Mensch und Kultur — wichtiger als Technik? Photo by Gert Altmann on Pixabay

Human Touch: Die Faktoren Mensch und Kultur im digitalen Change-Prozess

Kai Dahlke
Published in
5 min readMay 3, 2018

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Spricht heute irgendwo auf der Welt ein Zukunftsforscher über seinen Blick in die Kristallkugel, so fällt fast zwangsläufig der Begriff Digitale Transformation. Speziell in der Wirtschaft wird das Buzzword als Mantra verwendet, oft als Synonym für Zukunftsvision. Und laut der aktuellen Studie Digitale Dividende im Mittelstand, ist die Digitalisierung in der Geschäftswelt sogar überlebenswichtig. Dies sagten zwei Drittel der befragten CEO und CIO aus 54 deutschen Unternehmen.

Aktionismus fährt die Karre gegen die Wand

Also los geht’s mit der Digitalisierung. Doch Vorsicht, digitaler Aktionismus bringt nichts. Man erinnere sich nur an die Einführung der sozialen Medien in Unternehmen, die oft nach dem Motto liefen: „Mach uns mal schnell so ´ne Facebookseite, das hat doch jetzt jeder.“

Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Es geht um nichts weniger als um die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens. Das funktioniert nur mit einer individuellen Strategie. Hilfreich ist es hierbei, Know-how von externen Experten einzubeziehen.

Aber Vorsicht: Anbieter von standardisierten Baukasten-Lösungen sind nichts als Scharlatane.

Hinzu kommt der weit verbreitete Irrglaube, digitale Change-Prozesse bestünden ausschließlich aus technischen Fragen wie:

  • Welche Systeme garantieren, dass Daten verfügbar sind, wenn sie gebraucht werden?
  • Mit welchen Tools organisiert man Collaboration über global verteilte Standorte hinweg?
  • Wie schafft man den Spagat zwischen hoher Datenverfügbarkeit und dem Schutz sensibler, unternehmenskritischer Informationen?

Zu viel Konzentration liegt auf technischen Belangen

Picture by bitgrip

Lange suggerierten Heerscharen von Beratern, dass Wandel allein durch technische Lösungen möglich sei. Das Klären derartiger Details ist weder der erste noch der wichtigste Schritt in die digitale Zukunft. Davor ist Basisarbeit zu verrichten.

  • Wie schafft man durch Digitalisierung möglichst großen Mehrwert für die Kunden?
  • Welche Prozesse sollen digitalisiert werden?
  • Stichwort Disruption: Funktionieren meine Businessmodelle in der digitalen Welt überhaupt?
  • Eröffnen sich sogar neue Geschäftsfelder?

Um diese Fragen zu beantworten, braucht es eine ehrliche Analyse, ohne Rücksicht auf persönliche Interessen, Abteilungsgrenzen oder andere heilige Kühe. Und an diesem kritischen Punkt scheitern viele Unternehmen. Zum einen setzen sie auf herkömmliche Strukturen und traditionelle Vorgehensweisen, zum anderen unterschätzen sie interne Beharrungskräfte.

Kultur hilft Beharrungskräfte abzubauen

Gefragt sind Agilität, eine offene Kommunikation, veränderungswillige und -fähige Unternehmenskultur und Mitarbeiterpartizipation. Kurz: Hier hilft nicht die Technik, sondern der Mensch! Dessen Bedeutung bei der Digitalisierung wird mittlerweile immer klarer erkannt.

Sabine Bendiek, Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland, bringt die Erkenntnis in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung auf den Punkt:

„Der menschliche Faktor ist der wichtigste in der ganzen Debatte um die digitale Transformation.“

Für einen erfolgreichen Wandel und die damit einhergehenden Veränderungen in der Art und Weise, wie wir miteinander arbeiten und kommunizieren, braucht es überzeugte, motivierte Menschen. Mitarbeiter können die Digitalisierung eines Unternehmens erfolgreich gestalten oder eben scheitern lassen.

