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Einmal Atlantik ohne Autopilot, bitte.

Christian Damke
8 min readDec 9, 2014

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Nach drei Stunden Schlaf übernehme ich die Pinne um 3 Uhr morgens Greenwich Mean Time. Wir haben wenige Tage Atlantikerfahrung mit Grayhound, unserem Zuhause für die nächsten Wochen. Das Schichtsystem wird langsam zur Routine, 60 Tonnen Holz und Stahl mit einem zweieinhalb Meter langen Ruder durch die sternenklare Nacht zu steuern ist noch weit davon entfernt. Nur mittels einer ausgeklügelten Seilkonstruktion und Umlenkrollen ist es mir überhaupt möglich, Kurs gegen den Wellendruck zu halten. Adam, mein Kompagnon während der Zwei-Mann-Schicht legt sich hin, aber erst nachdem wir unseren obligatorischen Englischen Tee mit Milch und zwei Zucker getrunken haben. Er ist Gründer von Classic Sailing, einer der renommiertesten Agenturen für Segeln auf Traditions-Seglern. Er ist schon in der Antarktis gesegelt,mit einem Dreimaster an den Klippen Cornwalls gestrandet und lebt, wie die meisten an Bord, mit dieser Reise einen langgehegten Traum. Ruth, die seit Grayhound die Küsten Englands verlassen hat als Crewmitglied dabei ist und dadurch besonderes Vertrauen genießt ist Watch Leader der vorherigen Schicht. Sie macht ein Sabbatical. Bei uns ist Adam Watchleader, was mich sehr beruhigt. Ruth berichtet von einigen Wärmegewittern in der Ferne, ansonsten ist der angelegte Kurs, wie schon die letzten Tage, so weit wie möglich gen Westen zu steuern, also um die 270 Grad. Das ist Passatsegeln pur, die Wellen und der Wind drücken einen mit viel Kraft über den großen Teich. Die Wellen sind während meiner kurzen Kojennutzung ein wenig gestiegen, während der Wind unruhiger geworden ist.

Ausgelöst durch einen Winddreher und die Bewegung des Bootes im Wellental schlägt das Segel am vordersten Mast plötzlich um. Ich steuere sofort gegen und langsam kommen wir rum. Kein Grund zur Sorge, sag ich mir, ist in den letzten Tagen öfter passiert und sobald der Wind wieder greift, wird sich die Rahe mit dem Segel zurückdrehen, und ich spüre schon wie der Punkt näherkommt. Der Grayhound zugrundeliegende Originalsketch ist 1776 für die Küstensegelei rund um Cornwall gezeichnet worden. Nicht notwendigerweise für die tiefen und langen Wellen zwischen Kap Verden und Barbados.

Durch vollen Körpereinsatz drücke ich die Pinne zurück und beobachte das vordere Segel. Die Rahe ist nicht in der Mitte, sondern auf einem Drittel ihrer Länge am Mast befestigt und hat in etwa die Form eines Telegrafenmastes, der gleich mit dem Schwung der Wellen gegen den Vordermast schlagen und dann hoffentlich wieder durch das darunterhängende Segel vom Wind stabilisiert wird.

Die Zeit wird langsamer, das Schiff kommt zwar herum und das Segel dreht, doch anstatt des gewohnten Knalls höre ich ein ein lautes Krachen. Das Segel fällt in Sekundenschnelle in sich zusammen. Die Rahe ist zerbrochen. Im Cockpit schläft, wie jede Nacht, Skipper Marcus, geschwächt von einer von hohem Fieber begleiteten Viruskrankheit, aber schon auf dem Wege der Besserung. Ich rufe runter: “There seems to be an issue with the foresail, maybe you want to have a look?” Er kommt sofort die Treppe hoch an Deck, sieht das zusammengefallene Segel und wird hellwach, mit Kapitänsstimme tönt sein Kommando durchs Schiff und weckt die schlafende Mannschaft: “All Hands on Deck”. Dann zu mir: “Christian, you keep her on course and steady”. Kein Vorwurf, keine Fragen, einfach nur eine schnelle Reaktion auf ein Problem, ich beruhige mich wieder und konzentriere mich trotz des geringeren Segeldrucks und der brechenden Atlantikwellen die Grayhound ruhig nach Westen zu steuern.

