Afroeuropa, Indie-Rock und die Suche nach Identität

SchwarzRunds Biskaya (2016) skizziert ein Europa in einer fiktiven nahen Zukunft. Es geht um Musik, um Familie, um Identität. Der Roman behandelt das Leben von Tue, die mit ihrer komplexen Identität als Schwarze, queere Person in Berlin hin- und hergerissen wird. Die Autor*in labelt ihren Roman als ›afropolitan‹ und bringt damit einen Begriff ins Spiel, der die afrodiasporische Erfahrungswelt selbstbewusst interpretiert.

Von Dominik Wellmann

Stimme geölt, Gitarren gestimmt, Publikum wartet. Es kann losgehen. Tue weiß, dass sie mit ihrer Musik auf die Bühne gehört. Doch das ist auch so ziemlich die einzige Sicherheit, die sie ihrem Leben bisher abgewinnen konnte. Die Protagonistin des Romans Biskaya ist eine afropolitane Figur, die auf ihrer Suche nach Identität und Zugehörigkeit mit ihren Erfahrungen in Deutschland und auch mit ihrer Liebe zur Musik immer wieder lose Enden findet. Sie hat das Gefühl, weder Europa noch Afrika als Heimat beanspruchen zu können. Sie existiert in der Diaspora und findet keinen festen Halt für ihre Identitätsentwürfe:

»Da war nur noch Tue, eingesperrt in der Starre, zur Gänze ihren Emotionen ausgesetzt. Sie flossen über ihre Seele, ihr Gemüt, ihr ganzes Sein und zogen ihre Existenz in Zweifel. Erinnerungen schossen hoch, Bilder von demütigenden Situationen, die zu lange zurücklagen, um sie greifen zu können. Sie erinnerte sich daran, wie sie mit 14 Jahren nicht begriffen hatte, warum sie nicht mit ihrer besten Freundin zusammen sein konnte, ohne dass die anderen Kinder in diesem neuen Land sie triezten.« (SchwarzRund 2016: 33)

Diese frühen Erfahrungen scheinen sich in der Gegenwart abgemildert zu haben: Tue findet scheinbar ihre eine eigene Community in der Indie-Szene Berlins, doch auch da warten für sie als Schwarze Person Spannungen. So nachvollziehbar dieser handlungstreibende Konflikt ist, so abstrakt kann der Begriff ›afropolitan‹ wirken, also: Was bedeutet eigentlich Afropolitanismus?

Afropolitanismus ist eine Bewegung und Denkfigur, die im frühen 21. Jahrhundert entstand und die afrikanische Diaspora als eine transnationale, kosmopolitische Gemeinschaft betrachtet. Sie betont die Bedeutung der kulturellen, politischen und sozialen Verbindungen zwischen Afrika und der Diaspora und schließt an Gedanken des Panafrikanismus an, also dem Konzept einer Gesamtheit der afrikanischen Bevölkerung gelöst von ethnischen oder nationalen Grenzen. Afropolitanismus lehnt traditionelle ethnische und nationalstaatliche Grenzen ab und betont stattdessen die Verbindungen zwischen Schwarzen Menschen in verschiedenen Teilen der Welt.

Küste des Golfs von Biskaya bei Peñas

In Biskaya zeigt SchwarzRund, dass afrodeutsche Erfahrungen Teil dieser globalen Bewegungen sind und wie diese Bewegungen trotz Anstrebens dynamischer Kulturgrenzen ihre eigene Stimme und Ausdrucksform in der Gesellschaft suchen. Der Roman stellt eine fiktive Zukunft Europas dar, mit Hauptaugenmerk darauf, dass eine Insel im Golf von Biskaya als gleichnamiger Staat agieren möchte. Die Mehrheit der Bevölkerung dort ist Schwarz und auch Tue hat Wurzeln auf der Insel. Die Möglichkeit des ersten europäischen Landes mit überwiegend Schwarzer Bevölkerung steht im Raum. Der Roman experimentiert mit diesen Zukunftsmöglichkeiten von afroeuropäischen Stimmen und Ausdrucksformen in der Gesellschaft, auch gerade anhand der unterschiedlichen Communities wie der Indie-Rock Musikszene Berlins, in die Tue eintaucht.

Tues Band ist von der Indie-Rock-Bewegung der Hamburger Schule inspiriert. Die Hamburger Schule ist eine in den 1990er Jahren entstandene Strömung des Indie-Rocks, die sich durch eine gitarrenlastige, eher minimalistisch zusammengesetzte Instrumentierung und autobiographisch inspirierte, häufig selbstironische, deutschsprachige Texte auszeichnet. Die Musik der Hamburger Schule diskutiert nicht selten sozial-politische Themen, oft kritisch und mit Bezug auf die eigene Lebenswelt und Alltagserfahrungen der Bands. Nationalistischen und faschistischen Ansichten wird auf gut Deutsch die Meinung gegeigt. Hier lässt sich nun auch der Bezug zur Hauptfigur Tue herstellen. Nationalistische Gedanken abzulegen und für dynamische Kulturgrenzen zu plädieren, ist genauso in ihrem Sinne, wie die künstlerische Verarbeitung aktueller persönlicher Erfahrungen.

