Agil sein ist wie laut singen in einem Bus voller Leute

Denniz Dönmez
Beton
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3 min readFeb 4, 2019
Wie sich CEOs agile Teams vorstellen, wenn sie auf Panels diskutieren

Wir hören viel über Agile Transformationen und dass dabei das “Mindset” eine wichtige Voraussetzung ist. “Die Leute müssen bereit für den Wandel sein”, heisst es, und “ihr Mindset ändern”. Dabei reden viele agile Coaches so, als ob allen völlig klar sei, was dieses Mindset ist. Es scheint, als sei es lediglich eine Frage der Einsicht. Wenn die Leute bloss akzeptieren würden, dieses Mindset anzunehmen, dann wäre ein grosses Problem gelöst. Ist es wirklich so einfach?

Dazu eine Parabel

Als ich im Herbst in Paris war, ist mit bewusst geworden, wie unfreundlich die Stadt zu jungen Familien mit Kinderwagen ist. Besonders in der Metro haben sie das Problem, die Wagen jedesmal lange Treppen runter und wieder hoch tragen zu müssen. Aus diesem Grund nehmen die Kinderwagenträger eher den Bus, wo man mit weniger Aufwand hineinkommt.

An einem verregneten Sonntag konnte ich beobachten, wie sich überfüllte Busse durch die Stadt schoben, die so voll waren, dass die Scheiben von innen anliefen. Dicht gedrängte Eltern standen darin zwischen Kinderwagen. Eine Mutter malte mit ihrem Finger Figuren an die beschlagene Scheibe, ein Ratespiel für ihren kleinen Sohn, der rief: “Une etoile!, une voiture!”

An einem anderen Fenster stand ein kleines Mädchen an seine Mutter gelehnt und stimmte ein Lied an. Frère Jacques, frère Jacques, dormez-vous? sang sie. Danach kam sie allerdings nicht weiter. Der Text schien ihr entfallen zu sein. Sie schaute zur Mutter, die den Text kannte. Aber die Mutter wollte offenbar nicht mitsingen. Nachdem das Mädchen ein weiteres Mal vom Liedanfang bis zur der Stelle kam, und nicht weiter wusste, löste die Mutter zu ihrer Erleichterung auf: Sonnez les matines! Sonnez les matines! Ding, dang, dong. Ding, dang, dong…

Ich hatte das Gefühl, dass die Mutter zu Hause einfach laut mitgesungen hätte. In einem Bus voller Leute aber war es der Mutter peinlich. Bevor sie Kinder hatte, hatte sie wahrscheinlich, wie wohl die meisten von uns, nie in einem Bus singen müssen.

Ich denke, sie hatte ein “Mindset Problem”.

“Das Mindset Problem” ist folgendes:

Was wir in der Vergangenheit auf eine bestimmte Weise gemacht haben, müssen wir in Zukunft vielleicht anders machen, weil die alten Herangehensweisen nicht die von uns gewünschten Ergebnisse liefern. Ob Arbeitsalltag oder im Pariser Bus: Wir müssen unsere Annahmen und Verhaltensweisen ändern, wenn sich die Umstände und Anforderungen ändern.

Ohne Kinder musste die junge Mama in Paris 30 Jahre lang nicht im Bus singen. Aber diese Zeiten sind vorbei. Das mag im ersten Moment schwierig, peinlich oder unangenehm sein. Aber es wäre falsch, die neuen Herausforderungen zu ignorieren und so zu tun, als hätte sich nichts verändert.

Dies gilt nicht nur für diejenigen, von denen wir ein neues Mindset fordern. Es gilt vor allem auch für uns selbst und unser eigenes Verhalten in allen Rollen, auch (oder gerade als) Coaches!

Das Neue wird nur solange unbehaglich sein, wie es ungewohnt ist. Sobald alle im Chor singen und akzeptieren, dass niemand immer alle Töne perfekt trifft, werden wir gemeinsam ein grossartiges Konzert abgeben.

Cheesy quotes von Albert Einstein sind am schönsten, wenn Churchill sie vorträgt.

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Denniz Dönmez
Beton
Writer for

Facilitator + Interdisciplinary Scholar + Expert on Agile Leadership + Organizational Design Thinker (PhD)