Die anderen beiden Schichten, Ruth, Liz, Chris und mein Münchener Segelfreund Tobi schälen sich aus Ihren Kojen, legen sich Ihr Sicherheitsgeschirr an und kommen mit Rettungswesten hoch. Skipperin Freya beruhigt Malaquay, den zweieinhalb-jährigen Sohn der beiden. Die Wellentäler verschlucken fast das ganze Boot, sie drücken von hinten und heben uns wieder weit über den Horizont. Nur am Rande bekomme ich mit wie sich die anderen besprechen, meine Aufgabe ist mein ganzer Fokus.

Mit Stirnlampen bewaffnet klinken sich die ersten in die rund um das Schiff laufenden Gurte, Marcus führt eine kleine Gruppe an den Beibooten und den Rettungsinseln zum Vorschiff, wo sie den Schaden begutachten. Ich sehe nur die irrlichternden hellen Flecken in 20 Meter Entfernung, versuche auszublenden was ich nicht beeinflußen kann und fühle die Grayhound, die unzähligen Kräfte, die an ihr zerren, antizipiere die Ruderbewegungen.

Schnell wird klar, dass das Segel runter muss. Grayhound hat keine Winschen. Hier wird noch traditionell mit dem Gewicht des Körpers gearbeitet. Gewicht und der Schlachtruf: one, two, heave. Ich höre sie im Dunkeln kämpfen und sehe wie sich die gebrochene Rahe mit dem Segel senkt, sie nutzen die schaukelnden Bewegungen des Bootes gut aus und trotz der kurzen Eingewöhnungszeit hat Marcus schon ein Team geformt, was dank seiner klaren Worte auch über dem Rauschen der Wellen und des Windes gut gemeinsame Sache macht. Zentimeter für Zentimeter wird die gebrochene Rahe gesenkt, Sicherheit geht vor. Zeit ist auf hoher See etwas sehr relatives, aber nach einer gefühlten Ewigkeit sehe ich wie sie die Überbleibsel an Deck sichern und die ersten vom Vordeck zurückkommen.

Die Grayhound ist ein besonderes Schiff und ich weiß noch wie ich zum ersten Mal von Ihr las. Sie ist eine dreimastige Logger, vielleicht die erste seit über 200 Jahren, die die Passat-Route Richtung Karibik ersegelt. Freya und Marcus haben sie mit Hilfe von Freunden und Spendern in 18 Monaten harter Arbeit mit eigenen Händen in einer Werft in Cornwall gebaut. Die Grayhound kennen beide also ganz gut. Aber dass solch ein dicker Holzbalken bricht wie ein Streichholz hätte ich nicht gedacht. Ich übergebe die Pinne an Adam und setze mich, denke daran dass Marcus in jüngeren Jahren sogar alleine in einer 9 Meter Nussschale, die er, wie die Grayhound ja auch, mit eigenen Händen gebaut hat, einmal rund um den Atlantik gesegelt ist und es da sicher weit haarigere Situationen gegeben hat.

Alle gehen wieder unter Deck, versuchen ein paar Stunden zu schlafen vor dem nächsten Weckruf und ich übergebe, nachdem ich über zwei Stunden an der Pinne stand an Adam und lasse mich auf den äußerst praktischen Sitzsack fallen, der sich angenehm meinem müden Körper anpasst. Die Musik der Wellen, die sich am Boot brechen, der Wind der uns gen Westen treibt und die sternenklare Nacht lassen normalerweise wunderbare, fast meditative Momente zu, nach dem Rahenbruch bin ich aber etwas unentspannt.

Ich denke über die Hochzeiten der Segelschifffahrt nach, bevor Dampf und Eisen die alten Routen obsolet machten. Als die Welt auf den sichtbaren Horizont beschränkt war, als Man of Wars auf die Kaufmannschiffe der verfeindeten Großmächte Jagd machten, als Sklavenschiffe genau diese Route mit Ihrer leidenden menschlichen Fracht segelten. Die bei Flaute teils wochenlang in den Kalmen lagen und auf eine Brise hofften. Während der napoleonischen Kriege, als ständig wechselnde Koalitionen verbunden mit den extrem langsamen Kommunikationswegen dafür sorgten, dass Segeln ein Kampf ums überleben war. Die ständige Bedrohungen durch Wind und Wetter, aber auch durch andere Schiffe, in dieser noch so dünn besiedelten Erde. Die Wale waren noch ungestört, die Meere voller Leben und ohne Schadstoffe, ein Segelschiff organisch abbaubar. Für mich ist diese Zeit, kurz vor der Industrialisierung, der Bevölkerungsexplosion, dem Beginn des Ölzeitalters eine natürlichere Welt, bei der die Kräfte zwischen Mensch und Restbevölkerung noch ausgeglichen war. Die Erde noch nicht ahnt, dass bald sieben Milliarden Menschen die anderen Bewohner in Reservate sperren würden.

