Die Zukünfte Schwarzer Kunst(institutionen)

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In Deutschland werden Schwarze Menschen und ihr Schaffen selten angemessen gewürdigt. Veraltete Machtstrukturen in Kunst, Kultur und Wissenschaft sind dafür mitverantwortlich. Natasha A. Kelly zeigt als Aktivistin, Wissenschaftlerin und Künstlerin einen ganz konkreten Weg, der diesem Missstand entgegenwirkt und kündigt damit ein eigenes Großvorhaben an. Ihr Vortrag »Zur Institutionalisierung Schwarzen Wissens in Deutschland« vereint Grundlagenkritik, Werkschau und Zukunftsvision.

Von Zahraa Khanafer

Es steht ein neuer, aber bekannter Gast im Münsteraner Hörsaal JO1: Nach fast zehn Jahren besucht Dr. Natasha A. Kelly die ihr aus dem Studium der Kommunikationswissenschaften vertraute Wissensfabrik. Hier, wo die Aktivistin und Künstlerin 2015 mit der Arbeit Afrokultur. Der Raum zwischen gestern und morgen promoviert hat, scheinen postkoloniale Ansätze mittlerweile angekommen zu sein, oder zumindest werden anfängliche Schritte in diese Richtung getan. Darüber scheint Kelly glücklich zu sein, denn obgleich die Auseinandersetzung damit heute für viele selbstverständlich ist, war der Prozess der Etablierung in den vielfach starren Räumen der Universität ein mühseliger. Nicht zuletzt deswegen kehrte Kelly ihr den Rücken und wandte sich künstlerischen Tätigkeiten zu. In diesem Jahr eröffnet sie zusammen mit einer Gruppe Schwarzer Künstler*innen ihr eigenes ›Institut für Schwarze Kunst, Kultur und Wissenschaft‹ in Düsseldorf, das uns lehrt, wie Dekolonialisierung eigentlich ablaufen sollte. So gewährte sie mit ihrem Vortrag zur Reihe »Black German Studies Transatlantic Perspectives« dem Publikum Eintritt in ihre Kunstpraxis. Wie es sich aber für eine Aktivistin gehört, fing sie mit einer Grundlagenkritik an und ließ dabei sogar den Titel nicht unangetastet: »Black German Studies? Was heißt das überhaupt?«

Begriffskritik und Ansatz, oder: »Warum versuchen wir immer die USA zu imitieren?«

An den Bezeichnungen von Disziplinen und Forschungsgebieten lassen sich ihre Diskurse und Entwicklung ablesen. Für die »Black German Studies« betont Natasha A. Kelly die strukturellen Machtverhältnisse, die der Begriff in seiner Tradition widerspiegele: Es läge eine Hierarchisierung von anglophonen im Vergleich zu deutschsprachigen Schwarzen Konstrukten vor. Um weitere Nuancen sichtbar zu machen, nennt sie vier assoziative Alternativtitel und kontrastiert sie im Folgenden interaktiv mit dem Publikum. Die möglichen Bezeichnungen lauten: ›Black Studies in Deutschland‹, ›Black European Studies‹ und ›Intersectional Black Studies‹. Aufgrund der impliziten weißen Positionierung, die die Handlungsmacht Schwarzer deutscher Menschen untergrabe, aufgrund der komparativen Anlage, die die Tradition Schwarzer Wissensproduktion unterminiere bzw. aufgrund des Missverständnisses von Methodik als Inhalt sei letztlich keine dieser Optionen hinreichend. Die Hoffnung auf einen haltbaren Vorschlag zur Umbenennung war also vergebens.

Zeichnung von Anton Wilhelm Amo

Aus dieser Ergebnislosgikeit folgt jedoch keine Handlungsunfähigkeit, vielmehr gehe es Kelly um Transparenz und inhaltliche Fragestellungen. Aus der Kritik heraus bringt sie dem Publikum nahe, dass es wichtig ist, die Diskurse nicht aus dem US-amerikanischen Kontext zu übernehmen, sondern die Initiation aus Deutschland heraus zu ermöglichen. Nur so könne man der Realität Schwarzer Deutscher gerecht werden, die im Übrigen sehr viel weiter zurückreicht, als viele gemeinhin denken. Ihr Ausgangspunkt für den Vortrag und gleichzeitig ein Protagonist ihrer künstlerischen Arbeit ist: Anton Wilhelm Amo, dessen Spuren in Europa seit 1707 nachweisbar sind und die sich von Amsterdam über das damalige Fürstentum Braunschweig-Wolffenbüttel bis zurück nach Ghana nachzeichnen lassen. Als erster und für über 200 Jahre einziger Schwarzer Student und später promovierter Dozent an der Universität Halle forschte er in seiner Arbeit über die juristische Stellung Schwarzer im Europa seiner Epoche. Allein diese Themenwahl liefere Hinweise darauf, dass Schwarze Menschen eine tiefere Verwurzelung auf dem Kontinent und auch in Gebieten, die heute zur BRD gehören, haben als oft angenommen. 1916 wurde ihm die Ehre erwiesen, dass die damalige Hallenser Uni ihm namentlich gedachte, fälschlicherweise als Student. Sein Bildungsgrad wurde verschwiegen.

