Arbeitsalltag von den Mitarbeitenden getestet wird. Über diese App können nicht nur die Geräte und Maschinen ausgeliehen werden, die für die tagesaktuellen Aufgaben benötigt werden. Die App zeigt zugleich den Kollegen an, welche Geräte bereits ausgeliehen sind und welche ihnen noch zur Verfügung stehen. Zudem kann der Defekt/Ausfall eines Gerätes vermerkt werden — der Werkstattmeister wird darüber informiert und bekommt zugleich die notwendigen Detailinformationen, die er benötigt, um das Geräte/die Maschine reparieren zu können. Ist die Reparatur erfolgt, wird das Gerät/die Maschine wieder in den Pool zurückgebucht und kann wieder ausgeliehen werden.

Auf Grundlage der Prozesse mit der Hochschule wird an der Lösung eines entsprechenden AMS gearbeitet.

Das Wichtigste in Kürze

Initiierende Stelle:
Stadtverwaltung Herrenberg

Behörde/Abteilung
Amt für Technik und Grün (TuG)

Umgesetzt für:
Abteilung Bauhof Herrenberg (Selbst-Orga Bauhof), gesamtes Amt (Agiles TuG)

Ebene:
Kommune

Team:
Projektleitung hat der Amtsleiter Herr Stefan Kraus. Gemeinsam mit der Hochschule Ludwigsburg obliegt ihm die Koordination und Moderation des Projekts Start-Up Städtischer Bauhof.
Bauhof-Team mit damals 12 Personen (ohne Meister)
— Prof. Dr. Claudia Schneider, Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg


Dauer
Im Jahr 2018 wurde eine Kooperation mit der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg geschlossen. Unter wissenschaftlicher Begleitung von Frau Prof. Dr. Claudia Schneider haben die Mitarbeitenden der Abteilung Bauhof über ein Jahr lang ihre neue Arbeits- und Organisationsstruktur geschaffen. Seit dem Jahr 2019 arbeitet die Abteilung selbstorganisiert.

Mit der Weiterführung des Prozesses wurde im Jahr 2020 begonnen, die interne Kickoff-Veranstaltung für „Agiles TUG“ fand im Juni 2020 statt.

Budget
Die Stadt Herrenberg war eine der Digitalen Zukunftskommunen@bw, die vom Innenministerium des Landes Baden-Württemberg im gleichnamigen Wettbewerb gefördert wurde. Ein Drittel der Fördergelder, also 10 000 Euro, wurde für die Geschäftsprozessoptimierung im TUG — ganz konkret für die Implementierung der Selbstorganisation in der Abteilung Bauhof — verwendet. Darüber hinaus wurden über und von der Stadt Drittmittelgelder generiert für die wissenschaftliche Begleitung durch die Hochschule in Ludwigsburg. Seit Beginn der Kooperation bis heute summieren sich diese Drittmittel auf rund 20 000 Euro.

Nachgefragt bei Stefan Kraus

Worauf sind Sie besonders stolz?
Dass das Bauhof-Team den einmal eingeschlagenen Weg konsequent weitergegangen ist, das macht uns stolz. Noch wichtiger aber ist eine interne Entwicklung: Durch die Etablierung der Selbstorganisation, vor allem aber durch die Fortführung des Prozesses im Gesamtprojekt „Agiles TUG“, hat sich die amtsinterne Zusammenarbeit wesentlich verbessert. Immer häufiger wird vom früheren „Silodenken“ Abstand genommen. Immer häufiger, teilweise schon fast selbstverständlich werden Aufträge und Projekte abteilungsübergreifend angegangen und umgesetzt. Das macht sich im Arbeitsalltag nicht allein an der Effektivität bemerkbar, sondern auch an der Stimmung innerhalb des Gesamtteams.

Was genau hat den Anstoß zur Umsetzung gegeben?
Zum Stein des Anstoßes wurde „Zukunftsfähiges Herrenberg“. Ein Gesamtkonzept, das auf Initiative des Hauptamtes auf den Weg gebracht wurde und das die gesamte Stadtverwaltung umfasst. Eine Mitarbeiterbefragung, die im Rahmen dieses Prozesses und für alle Ämter durchgeführt wurde, brachte für das TUG ein eindeutiges Ergebnis: Ein ganz großer Teil der Mitarbeiter war unzufrieden. An sich waren die Kritik und die Wünsche der Mitarbeiter nicht neu, doch jetzt gaben wir ihnen den notwendigen Raum.