Für Tue steht die Musik für Freiheit und Selbstbestimmung und wird schließlich zu einem Ausdruck ihrer afropolitanen Identität. Spannend ist der Weg, den die Geschichte des Romans dorthin geht. Denn trotz aller vermeintlichen Aufgeschlossenheit, hat Tue mit dem Umfeld der Musikbewegung zu kämpfen, das zwar links, aber größtenteils weiß und männlich geprägt ist. Sie weicht als Schwarze queere Frau von der vermeintlichen Norm ab, an die die Mehrheit der weißen Bevölkerung gewöhnt ist. Sie kann sich nicht besonders gut in die Bewegung einfühlen, da ihre Werte als Schwarze Frau nicht repräsentiert oder sogar teilweise abgelehnt werden. Gezwungenermaßen versucht sie sich zu Beginn der Handlung den weißen Normen und Erwartungen anzupassen, indem sie sich beispielsweise ihre Haare glättet. Den Versuch, diesen und weiteren rassistischen Stereotypen zu entkommen, stellt der Roman häufig in den Mittelpunkt. Tue gelingt dieser Schritt jedoch nur unter großen Anstrengungen. Ihre Gedanken, nachdem sie sich ihre Haare abrasiert hat, lesen sich beispielsweise folgendermaßen:

»Doch die Stadt hatte sich an diesem Morgen von einer anderen ihr bisher unbekannten Seite gezeigt. Die Blicke der Weißen suchten nicht mehr nach kleinen Wellen, die die Authentizität ihrer geglätteten Haare infrage stellten. Geschwister warfen ihr keine bewundernden Blicke mehr zu, während sie den eigenen weggeätzten Haaransatz unter Perücken verbargen. Andere Geschwister, die ihre Afros stolz durch den Kiez trugen und vor grapschenden Händen verteidigten, blickten sie nicht mehr mitleidig an, weil sie sich den Normen beugte.« (SchwarzRund 2016: 22)

Buchcover: SchwarzRund: Biskaya. Afropolitaner Berlin-Roman. Zaglossus, 2016.

Mit der Erkenntnis, dass sie ihre eigene Identität innerhalb dieser Musikbewegung nicht wiederfinden kann, verlässt Tue schließlich die Band. Sie versucht einen eigenen Stil zu finden, bei dem Selbstfindung und ein fehlendes Zugehörigkeitsgefühl im Mittelpunkt stehen sollen. Das ist eine Analogie zur Identitätssuche der afrikanischen Diaspora als Ganze, die die Entstehung eines neuen dynamischen Verständnisses von kulturellen Grenzen innerhalb eines gemischt-ethnischen Raums anstrebt. An diesen Grenzen treffen Menschen wie Tue immer wieder auf Abweisung und Feindseligkeit, sodass schließlich die Bildung einer eigenen Einheit von Nöten ist. Das Aufeinanderprallen der relativ jungen, allgemein als progressiv verstandenen Strömung des Indie-Rocks der Hamburger Schule mit der Protagonistin Tue, bringt deren blinden Flecken zum Vorschein: Die Ausgrenzung von nicht-weißen Erfahrungswelten. Auch derartige Räume können unter einem Klima von Zugehörigkeitskonflikten leiden. Tues Erfahrungen werden wie folgt beschrieben:

»Die Details, dass sie sich die Karriere selbst erarbeitet hatte, dass sie als einzige Schwarze Künstlerin in der alten Hamburger Schule unterwegs, erfolgreich und bekannt war, verblassten. Es war nur eine neue Rahmung: Alles Erreichte war so geschehen, wie es König Karl von irgendwas gefallen hätte. Sie erinnerte sich an die alten Revolutions-Lieder, die zu Beginn der Befreiung der Insel gesungen worden waren, in einem hieß es: ›indem sie VWL, BWL, Jura zur Berufung machen‹« (SchwarzRund 2016: 180)

Genau in Tue findet sich die Problematik einer Generation wieder, die sich zwischen verschiedenen Identitäten und Kulturen bewegen und ihre Erfahrungen in einer globalisierten Welt reflektieren muss. Zentral ist dabei die Forderung nach einer Plattform für politische und soziale Veränderungen. SchwarzRund zeigt mit Biskaya, wie Menschen in der afrikanischen Diaspora in Europa mit rassistischen Vorurteilen und Diskriminierung konfrontiert werden. Bereits erkennbar an den vorgestellten Textstellen sind für SchwarzRund Zynismus und Übertreibung keine Fremdwörter. Dieser Stil ist vielleicht Geschmackssache, er ist aber im Ernst der Thematik begründet. Denn: Schwarze Menschen werden in Deutschland und Europa weiterhin oft als ›die Anderen‹ betrachtet und sind mit Rassismus, Vorurteilen und Diskriminierung konfrontiert. Biskaya beschreibt, wie hartnäckig Afroeuropäer*innen in Deutschland und Europa für ihre Rechte und Räume kämpfen müssen — und kritisiert die Notwendigkeit dafür deutlich. Jedem*r Leser*in muss klar werden, welche Bedeutung der afrikanischen Diaspora als transnationale, kosmopolitische Gemeinschaft zukommt und, wie mit dem Konzept Afropolitanismus traditionelle ethnische und nationalstaatliche Grenzen überwunden werden. Biskaya ist ein Werk, dessen Thema zu wenig gesellschaftliche Aufmerksamkeit erhält und das folglich jede Seite Lesen wert ist.

Dominik Wellmann studiert Germanistik und Kulturanthropologie im Zwei-Fach-Bachelor. Neben seinem Studium arbeitet er im Kulturjournalismus. Am liebsten schreibt Dominik über Hip-Hop.

Illustrations

Ill. 1: Buchcover: SchwarzRund: Biskaya. Afropolitaner Berlin-Roman. Zaglossus, 2016.

Ill. 2: Golf von Biskaya bei Peñas, via pixabay, Inhaltslizenz.

--

--

BGSTP_Munster
Black German Studies: Transatlantic Perspectives

Based @ Uni Münster | Edited by Timothy John Brown, Eva Tanita Kraaz, Rita Maricocchi | Tochterpublikation von @transatlanticism | https://go.wwu.de/0wcaq