“Das Produkt von Journalismus ist die Gemeinschaft”

Stefanie Tomaschitz
#betajournalism berlin
6 min readNov 25, 2014

Die Community als Geschäftsmodell: Vor einem Monat ist das durch Crowdfunding finanzierte Magazin „Krautreporter‟ online gegangen. Die Querdenker verstehen Journalismus als „Gemeinschaft zwischen Lesern und Autoren‟ und stellen nicht die Texte, sondern die Kommentare hinter eine Paywall. Wir haben die Redaktion der Krautreporter im hippen Berliner Stadtteil Neukölln besucht und nachgefragt, wie es bisher läuft.

„Hier riecht´s gewaltig nach Kraut‟, stellt ein Kollege beim Betreten des Stiegenhauses fest. Wir finden kein Klingelschild, nichts deutet darauf hin, dass in diesem Berliner Hinterhof an der Zukunf des Journalismus getüftelt wird. „Nur eine Übergangslösung‟, meint Krautreporter Frederik Fischer, der uns in der kleinen, gemütlichen Redaktion begrüßt.

Die Redaktion der Krautreporter in Berlin-Neukölln

Seit 24. Oktober 2014 wird hier mit einem Startkapital von rund einer Million Euro — finanziert durch Crowdfunding — Qualitätsjournalismus im Netz betrieben. Was die Krautreporter auszeichnet, ist die enge Zusammenarbeit mit ihren Mitgliedern. Oder wie Fischer sagt: „Journalismus als Gemeinschaft.‟ Der Journalist Frederik Fischer, der bei Krautreporter für den Dialog mit den Lesern verantwortlich ist, erklärt im Interview, wieso dieser kollaborative Ansatz so enorm wichtig ist und wie ein alternatives Medienangebot aussehen soll.

Konzentriert sich vor allem auf die Kraut: Frederik Fischer betreut den Kommentarbereich und die Social-Media-Kanäle.

Eure Mitglieder wünschen sich von den Krautreportern ein alternatives Medienangebot. Warum?

Wir bemerken eine wahnsinnige Unzufriedenheit mit den sogenannten Mainstream-Medien. Viele Leser haben das Gefühl, dass nicht auf Augenhöhe kommuniziert wird und sie nicht ernst genommen werden.

Was machen die traditionellen Medien falsch?

Ich würde nicht pauschal sagen, dass die klassischen Medien etwas falsch machen. Das Problem, das wir ändern oder beheben wollen, ist die Klickgetriebenheit. Und das ist das Problem, das mit den meisten werbefinanzierten Geschäftsmodellen der Online-Medien einhergeht. Wenn man von Werbung abhängig ist, ist man immer auch von großer Reichweite abhängig. Und das verändert natürlich den Journalismus — und zwar nicht zum Positiven.

Krautreporter will es anders machen. Wie?

Das versuchen wir gerade selbst herauszufinden, es ist eine Herausforderung für uns. Weder unsere Leser noch wir haben ein konkretes Bild vor Augen, wie ein Medium, das eine Alternative zu den kritisierten Medien darstellt, ausschauen muss. Wir versuchen jetzt herauszufinden, was sich die Mitglieder von krautreporter.de wünschen und wie so ein alternatives Medienangebot sein könnte. Wir fragen nach wie zufrieden sie sind, was ihnen fehlt, wovon wir mehr machen sollen und wovon weniger.

Wie lange wird dieser Prozess dauern?

Der wird nie aufhören. Unsere Mitgliederschaft verändert sich ständig und wir werden immer genauer verstehen lernen, wie unsere Community zusammengesetzt ist und wie wir unsere eigenen Ambitionen mit den diversen Ambitionen unserer Mitglieder in Verbindung bringen können.

Ihr seid seit einem Monat online. Wie zufrieden ist euer Publikum, was wünscht es sich?

Es gab viele positive Rückmeldungen bisher und es hat sich der Wunsch herauskristallisiert, dass wir mehr zu Themen wie Wirtschaft und Gesellschaft machen. Auch die Mitgliederzahl steigt weiterhin, aktuell sind wir bei knapp 19.000 Mitgliedern, jeden Tag kommen zwischen 10 und 30 neue dazu. Die Mitglieder haben enormes Interesse daran, Teil des Produkts Krautreporter zu sein. Bei den Mitglieder-Treffs fragen die Mitglieder „Wie machen WIR jetzt weiter mit Krautreporter?‟ Und mit „wir‟ meinen sie uns als Gemeinschaft von Lesern und Autoren.

Inwiefern profitiert ihr von den Mitgliedern?

Wir haben einen großen Benefit. Zum einen besteht unser Geschäftsmodell ja quasi aus den Lesern. Wir haben das Versprechen abgegeben, dass wir ein Medium aufbauen, das sehr offen ist für Input von den Usern und ausschließlich von ihnen finanziert werden. Und zum anderen können wir thematisch auf das Wissen unserer Mitglieder zugreifen. Bei der Recherche denken wir die Mitglieder daher konsequent mit. Wenn es die Beteiligung, Offenheit und diesen kollaborativen Ansatz nicht gäbe, gibt es halt auch kein Krautreporter.

Wie werden die Mitglieder in den Prozess miteingebaut?

Wir publizieren nicht nur Texte, sondern geben einen Blick hinter die Kulisse, erlauben den Leuten Einfluss in der Ideenfindung und Ausgestaltung von Krautreporter. Und bei Veranstaltungen geben unsere Autoren einen Einblick in die Recherchearbeit. Der Raum bei solchen Treffen ist voll mit netten Leuten, die interessiert sind am Journalismus und an verschiedenen Themen, die aber vor allem interessiert daran sind, einander kennenzulernen. Ich wünsche mir, dass mehr Journalisten diese Erfahrung machen. Als Online-Journalist hat man sonst oft das Gefühl, dass man ein bisschen in den leeren Raum hineinschreibt, weil es kaum Feedback gibt. Es gibt zu wenig Kontakt zwischen Journalisten und den Lesern — das wollen wir definitiv ändern.

