A steht für Aktivismus und Absatzzahlen

Lorenz König
Boom Town
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4 min readJul 12, 2016

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Soziale Medien haben nicht nur den politischen Diskurs massgeblich verändert, sie haben auch dazu beigetragen, dass Exponenten der Popwelt politisch aktiv ist. Dabei wird immer unklarer, ob politisches Handeln von Künstlern ein kühner Akt, oder ein Marketingstunt ist.

Die Grenzen zwischen Pop und Politik verschwinden

Der Abstimmungskampf im Vorfeld der Durchsetzungsinitiative war nicht nur deshalb besonders, weil er zu einem grossen Teil von der Zivilgesellschaft gefochten wurde. Er unterschied sich auch dadurch, dass sich eine beachtliche Gruppe von Prominenten und Kulturschaffenden massgeblich daran beteiligten. Ob Rapper Stress oder Schriftsteller Martin Suter: Alle waren Teil der Anti-DSI-Phalanx. Doch es blieb nicht nur bei den Exponenten der Pop-Welt: Was mich überraschte war, als Clubs begannen, per Newsletter oder Facebook-Post ihre Gäste zur Abstimmung zu bewegen. Zuki Newsletter:

Diese Regung aus der Ecke der Pop- und Subkultur ist neu in der Schweiz. Natürlich ist es nicht neu, dass Pop und Politik zusammenhängen. Aber eine so offenkundige Bekenntnis zur Politik, bzw. gegen die Politik einer Partei, habe ich noch nie erlebt.

Facebook, Twitter und Tote

Wie kam es dazu? Erstens scheinen bestimmte Ereignisse eine wichtige Rolle zu spielen: Die Durchsetzungsinitiative der SVP war der berühmte Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte. Die Zivilgesellschaft sah sich zudem angesichts des mangelnden Engagements der anderen Parteien gezwungen sah zu handeln. Die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative zwei Jahre zuvor, am 9. Februar 2014 war der Weckruf. In den USA wiederum löste die Tötung des Teenagers Trayvon Martin durch den Zivilisten George Zimmermann und die Tötung Michael Browns durch einen Polizisten eine Debatte über die Diskrimierung der Afroamerikaner in den USA aus.

Ob in der Schweiz oder den USA: beide Ereignisketten führten dazu, dass weite Teile der Bevölkerung sich ihn ihren Grundrechten bedroht sahen. Der Ruf nach sozialer Gerechtigkeit wurde laut und der Diskriminierung den Kampf angesagt. In beiden Fällen waren, zweitens, die sozialen Medien das Sprachrohr der Aktivisten. In den USA war es überwiegend Twitter, weil die Bewegung in starkem Zusammenhang mit Demonstrationen und Ausschreitungen war und sich der Kurznachrichtendienst bestens dafür Real-Time-Kommunikation eignet. In der Schweiz war es wiederum der Facebook.

Menschenrechte und Social Media: eine schlagfertige Allianz

Wieso verbreiteten sich die Nachrichten der Aktivisten dermassen gut? Um dies zu verstehen, lohnt es sich, BuzzFeed-Gründer Jonah Peretti zu Wort kommen zu lassen. Peretti war sich der viralen Macht von sozialer Gerechtigkeit bewusst:

«Human Rights Are Inherently Social. Facebook connects the world, when people are connected they have more empathy for people different from them.»

Und Peretti muss es wissen: Weil er die distributive Macht der sozialen Medien schon früh erkannte, konnte er ein Medienimperium aufbauen. Diese Einsicht hat weitreichende Konsequenzen: Die Omnipräsenz von sozialen Plattformen führt wiederum dazu, dass Vorfälle im Zusammenhang mit Menschenrechten schneller ihren Weg in die Massenmedien und letztendlich in das gesellschaftliche Gedächtnis finden. Wer jedoch meint, die sozialen Medien sind ausschliesslich ein Hort der Menschenrechtsaktivisten, hat sich getäuscht: Je lauter der Ruf nach Menschenrechten wird, je stärker scheinen Wutbürger, Rassisten und Trolle zu wettern und zu polemisieren.

Politik ohne soziale Medien geht nicht mehr

Zudem sind die sozialen Medien sind mittlerweile der Ort, in dem politische Ereignisse nicht nur diskutiert, sondern auch Wahl- und Abstimmungskämpfe ausgefochten werden (siehe DSI). Politiker jeglicher Couleur, egal ob links wie Cedric Wermuth oder der US-Internetaktivist Dereck Mckey oder rechts wie Donald Trump tummeln sich folglich dort. Die Präsenz der Politik in den sozialen Medien führt dazu, dass sich Tonalität und Form des Diskurses ändern. Politische Parolen müssen in der Welt der sozialen Medien, wo die Aufmerksamkeitsspanne kurz ist, ankommen und werden dadurch zwangsweise poppiger.

Alben verkaufen dank Black Lives Matter

Soziale Medien haben nicht nur den politischen Diskurs massgeblich verändert, sie haben auch dazu beigetragen, dass die Berührungsängste der Popwelt gegenüber der Politik schwinden. Im Fader-Magazin wurde das so ausgedrückt:

«Gone are the days when celebrity’s political action is a concern for PR agents, a potential career-ender.»

Das führt dazu, dass PR-Manager eine gute Möglichkeit darin sehen, ihren Schützlingen öffentlich Aufmerksamkeit zu bescheren, in dem diese sich am politischen Diskurs beteiligen. Ein Beispiel ist Beyoncé und ihr Song “Formation”. Darin bezieht sich der Superstar auf die Folgen des Hurricans Katrina als auch auf die Black Lives Matter-Bewegung bezieht und musste sich dafür einiges an Kritik einstecken. Ihr wurde vorgeworfen, tragische Momente der afroamerikanischen Geschichte für eigene Zwecke des Pop-Konsums zu missbrauchen. Das sei weniger Unterstützung, sondern Zweckbindung und Heuchelei, meinen die Kritiker.

Stellt sich also die Frage, wann Pop politisch sein darf und wann politisches Handeln von Pop-Grössen beliebig wird. Vielleicht gehört es in einer Welt, in der der politische Diskurs mit immer härteren Bandagen ausgefochten wird, der Populismus floriert und die Verbreitung von Unwahrheiten durch Präsidentschaftsanwärter als selbstverständlich angesehen wird, zur Aufgabe von Kulturschaffenden, sich einzuklinken. Im Geschrei des Populismus schaffen sie sich damit Gehör und Aufmerksamkeit, was wiederum eine der Wichtigsten Währung in der Marketingabteilung darstellt.

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Lorenz König
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