Journalisten sind Musiker und undogmatische Aktivisten — so versteht Daniel Drepper sein Rollenbild. Seit vier Monaten erstellt er mit seinen Kollegen von Correctiv gemeinnützige Recherchen. Mit seiner investigativen Geschichte über tödliche Krankenhaus-Keime ist das stiftungsfinanzierte Projekt nun durchgestartet.

Journalisten, Musiker, Aktivisten

Es musste passieren. Für Daniel Drepper war die Gründung unumgänglich. Manchmal ist die Zeit für ein Projekt jetzt. Im Fall von Correctiv aufgrund der Brost-Stiftung. Jährlich eine Million Euro stellt der Initialförderer bereit. Drepper und seine Kollegen bringen mit dem Geld aus der Stiftung — die Gründung der Stiftung wurde im Testament der ehemaligen WAZ-Verlegerin Anneliese Brost verfügt — den in den USA bereits gängigen Non-Profit-Investigativ-Journalismus erstmals in den deutschsprachigen Raum. Bis vor ein paar Monaten studierte Drepper in New York, machte sich dabei Gedanken über den Nutzen von Bilanzen im Investigativjournalismus und besuchte Redaktionen wie die von ProPublica — die Benchmark im gemeinnützigen Journalismus. Schnell wussten Drepper und David Schraven, sein ehemaliger Vorgesetzter im Recherche-Ressort der WAZ und baldiger Correctiv-Chef: „Sowas wollen wir unbedingt auch in Deutschland machen.“

Was ist Correctiv?

Warum? „Weil das so geil ist, was da passiert“, erklärt Drepper. Vor vier Monaten startete dann Correctiv. Das Team mietete neben dem Café eines Hostels einen Raum — im selben Haus wie das Datenjournalismus-Projekt Open Data City. Einen Raum mit grauem Spannteppich als Boden, mit Holztischen und klassischen Bürostühlen und weißen Ikea-Regale der billigsten Kategorie aneinander gereiht– als Buchablage und als Bürowände. Atmosphäre: Start-up light. Das insgesamt vierundzwanzigköpfige Team — zwölf Festangestellte und ebenso viele Freie Mitarbeiter — hat seither drei große Investigativ-Geschichten ausgearbeitet. Correctiv bietet diese Geschichten kostenfrei anderen Medien an. “Recherchen für die Gesellschaft” lautet der Slogan.

Was ist inzwischen passiert?

Mit der nun dritten Geschichte konnte das Recherche-Kollektiv in Kooperation mit der Funke-Mediengruppe, der ZEIT und ZEIT Online für gehörigen Wirbel sorgen. Die zwanzig beteiligten Journalisten deckten auf, dass Todesfälle durch multiresistente Keime in deutschen Krankenhäusern ein wesentlich größeres Problem sind als von den Behörden offiziell ausgewiesen. Damit erreichte Correctiv deutschlandweit breite Resonanz. Die Zeit bastelte aus dem Thema ihren Aufmacher, zusätzlich hatten nach Aussage von Correctiv etwa zwei Dutzend Regionalzeitungen eigene Berichte über die lokale Situation in Krankenhäusern produziert. Bislang erwähnten außerdem laut Google News mehr als 150 Webseiten die Correctiv-Recherche — unter anderem der Klickmagnet Buzzfeed. Das rief bereits verhältnismäßig klare Reaktionen von politischer Seite hervor. Er sehe „ein riesiges Problem bei der Hygiene”, sagte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Aber auch ersten rauen Gegenwind verspürte Correctiv. Wohl mehr Bestätigung als Niederlage. Taz-Autor Jost Maurin kritisierte die Recherche als „Blamage im Großformat“. Correctiv weise die Zahl der Todesfälle aufgrund von Infektionen fälschlicherweise als die Zahl der Todesfälle durch multiresistente Erreger aus, lautet der Kern der Kritik. Das stimme erstens nicht und bestätige zweitens nur die Diskrepanz zwischen offiziellen und tatsächlichen Zahlen, konterte Correctiv. „Natürlich gibt es Probleme mit den Daten, aber die gibt es immer. Wir haben uns trotzdem entschieden, die Geschichte zu machen“, erklärt Drepper, warum Correctiv die Recherche trotz der undurchsichtigen Datenlage anging. Denn wenn Journalismus mit seiner Recherche darauf hinweist, wie Statistiken und Daten interpretiert werden müssen, ist das eine wesentliche Funktion: „Wichtig war es, vorsichtig und genau zu formulieren und klarzumachen, was uns die Daten sagen und was sie uns nicht sagen.“

Was war die letzte Geschichte?

Was dabei die Qualität ausmacht? Die Haltung des Reporters, erklärt Drepper. Schlussendlich müssen sich Journalisten von ihren Erkenntnissen leiten lassen — und nicht von ihrer Meinung, mit der sie an ein Thema herangehen. „Uns ist es wichtig, dass wir nicht mit einer Meinung in eine Recherche gehen und dann am Ende zwingend diese Meinung unter die Geschichte schreiben.“ Das mache den entscheidenden Unterschied zwischen Journalismus und Aktivismus aus: “Dass sich Journalisten durch Fakten auch vom Gegenteil überzeugen lassen.“ Dabei zähle es nicht immer, wie sich Betroffene rechtfertigen. Natürlich müssten stets beide Seiten einer Geschichte vernünftig beleuchtet werden. Aber nicht immer müsse beiden Seiten gleich viel Platz eingeräumt werden: “Wenn ich belegen kann, dass es Mist ist, muss ich es auch sagen. Es wäre ja irre, wenn wir nicht für unsere eigenen Erkenntnisse einstehen.”