Kunst und Wissenskritik oder: »Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.«

Doch Natasha A. Kelly weiß dieser rassistischen Herabsetzung entgegenzuwirken. Sie bricht mit ihrer forschenden Arbeit, befreit ihre Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Institution und überführt sie in die Kunst — an ebenjener Wirkungsstätte Amos: Sie widmete ihm »The African Diaspora Palace« (2017), eine Arbeit, die sie zum 500. Reformationsjubiläum und Gedenktag Martin Luthers in Wittenberg unter dem Thema der Globalisierung ausstellte. In einem Fahrzeuganhänger aus Glas installierte sie auf der linken Seite das Sankofa-Symbol und darunter das Symbol der internationalen Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft der UN. In der Mitte thronte auf Blütenblättern, frischen und trockenen, ein aufgeschlagenes Buch aus Glasseiten mit dem folgenden Zitat Amos: »Es genügt nicht, die Wahrheit zu sagen, wenn nicht auch die Ursache der Unwahrheit bestimmt wird«. Die Arbeit gedachte Anton Wilhelm Amo, setzte aber die Erinnerungskultur in einen Kontext, der es zulässt, aus der Vergangenheit zu lernen und eine Zukunft zu imaginieren, die Schwarze Perspektiven einbezieht.

Symbolhaft, aber auch stilistisch fungiert der Sankofa als Schlüssel zum Verständnis. Schon die Blüten werden in ihrer europäischen Tradition als Vanitas-Zeichen gedeutet, stehen in ihrer zeitlichen Symbolik aber nicht allein. Der Sankofa erweitert das Bild um die Erinnerung an die Vergangenheit, die Lehre aus ihr und die damit zusammenhängende Vision einer neuen Zukunft. Der Aspekt der räumlichen und zeitlichen Transformation wird ferner auf mehrere Ebenen übertragen und thematisiert. Die Vitrine erfährt dadurch einen Wandel, dass Passant*innen Rosen in die Vitrine legen durften, wodurch sie mit der Gegenwart in Austausch traten und eine neue Zeitlichkeit einfingen. Der Anhänger war mobil und bewegte sich durch Wittenberg an neue Orte. Dies ermöglichte ihm nicht nur eine breitere Sichtbarkeit, sondern auch die Einbettung des Werkes in das Stadtgeschehen. Indem zuletzt eine Baulücke als Ausstellungsort fungierte, verwies es auf eine neue Kontextualisierung hinsichtlich der kollektiven Erinnerung der Stadt. Die Transparenz des gläsernen Materials wirkt aber der Entschlüsselung der Symbole nicht entgegen. So benötigen Betrachtende immer noch fachwissenschaftliche Informationen. Die Collage von Geschichte und Materialität wirkt in dieser Arbeit noch redundant, fast so, als müssten mehrere Vanitas-Motive einen Unterschlupf finden, um ihre künstlerische Praxis zu legitimieren, und ausdrücklich auf die Zeitlichkeit hinweisen. Ganz sicher ist dieser ›Glaspalast‹ ein Beispiel dafür, was in einem weiß-dominierten Kulturbetrieb lange nicht stattgefunden hat. Trotzdem: Die Ästhetik selbst weckt bei der Betrachterin noch die Frage, wie sich Kellys Publikum in der Wissenschaft und in der Kunst unterscheidet, wenn sie weiterhin in Zeichen der Wissenschaftlichkeit spricht.

Wissensarchive und Institutionalisierung, oder ein »Institut für Schwarze Kunst, Kultur und ihre Wissenschaften«

Was Kelly mit der Institutionalisierung Schwarzen Wissens durch Kunst meint, versteht sich viel konkreter, wenn man sich der Bühnenadaption ihrer gleichnamigen Dissertation Afrokultur. Der Raum zwischen gestern und morgen widmet, die in Brasilien und den USA aufgeführt wurde — und in Deutschland letztlich nicht stattfinden konnte. Darin kommen drei Wissensarbeiter*innen vor: W.E.B. Du Bois (1868), Audre Lorde (1934–1992) und May Ayim (1960–1996) hätten zwar nie gemeinsam Wissen produzieren können. Kelly bietet ihnen dafür aber auf der Bühne in Form eines imaginären Treffens außerhalb von Zeit, Raum und Struktur eine Grundlage, um ihre Wissensprodukte miteinander zu verweben. In Abgrenzung zu »The African Diaspora Palace« lebt diese Arbeit davon, die drei historischen Figuren für sich sprechen zu lassen, statt ihre Worte zu interpretieren und symbolisch zu überhöhen. So werden die Theorien der Double Consciousness, Bindestrichidentitäten und Anderen Deutschen aneinandergereiht und ihre gegenseitigen Rückbezüge herausgearbeitet. Der Soziologe und die beiden aktivistischen Schriftstellerinnen wirken im Theaterstück zusammen, um die Linie der Forschungs- und Kunsttradition zu visualisieren und weiterzuführen. Insbesondere für den deutschen Kontext deutet sich für diese Inszenierung großes Potenzial an.

