8 banale Customer Pains, die auch die radikalsten Innovationen nicht lösen konnten.

Ruzbeh Tadj
Beton
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6 min readMay 7, 2018

Ich habe wie immer meine Zeit zu knapp bemessen und sitze im Taxi zum Flughafen. 40 CHF vs. 3.40 CHF für das Trambillet sprechen für sich. Am Flughafen angekommen erfahre ich 40 Minuten vor Abflug, dass sich mein Flug um eine Stunde verspätet. Das ist genau die eine Stunde, die mir gerade so schmerzlich gefehlt hat.

Was ich mich frage: Warum versendet die Airline nicht eine Mail oder SMS wenn Sie bereits weiss, dass die Maschine nicht pünktlich abheben wird?

In meiner Bestätigungsmail der Fluggesellschaft und deren weiterführende Website bekomme ich jedes mal alle möglichen “personalisierten” Angebote, die ich nicht brauche.

Ich fliege alle 3–4 Wochen nach Deutschland, um meine Familie zu besuchen. Ich fliege zu 87% zu gleichen Zeiten, nämlich die entspannten Flüge ausserhalb der Rushhour immer an den selben Tagen für ein verlängertes Wochenende.

Meine Airline kam noch nie darauf, mir eben just für diese Flüge ein entsprechendes Angebot zu machen.

Ich weiss nicht, ob solch eine Dienstleistung die Insolvenz von Airberlin verhindert hätte. Was ich mich jedoch frage: mit welchen “Customer Pains” befassen sich die ganzen Customer Experience Labs der Konzerne?

Wir haben 8 Kundenprobleme aufgelistet, über die wir wahrscheinlich auch in ferner Zukunft weiterhin die Köpfe schütteln werden, aber gleich die Design Challenge mitgegeben, falls es doch mal Disruptions-Leerlauf in den CX Abteilungen geben sollte :)

1- Meine Fluggesellschaft informiert mich erst wenn ich am Gate bin, dass mein Übersee Flug drei Stunden später abgeflogen ist und daher drei Stunden Verspätung hat.

These: Der Beton im Unternehmen geht weiterhin auf Nummer sicher und kommuniziert so wenig wie möglich.

Schliesslich wollen sie sich keine Blösse geben und können noch nicht mit Fehlern umgehen. Wir müssen aber auch selber entspannter werden und nicht gleich nach fünf Minuten in Panik verfallen.

Design Challenge: Wie können Reiseveranstalter, Mobilitätsanbieter und Flughägen, Bahnhöfe, Häfen keine Datenbrüche mehr haben? Vorschlag: Könnten alle Player ihre Informationen zur Verkehrslage einfach zugänglich machen?

Es ist mein voller Ernst!

2- Der Chatbot meiner Versicherung verbindet mich mit dem richtigen Ansprech-Bot für meine Anfrage. Nach 5 Minuten in der Warteschleife fragt mich der neue Bot nach meiner Kundennummer und Geburtsdatum.

These: Liegt es am Datenschutz? — Nein, denn ich habe mich ja schon eingelogged. Es ist viel banaler. Das agile Hors-Sol-Team will möglichst schnell an den Markt und die bodenständige interne Datawarehouse mag nicht einfach nur liefern, sondern würde gerne mitarbeiten.

Design Challenge: Wie schaffen wir es siloübergreifend zusammenzuarbeiten und ein Erlebnis aus einer Hand anzubieten? Wie kann dabei Design Thinking entlang Unternehmenseinheiten kombiniert werden?

3- Re-Targeting funktioniert am Besten, wenn ich schon das Produkt gekauft habe. Wird es durch AI schlimmer?

These: “Retargeting ist eine dämliche und stumpfe Technik. Es zeigt weder Respekt für einen potentiellen Kunden noch schafft es nicht dem Kunden nützlich Informationen zu geben. Durch die wahnsinnige Repetition fragt man sich, ob Werber und Marketer damit die Menschheit einfach nur verrückt machen wollen.” — Bruce Kasanoff

Hier mal ein Beispiel wie Re-Targeting mir richtige Erlebnis-Gänsehaut verpasst. In Rot zeigen Pfeile auf Hotels für meinen Sardinienurlaub, der letzte Woche stattgefunden hat. Eigentlich suche ich aber ein Effektgerät für meine Musik-Equipment:

Toll gemacht wie immer: Re-Targeting

Design Challenge: Wie sieht eine Marketingstrategie aus, die gänzlich ohne Verkaufsbanner aus kommt?

Kennt Ihr das? Re-Targeting ist einfach ätzend.