Führen heißt coachen, ermutigen und unterstützen

Es ist die wichtigste Aufgabe von Unternehmensführern, die eigene Belegschaft zu motivieren und ihr zu zeigen, wie sinnvoll — ja alternativlos der Wandel ist. Hier entscheiden nicht coole Tools, sondern vor allem eine innovationsfördernde Unternehmenskultur und gute Argumente.

Dazu braucht es eine Führungsebene, die folgende Dinge berücksichtigt:

  1. Veränderungswillen muss authentisch vorgelebt und nicht nur von anderen eingefordert werden.
  2. Vorbehalte und Ängste der Belegschaft sind ernst zu nehmen. Laut der Microsoft-Studie „Digitalisierung für alle“ hat die Hälfte der Befragten Angst um den eigenen Arbeitsplatz.
  3. Chancen und Nutzen der Digitalisierung werden mit konkreten Beispielen verdeutlicht. Gleichzeitig dürfen mögliche negative Aspekte nicht verschwiegen werden.
  4. Entscheidungen werden gemeinsam getroffen und transparent kommuniziert.
  5. Heterogene Teams von ‚digital ambassadors‘ (nach Alter, Geschlecht, Ausbildung, Position — Stichwort diversity) vermitteln Sinn und Notwendigkeit des digitalen Wandels bei der Belegschaft.
  6. Mitarbeiter müssen Zeit und Ressourcen bekommen, um neue Methoden und Tools in realen Szenarien zu testen, weiterzuentwickeln und ihre Erfahrungen zu teilen. Denn die Digitalisierung funktioniert evolutionär. Sie kann schrittweise gestaltet werden. Die Digitalisierung ist keine Revolution, die plötzlich unveränderbare Tatsachen schafft.
Auch ganz Große können krachend scheitern — Photo by AntonRepponen on Unsplash

Die Führungsebenen von Nokia oder Kodak, ehemals unangefochtene Marktführer ihrer Branchen, haben zu wenige dieser Aspekte beachtet, wie dieser (englische) Artikel bestätigt.

Im besten Fall schafft es das Management, bei möglichst vielen Mitarbeitern eine positive, lern- und veränderungswillige Mentalität zu etablieren. Die Psychologin Dr. Carol Dwecks von der Universität Stanford nennt diese Einstellung Growth Mindset‘.

Menschen mit diesem Mindset verstehen, dass sie ihre Fähigkeiten und ihre Intelligenz weiterentwickeln können. Damit sind sie geradezu prädestiniert, die Herausforderungen der digitalen Transformation zu bewältigen.

Organisation werden um Talente der Menschen herum gebaut

Der (unternehmens)kulturelle, menschliche Faktor hat entscheidenden Einfluss auf das Gelingen der Transformation. Laut Professor Ayad Al-Ani, Lehrbeauftragter für digitale Kultur an der Universität Basel, steht der Mensch sogar im Zentrum der digitalen Ökonomie, in der Organisationen um die Talente der Mitarbeiter herum aufgebaut würden.

Persönliche Weiterentwicklung wird zu einem normalen Lebensbestandteil

Lernen, Lernen, nochmals Lernen

Aber was heißt das konkret für uns? Das rasante Tempo des digitalen Wandels verkürzt die Halbwertszeit unseres Wissens und unserer Kompetenzen. Stetes Lernen und Ausbauen unserer Talente wird damit zur Basis, um in der zukünftigen Arbeitswelt zu bestehen. Das setzt ‚Growth Mindset’ voraus.

Was zunächst anstrengend klingt, ist bei heutigen ‚Young Professionals’ schon völlig normal. Wichtiger als “mein Auto, mein Haus, mein Boot” sind eine sinnhafte, gesellschaftlich anerkannte Arbeit und das Bedürfnis nach persönlicher Weiterentwicklung. Auch hier ist der Wandel bereits in vollem Gang.

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Kai Dahlke
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