Wie stellen Sie ihr (erlerntes) Wissen zu Innovationsprozessen
anderen zur Verfügung?
Unter Federführung der Hochschule wurde eine Publikation herausgegeben, die unseren Weg in die Selbst-Orga beschreibt, die Ergebnisse der ersten Evaluation aufzeigt und auswertet (Springer Gabler Verlag, ISBN: 978–3–658–29463–2). Immer wieder erhalten wir Anfragen für Interviews, Vorträge oder Präsentationen, die wir gerne erfüllen. Ganz allgemein informieren wir über alle Entwicklungen und Projekte unseres Amtes über unseren TuG-Blog (www.tug-herrenberg.de) und unsere Social Media-Kanäle.

Was war die größte (unerwartete) Herausforderung?
Für mich persönlich war dies die Suche nach meiner „neuen Rolle“ als Amtsleiter. Ich musste die Freiheiten, die ich wollte und die ich sogar aktiv geschaffen hatte, erst einmal aushalten und die Freiräume mit neuen Inhalten füllen lernen.

Was würden Sie beim nächsten Mal anders machen?
Nichts. Natürlich gab und gibt es Erfahrungen, auf die man gerne verzichtet hätte. Manche Ideen haben sich in der „Probezeit“ als nur schwer umsetzbar, mache gar als falsch erwiesen und man hätte sich Ärger ersparen können, wenn man das gleich anders gemacht hätte. Aber es gab nun einmal keine Blaupause, auf die wir hätten zurückgreifen können und nicht nur einmal hat sich durch einen kleinen Umweg ganz unverhofft und ungeplant etwas anderes Gutes entwickelt — auf das wir vielleicht so gar nicht gekommen wären.

Welchen Vorgang gehen Sie als nächstes an?
Gerade konzentrieren wir uns sehr stark auf unsere Abteilung Grün. Der Meister geht im Frühjahr in Rente — und die Mitarbeitenden sind derzeit dabei, sich zu überlegen, wie die künftige Führungsstruktur aussehen könnte. „Ganz nebenbei“ arbeiten wir weiter an den Teilprojekten unseres Gesamtprozesses „Agiles TuG“.

Was würden Sie anderen Behörden raten, die sich aufmachen einen ähnlichen Prozess wie Sie anzugehen?
Nehmen Sie Ihre Mitarbeitenden mit. Beziehen Sie sie von Anfang an in alle wichtigen Entscheidungen und Prozesse mit ein. Mehr noch: Lassen Sie ihnen den Freiraum, die Entscheidungen selbst treffen zu können. Gleiches gilt im Übrigen für die Digitalisierung. Über die Köpfe der Mitarbeitenden hinweg kann sie nicht gelingen. Ganz allgemein sollte Digitalisierung nicht nur der Digitalisierung wegen vorangetrieben werden. Andersherum wird ein Schuh daraus: Es gibt ein Problem, für das nach einer Lösung gesucht wird — und diese kann auch gerne digital sein.

Glauben Sie, dass das gleiche oder ein ähnliches Ergebnis mit anderen Mitteln hätte erreicht werden können? Mit welchen?
Das glaube ich nicht. Schon deshalb nicht, weil der TVöD ein recht starres Korsett vorgibt und es für Mitarbeitende in den unteren Lohngruppen nur wenig (eigentlich kaum) Möglichkeiten zur beruflichen Weiterentwicklung gibt.

Welche neuen Kompetenzen wurden eventuell erlernt und welche neuen Kompetenzen benötigt „Verwaltung“ in der Zukunft?
Unsere Mitarbeitenden haben sehr viel gelernt in Bezug auf Führungsarbeit, (Bürger)Kommunikation, das Planen und kurzfristige Umplanen von Aufträgen und Arbeitsabläufen. Verwaltung ganz allgemein muss sich künftig stärker von der althergebrachten hierarchischen Führungsstruktur lösen. In Zeiten von Fachkräftemangel, der auch vor einer Verwaltung nicht Halt macht, muss Mitarbeitenden gefördert und gefordert werden. Selbstorganisiertes, zumindest aber selbstbestimmtes Arbeiten darf auch in einer Verwaltung kein Tabu sein — und unser Beispiel zeigt, dass es funktionieren kann.

Ansprechpartner:in

Stefan Kraus und Sabine Haarer
Stadtverwaltung Herrenberg
Amt für Technik, Umwelt, Grün
Stuttgarter Straße 90–92
71083 Herrenberg

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Preis für gute Verwaltung
Best Practice der guten Behördenarbeit

Die Auszeichnung macht neuartige Lösungen in der Verwaltung sichtbar und trägt so dazu bei, bürgerzentrierte Denk- und Arbeitsweisen weiter zu etablieren.