4- Die AGBs und Cookie Warnungen werden auch weiterhin weggeklickt und nicht verstanden

These: Neuen Datenschutzregeln für Europa und für die Schweiz sind zwar ein grosser Fortschritt und auch verbesserter Konsumentenschutz ist wichtig.

Leider ist es aber vorwiegend eine juristische Angelegenheit. Wir werden wohl einfach längere AGBs haben mit noch deutlicheren Warnhinweise. Wir klicken sie sowieso nur weg und fühlen uns nicht ernst genommen. AGBs als Service könnten so vieles mehr erreichen. Aber zur Zeit scheinen sie unsere Ansprüche weg-zu-bedingen :)

Design Challenge: Wie können AGBs gestaltet werden, dass sie dem Kunden sogar einen Mehrwert bringen, wenn sie diese verstanden und gelesen haben?

Gelesen und akzeptiert? Ich don’t think so.

5- Egal wie Smart unser Home wird: Wir werden immer noch gleich viel Zeit für den Haushalt aufwenden

These: Im smarten Home wird der Zeitaufwand wird nicht kleiner, weil wir mit Sicherheitsupdates beschäftigt sind.

Die Techniksoziologin Judy Wajcman zeigt in ihrem Buch “Pressed for Time” eindrücklich auf, wie der Haushaltsaufwand insbesondere für Frauen sich nicht durch die Einführung neuer Technologien senkt.

“The concept of rising standards implies a greater quantity or quality of domestic production — for example, more or better meals, cleaner clothes, and more attractive lawns. In other words, it may be that appliances are being used to increase output rather than to reduce the time spent on housework.” — Judy Wajcman

Design Challenge: Wie könnten wir beitragen, dass die dank Automatisierung im Haushalt eingesparte Zeit für erholsame oder kreative Aktivitäten genutzt wird?

#UBI?

Bild: Joyotech

6- Bei jeder dritten Webseite muss ich das Passwort neu eingeben. Trotz Sicherheitshinweise bleibt es gleich: [Name Kind + Geburtsdatum + Jahreszeit]

These: Die Passwortregeln sind überall anders, so dass wir resignieren und die einfachen Facebook/Google Logins nutzen, aber wissen wir wirklich wie diese Blackbox funktioniert?

Design Challenge: Wie können Seiten und Services ihre Security gestalten, dass keine Passwörter mehr benötigt werden?

7- Die Preispläne für Abos und Produkt Bundles bleiben uns ein Rätsel, egal wie sehr sich das Marketing anstrengt.

These: Wir glauben zu sehr daran, dass wir Mehrwert schaffen, indem wir zu etwas bestehendem etwas neues hinzufügen.

Ein Schönes Beispiel sind Telkoanbieter. Es ist nicht möglich sich sein persönliches Abo modular zusammenzustellen, sondern findet die Anreize eher darin seinen Mobil, Festnetz und TV-Vertrag gleich im Bundle zu kaufen. Oder Versicherungen. Oder….

Design Challenge: Wie gestalten wir neue Produkte und Service gemäss dem Motto: “Removing a feature is a feature!” ?

8- Trotz SAP, Salesforce und Hootsuite: Mein go to program bleibt Excel & Powerpoint. Plus Outlook

These: Die perfekten Daten auf einem Klick ist eine Wunschvorstellung fernab der Realität. Daraus entstehen gemäss David Graeber sehr viele „Duct-Tapers“ oder „Box-Tickers“-Jobs.

Was viele unterschätzen: Die Qualität der Daten ist auch bedingt durch die vergangenen IT-Investierungsentscheidungen als auch komplizierter Geschäftsmodelle, Pricing, Supply Chain etc.

Warum haben wir den Hang zu viel in die Technologie zu projizieren? Wir nehmen die Systemlandschaft als Entschuldigung dafür ineffiziente Prozesse nicht zu ändern!

Design Challenge: Wie müssten wir uns organiseren und arbeiten, wenn wir unsere Tools nicht hätten, aber unsere Rentabilität um 30% steigern müssten?

Fazit:

Am Ende dieser Reflektion steht bei uns ein Appell an den Pragmatismus.

Ein krasses Beispiel hierfür ist dieser Post von Dieter Zetsche, der darauf hinweist, dass wir bei allem Umbruch und Aufbruch die vermeintlichen „Basics“ nicht vernachlässigen sollten:

Manchmal vergessen wir vor lauter Disruptionswahn, dass pragmatische Lösungen zwar nicht sexy sind, aber Kunden echt happy machen.

Happy :)
Wie immer, hat Winston ein cheesy Schlusswort, das er nicht gesagt hat :)

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Ruzbeh Tadj
Beton
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Kommunikation — Human Centered Design — Transformation — Musik