David Baumgartner
#betajournalism berlin
4 min readNov 25, 2014

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Foto: Stephanie Schiller

Von der Schublade auf die Karte

Kreuzberg, Oranienstraße 19a, zweiter Stock. Die Tür steht offen, wir werden bereits erwartet. Es steht jemand vor uns, der vom Medium Magazin als Newcomer des Jahres 2012 für seine datenjournalistische Arbeit ausgezeichnet wurde. Für seine Vorratsdaten-Anwendung erhielt er 2011 den Grimme Online Award, einen Lead Award und den Online Journalism Award der Online Journalism Association aus den USA. Es begrüßt uns: Lorenz Matzat.

Einer der bekanntesten Datenjournalisten im deutschsprachigen Raum schickt quer durch sein Büro, vorbei an Journalisten, Programmieren und Designern, in den Besprechungsraum. Er bietet uns Kaffee an. „Im journalistischen Alltag fallen so viele Daten an, die gar nicht verwendet werden und im Papierkorb landen”, beginnt er zu erzählen. Wenn er von „Daten“ spricht, dann meint er damit recht viel. Je nach Unternehmen gibt es verschiedenste Veranstaltungsinfos, Bewertungen, Aufzeichnungen, Dokumente oder simple Zahlen, die unverwertbar in den Schubladen der Redaktionen und Unternehmen herumliegen. Zugleich verstecken sich hinter diesen „Datenschätzen“ aber viele Geschichten. Im Jahr 2010 gründete Matzat mit Marco Maas das Unternehmen OpenDataCity — mit dem Ziel, genau solche Geschichten zu schreiben und dem Datenjournalismus neuen Schwung zu verleihen.

Lieblingsstück
„Hier, eines meiner Lieblingsstücke“, sagt Matzat, während er auf seinem Computer eine Website öffnet. 2011 hoben Matzat und Maas mit anderen Kollegen von OpenDataCity eine Anwendung mit dem Namen „Zugmonitor“ aus der Taufe. Der Zugmonitor ist eine interaktive Deutschlandkarte, die alle Verspätungen der Deutschen Bahn auflistete. Man konnte den eigenen Zug suchen und sogar die Entstehung der Verspätung zurückverfolgen. Es ist das bis zu diesem Zeitpunkt einzige bekannte datenjournalistische Projekt, das Echtzeit-Daten visualisierte. Heute ist es allerdings nicht mehr online. Der Grund: Die Deutsche Bahn stellte ab und zu ihre Homepage um, und die Süddeutsche wollte für die erforderliche technische Überarbeitung, die notwendig gewesen wäre, keine finanziellen Mittel mehr bereitstellen.

Foto: Stephanie Schiller

Preisgekrönt
Es gibt jedoch eine zweite Anwendung, auf die er stolz zu sein scheint — und sie ist nach wie vor aufrufbar. Die preisgekrönte Vorratsdaten-Anwendung ist eine Visualisierung der Vorratsdaten-Spuren, die der deutsche Grünabgeordnete Malte Spitz mit seinem Mobiltelefon sechs Monate lang hinterlassen hatte. Er zeigt uns die Anwendung auf seinem Computer und erklärt, wie viel Rechercheaufwand dahintersteckt. „Ich habe viel gelernt. Ich könnte jetzt eine Stunde nur über Vorratsdaten sprechen“, schmunzelt er. Das mediale Echo war groß — dieses Projekt machte erstmals sichtbar, wie die Vorratsdaten das Bewegungsprofil der Menschen recht deutlich nachvollziehbar machen.

Anfang 2014 hat Matzat sich dazu entschlossen, OpenDataCity zu verlassen und sich auf jenes Unternehmen zu konzentrieren, in dem wir heute sitzen: Lokaler. Programmierer, Designer und Journalisten sind in der Oranienstraße 19a angestellt. Sie beschäftigen sich alle mit dem zentralen Produkt von Lokaler: Eine interaktive Anwendung, die sämtliche Daten eines Unternehmens, die einen Geo-Bezug aufweisen, auf digitalen Karten darstellt.

Kartenspiel
Der Vorteil von Geo-Visualisierungen? Das Informationsangebot auf vielen Webseiten sei riesig, meint Matzat, dementsprechend groß sei auch der Zeitaufwand, um die gewünschten Informationen zu finden. Der simple Matzatsche Lösungsansatz: Lokaler macht die Karte statt der Website zum Einstiegspunkt für die Suche. Das Unternehmen entwickelte eine Software, die in der Lage ist, aus sämtlichen Datenbanken, Kalendern, Emails und Dokumenten, die sich auf den Rechnern eines Unternehmens befinden, halbautomatisch Informationen mit Ortsbezug zu filtern und diese auf einer einzigen Karte anzuzeigen. „Mich störte am bestehenden Kartenangebot, dass Karten meist nur ein Problem lösen. Ich dachte, dass es schön wäre, wenn auf einer einzigen Karte alle Informationen dargestellt werden.“

Foto: Stephanie Schiller

Wie dies aussehen könnte, zeigt Lokaler am Beispiel der Karte „Go-Berlin“, die Matzat und Co für die Berliner Stadtmagazine Tip und Zitty konzipierten. Es ist die erste große Anwendung von Lokaler, die unmittelbar vor dem Launch steht. Die bereits aufrufbare Alpha-Version zeigt auf der interaktiven Berlin-Karte Daten aus den Bereichen wie Gastronomie, Freizeit, Musik — in etwa einem Monat soll laut Matzat die ausgefeiltere Beta-Version online gehen. Der Berlin-Besucher sieht, was rund um ihn passiert, findet mit wenigen Klicks das nächste Kino oder vietnamesische Restaurant und kann prompt auch die Bewertung dazu lesen. Das Angebot richtet sich auch an Lokalredaktionen. Die Mittelbayerische Zeitung profitiert bereits vom Lokaler-KnowHow: Ihre Karte visualisiert neben Freizeitangeboten auch aktuelle, lokale Nachrichtenmeldungen.

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