Ihr betont immer eure vollkommene Unabhängigkeit. Betreibt Krautreporter den “idealen” Journalismus?

Den Journalismus gibt es nicht. Es gibt viele verschiedene Formen von Journalismus. Wo wir dem Journalismus-Ideal sehr nahe kommen, ist der kollaborative Ansatz zwischen Lesern und Autoren. Das ist etwas, das in der heutigen Medienwelt leider verloren geht. Wir müssen eine Lösung dafür finden, dass sich viele Leute durch das mediale Angebote nicht mehr abgeholt fühlen. Wir sind da bestimmt nicht die eine Lösung, aber ein großer Schritt in diese Richtung. Wir hoffen, dass es bald viele ähnliche Projekte geben wird, denn wir alleine können das Problem nicht lösen.

Wer ist Schuld daran, dass Online-Medien zunehmend boulevardesker werden?

Wir alle irgendwie so´n bisschen. Der erste Schuldige, wenn man so sagen möchte, sind die Leute, die Werbung als Kern eines Geschäftsmodells definieren. Aber uns als Konsumenten trifft genauso die Schuld. Wenn wir Schrott nicht klicken würden, sondern Qualität, dann würde das Modell ohnehin nicht funktionieren.

Was will Krautreporter erreichen?

Inhaltlich gibt es kein klares Ziel. Wir wollen einfach guten Journalismus machen und eine gute Mischung an tollen journalistischen Inhalten anbieten. Das darüber hinausgehende Ziel ist der kollaborative Ansatz. Die Leute müssen begreifen, dass das Produkt von Journalismus nicht der Journalismus ist, sondern die Gemeinschaft. Das war schon immer so — Journalismus hat immer schon Gemeinschaften ermöglicht und gebildet. Die Leute müssen verstehen, dass eine solche Community einen Wert hat. Bei uns ist die Paywall nicht vor dem Inhalt, sondern vor der Community.

“Wir würden uns sehr freuen, wenn es mehrere solche Projekte geben würde”, sagt Fischer.

Wenn man hier im Haus Geschichten nachbespricht — mit welcher Währung wird gemessen? Ist tatsächlich nur das Feedback der Mitglieder entscheidend oder schielt man mit einem Auge auf die Klick-Zahlen?

Wir schauen nicht nur mit einem Auge, sondern mit zwei Augen auf die Zahlen. Aber nicht mit der Absicht, sich jedes Mal an den Zahlen zu orientieren. So einfach machen wir es uns nicht. Aber ignorieren können wir es andererseits auch nicht. Wir müssen ein Produkt liefern, das so attraktiv ist, dass wir weiterhin neue Mitglieder gewinnen. Mitgliederwachstum ist unsere bestimmte Metrik, Reichweite ist uns zwar nicht völlig egal, aber mehr oder weniger wurscht.

Qualitätsjournalismus mit dem Fokus auf der Crowd — ist das ein Geschäftsmodell mit Zukunft?

Wir fänden es fantastisch, wenn es mehr Leute gäbe, die das probieren. Zu so einer Crowdfunding-Kampagne gehört wahnsinnig viel Arbeit, aber Potenzial hat die Idee auf jeden Fall, sonst hätten wir es nicht gemacht. Es gibt ein grundsätzliches Problem, in dem in der Branche alle stecken: Das Produkt Journalismus verliert an Attraktivität. Ob diese Ansätze, die wir mit Krautreporter schaffen — nämlich Journalismus ganz neu zu denken — attraktiv genug für ein dauerhaftes Geschäftsmodell sind, wissen wir nicht. Ich glaube, ein zweites Jahr werden wir mit Krautreporter auf jeden Fall schaffen. Aber weiter in die Zukunft wage ich nicht zu blicken.

Wäre Krautreporter als monatliches Print-Produkt denkbar oder gibt es euch nur Online? Angenommen es gäbe den Wunsch vonseiten der Community oder ein Angebot von einem Verlag.

Bei uns ist das keine Glaubensfrage, dass wir sagen „Print ist total doof und nur Online ist super‟. Das ist eine Frage der finanziellen Ressourcen, die wir im Moment nicht haben. Mit dem Verlag wäre es aber sehr schwierig. Wir sind mit dem Anspruch gestartet, dass wir unabhängig sind. Das wäre den Mitgliedern schwer zu vermitteln, wenn wir sagen „Achja, wir arbeiten jetzt mit Springer zusammen‟. Wenn, dann mit Eigenverlag.

Gibt es eigentlich eine thematische Eingrenzung, was ihr nicht macht? Sport, Promi-Klatsch, Cat-Content?

Ich würde es nicht an Themen festmachen, sondern an der Haltung. Wir sind stark beeinflusst vom amerikanischen narrativen Journalismus. Was die Kollegen wunderbar draufhaben, ist, dass sie über die trivialsten, buntesten und unterhaltsamsten Sachen berichten, es aber trotzdem Substanz hat. Bei uns muss eine richtige Geschichte erzählt werden, es muss knallhart recherchiert und mit Quellen gesprochen werden. Es reicht nicht, nur im Internet zu recherchieren. Aber auch über Katzen kann man fantastische Geschichten erzählen.

Interview & Fotos: Stefanie Tomaschitz und Christoph Schattleitner

Originally published at medium.com on November 24, 2014.

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