Unsere Kommunikation mit der Welt ist beschränkt auf Wettermeldungen die wir über Funk empfangen. Wir haben zwar ein Satellitentelefon an Bord, aber es soll nur in Notfällen genutzt werden. Während der ganzen Querung sehen wir einmal ein anderes Schiff am nächtlichen Horizont und passieren eine andere Nacht eine riesige hell-blinkende Wetterboje, die tief im Atlantik die heranstürmenden Hurrikanzellen ausmessen soll. Jetzt ist das Meer zwar warm, aber weit von den 30 Grad entfernt, die notwendig sind um die riesigen Sturmsysteme zu entwickeln. Schon nach wenigen Tagen ist meine Welt geschrumpft und ich kann stundenlang die fliegenden Fische beobachten, die zu hunderten aus dem Wasser springen. Auf der Flucht vor einem unsichtbaren Räuber gleiten sie knapp über den Wellen dahin. Ich frage mich, wer sie wohl gerade wieder jagt, die Lust auf ein Bad im aufgewühlten Meer ist trotz der Hitze fast verschwunden. Wir haben ein rollierendes Schichtsystem mit drei Vierstunden-Schichten tagsüber und vier Dreistundenschichten nachts und dementsprechend nie lange Nächte oder freie Tage, aber wir haben es vergleichsweise komfortabel auf dieser Barfussroute.

Früher sind auf einem Boot dieser Größe mindestens 30 Männer gesegelt, die während der gesamten Reise damit beschäftigt waren, das Schiff in Schuss zu halten. Segelmacher, die den ganzen Tag Löcher flickten, Zimmermänner die Spanten, Rahen oder Betten mit Bordmitteln reparierten. Seilmacher die für das Tauwerk zuständig waren. Die tägliche Ration Bier wäre vier Liter gewesen, allerdings wurde auf den Reisen in die Karibischen West-Indies aus Platzgründen Rum und Wasser gemischt, der sogenannte Grog. Zwei halbe Liter von der Mischung am Tag liessen die Enge ertragen, auch wenn sich dadurch häufiger disziplinarische Probleme ergaben. Besonders wenn es keinen mehr gab, was immer wieder Meuterungen auslöste. Marcus hat davor scheinbar keine Angst, denn Grayhound ist auf See ein trockenes Schiff, bis auf eine Flasche Wein an Weihnachten und eine Flasche Champagner an Sylvester haben wir das auch durchgezogen. Zu acht waren das eher homöopathische Dosen.

Nachdem Adam die letzte Stunde die Pinne übernommen hatte, bin ich dran mit Wecken der Nachfolger. Vorher schmeiße ich noch den Dieselgenerator an und setze Teewasser auf, um den Start mit einer Tasse frisch aufgebrühten starken Tees zu erleichtern. Tobi und Chris sind nach der kurzen Nacht in einen komatösen Schlaf gefallen und ich muß mehr als mein übliches Flüstern nutzen, um sie wach zu kriegen. Wie immer sage ich Zeit und Wetterinfo durch, damit sie wissen was sie anziehen werden. “Its ten to five, air is warm, sky a bit cloudy but no rain, medium winds and waves”. Die Zeit kurz vor Sonnenaufgang ist immer ganz besonders, draußen kommen schon die ersten hellen Flecken über den Horizont und ein weiterer Tag unserer Atlantiküberquerung bricht an. Wir genießen die Stille bevor die beiden kommen, dann bereden wir Kurs, das Wetter. Ich gehe zusammen mit Tobi aufs Vordeck und schaue mir die Bescherung noch einmal an, wir sind beide ziemlich müde, ich gehe runter, versuche ein wenig zu schlafen. Drei Stunden später werden wir wieder alle geweckt und Marcus hat eine Idee, wie wir ein neues Segel riggen können. Das faszinierende an Grayhound ist die Menschlichkeit der Dimensionen und damit die Möglichkeit, relativ vieles mit Bordmitteln zu lösen. Dadurch dass wir drei Masten haben, können wir die Rahe des hinteren Mastes nehmen und vorne riggen, so dass wir nur ein bißchen weniger Segelfläche als vorher haben. Das ganze erfordert einiges an Koordination und wir sind den ganzen Tag damit beschäftigt, am Ende haben wir es aber stolz geschafft.

cd. 2015

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Christian Damke

Entrepreneur with a passion for digital reading, E-Books, smartphones working @grin_com