Mit der neuesten Recherche und ihrem Erfolg wurde Correctiv seinem eigenen Anspruch gerecht. Die Geschichte bewegte. Nach den bereits publizierten Recherchen über internationale Finanzbetrüger und Bußgeldzahlungen nach Strafprozessen ist sie ein Gradmesser. „Wir haben uns bewusst dazu entschieden, die ersten Geschichten so anzulegen, dass nach einem halben Jahr deutlich wird, in welche Richtung wir gehen werden“, sagt Drepper. Datengebtrieben, haltungsorientiert, investigativ. Buzz-Words, die die bisherigen Werke von Correctiv beschreiben.

Wo führt der Weg hin?

Ihre Arbeit werde in Zukunft eine gewichtige Rolle spielen, meint Drepper. Weil viele Medien breite Recherche nicht mehr leisten können. Stiftungsfinanzierter Journalismus, der von seiner Nähe zur Leserschaft lebt, sei ein Ausweg aus diesem Dilemma, sagt Drepper und tippt auf die Liste, die er zuvor auf den Tisch gelegt hatte. “Das ist Pflicht bei uns, dass sich Gäste für den Newsletter registrieren”, sagte er dabei freundlich lächelnd.

Kann man mitmachen?

Um etwas zu bewegen, strebt Correctiv natürlich breiten “Impact” an, wie Drepper im Beinahe-Marketing-Jargon sagt. Mit dem verfügbaren Geld schmeißt hier keiner herum. Seine Kollegen und er wollen mit verschiedenen Formaten experimentieren und Geschichten möglichst einfach übersetzen. Im Gegensatz zu Zeitungen kann sich Correctiv sein Format an die Geschichte anpassen. Die Aufgabe von Journalismus sei es immerhin, Information schmackhaft zu machen — “den Spinat unter dem Pfannkuchen verstecken”. Ob Film, Radiobeitrag oder Theaterstück — wichtig ist, dass für die jeweilige Geschichte die richtigste Plattform gewählt wird. An der Wand neben dem großen Besprechungstisch hängen Comics, die Correctiv-Recherchen über Nazi-Strukturen verbildlichen. “Journalisten sind ein wenig wie Musiker. Man muss etwas machen, woran Leute Spaß haben und Leute dazu bringen, auch einmal auf ein Konzert zu gehen, obwohl sie sich die Musik auch gratis auf Youtube anhören könnten. Der Backstage-Effekt ist wichtig”, sagt Drepper.

Die Hinterbühne, das soll bei Correctiv in Zukunft die Community sein. Immerhin will sich das Projekt auf längere Sicht großteils selbst finanzieren. Ab fünf Euro aufwärts kann man Mitglied von Correctiv werden. Diese bekommen zusätzliche Hintergründe, kostenlose Bücher und sind zu Correctiv-Veranstaltungen eingeladen. Correctiv erfüllt dabei eine Bildungsfunktion — auch für den Journalismusnachwuchs. Ab Januar starten — finanziert durch die Rudolf-Augstein-Stiftung — zehn Fellows für jeweils zwei Monate ihr Datenfellowship in der Correctiv-Redaktion, früher oder später könnte es — je nach Zukunft — einmal einen eigenen Studiengang unter der Leitung von Correctiv geben. Das Recherchebüro versteht sich als Mischung aus Medium und Bildungseinrichtung. Nur dadurch wird es als gemeinnütziges Projekt steuerrechtlich anerkannt. Drepper und das restliche Team sehen es als ihre wesentliche Aufgabe, investigatives Know-how weiterzuvermitteln. “”Journalisten sind eigentlich nur in bestimmten Bereichen gut ausgebildete Bürger, die sich darum kümmern, dass gewisse Informationen an die Öffentlichkeit kommen. Je mehr Leute das machen, desto besser ist das für die Demokratie”, sagt Drepper. Zusätzlich zu Diskussionsabenden und Workshops können Community-Mitglieder außerdem mitbestimmen, welche Themen das Projekt in Zukunft hartnäckig recherchiert. Zurzeit stimmt die Community ab, in welches Themenfeld die Redaktion ein Recherche-Budget von 100.000 Euro investieren soll.

Drepper ist “sehr zuversichtlich”, dass Correctiv breite Unterstützung bekommen wird. Projekte wie Correctiv treffen den Zeitgeist. Seine Teilnahme an einer Podiumsdiskussion bestätige seine Annahme: “Es war total spannend, zu beobachten, wie die klassische Zeitung von den Zuhörern hart angegangen wurde und wenn ich gesagt, habe, dass man Bürger mehr Mittel in die Hand geben muss, um selber aktiv zu sein, gab es Applaus.” Manchmal ist die Zeit für ein Projekt jetzt. Im Fall von Correctiv nicht nur aufgrund der Brost-Stiftung. Es musste passieren.

Text: Adrian Engel
Foto & Video: Andreas Eymannsberger

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