Doch es kam anders: Nach Brasilien und den USA, sollte die nächste Inszenierung in Düsseldorf stattfinden. Sie wurde allerdings durch die Coronapandemie abgebremst und schließlich nach einem rassistischen Vorfall am Theater abgesagt. Der Vorfall stand im Zusammenhang mit einem Machtsystem, das strukturell im Widerspruch zur Selbstständigkeit Schwarzer Positionen stand. In der Folge des Eklats entwickelte Kelly gemeinsam mit weiteren Involvierten ganz klare Forderungen, deren Ansprüche sie in Verhältnis zur Entwicklung Schwarzer Kultur in der Diaspora im frühen 20. Jahrhundert setzt. Konkret meint das die Négritude im frankophonen und die Harlem Renaissance im anglophonen Raum. Die unvermeidbare Frage lautet: »Also, wo bleibt die Schwarze deutsche Ästhetik?« Es braucht ein Institut von Schwarzen für Schwarze in Deutschland, das nicht als Nische zwischen weißen Perspektiven gilt, sondern für sich stehen kann, das die Entstehung sowie das Verstehen Schwarzer Kunst ermöglicht und dabei Schwarzen Menschen Schutz vor Rassismus und anderen Diskriminierungen bietet.

Natasha A. Kelly setzt einen Grundstein zur Etablierung und Institutionalisierung von Schwarzem Wissen. Das von ihr mitkonzeptualisierte ›Institut für Schwarze deutsche Kunst, Kultur und Wissenschaft‹ in Düsseldorf wirkt dem Vergessen Schwarzer Geschichten und Schwarzem Leben entgegen. Auch wenn denkbare Institutionalisierungsmöglichkeiten vielfältig sind — sei es durch die Etablierung von Forschungsprojekten im universitären Kontext oder die räumliche Aneignung von Orten — Kunst dient in diesem Falle als besonderer Ausweg, weil er offener und transformativer ist und den kulturellen Zugang durch direkten Austausch und Konfrontation eher öffnet. Wissen wird dann noch stärker in einen subjektiven Blickwinkel gesetzt, wodurch seine theoretischen Grundlagen und Vorannahmen erst explizit werden. Kelly kreiert also einen Kontext, der Schwarze Körper für sich stehen lässt und mit all seinen Nuancen berücksichtigt. Sie erlaubt ihnen ferner, sich vom weißen Blick zu befreien und eine neue Haltung zu entwickeln. Hier entsteht ein dekolonialisierter Ansatz im Umgang mit Schwarzer Kunst, der auf Selbstbestimmung und Eigeninitiative beruht.

Natasha A. Kelly am 12.01.2023 im Münsteraner Hörsaal JO1

Natasha A. Kelly überschreitet die Sphäre der eurozentrischen Machtausübung, indem sie mit ihrer Position den Raum der Dekolonialisierung ausweitet. Ideology Broker, Culture Broker, Change Agent — das sind die Titel, die Kelly den Hauptfiguren ihrer Dissertation zuschreibt. Und sie reiht sich durch ihr Schaffen in diese Tradition ein. Kelly ist eine Künstlerin des Wissens. Wie bei Lorde und Ayim steht ihr der Stift zur Verfügung, den sie auf ihre eigene Art und Weise schwingt. Die Bilder sprechen deutlich aus ihr heraus, formulieren Forderungen und Aussagen. Nun, da der Safe Space angekündigt ist, kann man sich auf zukünftige Werke freuen.

Zahraa Khanafer studiert Kunst und Germanistik an der Universität Münster. Sie setzt sich in ihrem Studium und darüber hinaus mit struktureller Benachteiligung auseinander, insbesondere hinsichtlich Islamophobie, Sexismus, Rassismus und Speziezismus auseinander.

References

Kelly, Natasha A. Afrokultur. Der Raum zwischen gestern und morgen. Unrast, 2016.

Illustrations

Ill.1: Zeichnung von Anton Wilhelm Amo (via wikimedia, Public Domain)

Ill. 2: Foto von Natasha A. Kelly (©privat)

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BGSTP_Munster
Black German Studies: Transatlantic Perspectives

Based @ Uni Münster | Edited by Timothy John Brown, Eva Tanita Kraaz, Rita Maricocchi | Tochterpublikation von @transatlanticism | https://go.wwu.de/0wcaq