Agile Coach — der “Super Scrum Master”?

Peter Rubarth
Blood, Scrum & Tears
4 min readJan 21, 2018

Seit einiger Zeit werde ich immer wieder werde ich mit der Frage konfrontiert, worin der Unterschied zwischen Scrum Master und Agile Coach besteht bzw. wie die beiden Begriffe in Zusammenhang stehen.

Häufig anzutreffen ist die Vorstellung, dass der Scrum Master mit einem oder mehreren Teams arbeitet und als Prozessverantwortlicher über die effektive Umsetzung von Scrum wacht.

Der Agile Coach wird demgegenüber auf losgelöst von den Teams auf höherer organisatorischer Ebene gesehen, wo er Führungskräfte und Organisationseinheiten bei der Umsetzung von Agilität unterstützt. Oft geht damit einher, dass der Agile Coach auch die Scrum Master führt und sich gewissermaßen eine hierarische Ordnung zwischen Agile Coach und Scrum Master ergibt — gewissermaßen der Agile Coach als “Super Scrum Master”.

Schaut man im Scrum Guide nach heißt es:

“Der Scrum Master ist dafür verantwortlich, Scrum entsprechend des Scrum Guides zu fördern und zu unterstützen. Scrum Master tun dies, indem sie allen Beteiligten helfen, die Scrum Theorie, Praktiken, Regeln und Werte zu verstehen.

Der Scrum Master ist ein „Servant Leader“ für das Scrum-Team. Der Scrum Master hilft denjenigen, die kein Teil des Scrum-Teams sind, zu verstehen, welche ihrer Interaktionen mit dem Team sich hilfreich auswirken und welche nicht. Der Scrum Master hilft dabei, die Zusammenarbeit so zu optimieren, dass der durch das Scrum-Team generierte Wert maximiert wird.”

Das scheint erstmal zu passen. In der Folge werden dann die Dienste des Scrum Masters für das Entwicklungsteam, den Product Owner und — das ist wichtig: die Organisation aufgeführt:

Der Scrum Master dient der Organisation auf verschiedene Arten, unter anderem durch das

Leiten und Coachen der Organisation bei der Einführung von Scrum;

Planen von Scrum-Implementierungen innerhalb der Organisation;

Unterstützen von Kollegen und Stakeholdern, Scrum und empirische Produktentwicklung zu verstehen und umzusetzen;

Auslösen von Veränderungen zur Produktivitätssteigerung des Teams;

Zusammenarbeiten mit anderen Scrum Mastern, um die Effektivität von Scrum Implementierungen innerhalb der Organisation zu verbessern.

Hmmm…

Das klingt jetzt aber nach dem, was oft der Rolle Agile Coach zugerechnet wird. In der beschriebenen Praxis wird der Scrum Master auf die Teamebene reduziert und der darüber hinausgehende Anteil abgespalten.

Warum ist das so? Und welche Folgen ergeben sich daraus?

Der domestizierte Scrum Master

Eine Hypothese ist, dass diese Scrum Master entweder aus den Teams kommen oder aus der Riege früherer Projektmanager oder Teamleiter. Dieser Hintergrund beeinflusst wie sie die Rolle ausgestalten und wie sie von der Organisation wahrgenommen werden.

Geht es um übergreifende Aspekte werden diese von den bisherigen Führungskräften behandelt — und gegebenenfalls mit Hilfe des Agile Coach.

Im Ergebnis wird der Wirkungsgrad des Scrum Masters massiv beschnitten. Scrum Master, die ihre Rolle ernst nehmen und nachhaltige Veränderung wollen, stoßen schnell an Grenzen (nicht zuletzt, weil das ja wohl die Aufgabe vom Agile Coach ist). Übrig bleiben Projektleiter im neuen Gewand oder Teamassistenzen, die den selbstbewussten Softwareentwicklern lästige Verwaltungsaufgaben abnehmen.

Die Rolle des Agile Coach wird dann zur Karrierestufe für frustrierte Scrum Master.

Konstruktionsfehler

Wie sieht die Sache mit dem Scrum Master aus, wenn man die beschriebene Praxis beiseite lässt?

Für mich hat das Konzept des Scrum Master einen grundsätzlichen Beigeschmack: Der Name beinhaltet den Namen eines (kommerziell vermarkteten) Frameworks. Damit ist der Scrum Master eigentlich auf den Einsatz von Scrum begrenzt und läuft Gefahr, in die alte “Hammer sucht Nagel” Falle zu tappen.

Zum anderen ergibt sich aus dem Zuschnitt der Rolle eine weitere Gefahr: Wenn der Scrum Master für den Prozess verantwortlich ist, sind die anderen es nicht. Gerade in Umfeldern mit erlernter Hilflosigkeit ergibt sich daraus die Tendenz Verantwortung für die Arbeitsweise aus dem Team an den Scrum Master weg zu delegieren.

Ich halte diese passive Haltung zum Prozess für unvereinbar mit der Grundidee agiler Arbeitsweise.

Agile Coach — Scrum Master Reborn

Aus meiner Sicht ist der wirkliche Case für Agile Coaches nicht eine künstliche Hierarchie über Scrum Mastern einzuziehen sondern die Chance, mit einem weniger belasteten Namen näher an die ursprüngliche Idee des Scrum Masters zurück zu kommen — nur unabhängig von einer Methode.

Ohne den Name einer Methode in de Rollenbezeichnung fällt es leichter, undogmatisch auf Probleme zu schauen. Das Wort Coach impliziert eine andere Art der Einflussnahme und macht es schwerer, Verantwortung abzuladen.

Der Agile Coach unterstützt die Organisation dabei sich mit diesen Punkten auseinanderzusetzen:

  • zu verstehen, welchen Nutzen sie sich von Agilität verspricht,
  • welche nächsten Schritte sich daraus ergeben
  • und was zu tun ist, um diese Schritte zu gehen.

Dabei bewegt sich der Coach frei in der Organisation und unabhängig von vorherrschenden Strukturen. Der Coach arbeitet mit Einzelpersonen und Gruppen so wie es angebracht erscheint und stellt mehr Fragen, als das er Antworten gibt.

Der Coach ist die institutionalisierte Meta-Perspektive. Er hilft der Organisationen Klarheit über ihre Ziele zu finden und sie konsequent im Auge zu behalten.

Teams steht es frei, einen Scrum Master zu etablieren, falls sie es für sinnvoll erachten, die Prozessperspektive in einer Person zu bündeln. Die Entscheidung sollte aber aus dem Team kommen und nicht aus dem Organigramm.

--

--