5 Learnings über das Newsletter-Business in den USA
Zwei Monate durfte ich als Arthur-F.-Burns-Stipendiatin beim Newsletter-Start-Up 6AM City hinter die Kulissen schauen. Wie sich mit Kuratierung ein Million-Dollar-Business schaffen lässt.
Hyperlokaler, konstruktiver Journalismus — das ist der Fokus, mit dem die Gründer des Newsletter-Start-Ups 6AM City gegen das lokale Zeitungssterben in den USA ankämpfen wollen. Und daraus ein Millionen-Business generiert haben.
6AM City gehört mittlerweile zu den größten Newsletter-Publishern in den USA. 2016 haben Ryan Johnston und Ryan Heafy — beides keine Journalisten, sondern ein Unternehmer und ein Ingenieur — das Unternehmen in Greenville, South Carolina gegründet. Sechs Jahre später flattern in insgesamt 25 amerikanischen Städten täglich um 6 Uhr morgens Newsletter von 6AM City in die Mail-Inboxes.
Die Strategie: In Medienmärkten, in denen sich die wenigen, verbliebenen lokalen Medien vornehmlich auf Kriminal- und Polizeiberichterstattung konzentrieren, schafft 6AM City mit seinen Newslettern ein Gegenangebot, das die lokalen Communities mit Lifestyle-, Food- und Eventberichterstattung zur Teilhabe animieren soll. Derzeit haben über eine Millionen Menschen die täglichen Newsletter abonniert. Tendenz steigend.
Im August und September 2022 war ich als Burns-Fellow Redaktionsmitglied bei PDXtoday, dem Portland-Ableger des Newsletters. Zwei City Editors und eine Sales-Person verantworten dort seit November 2021 das Tagesgeschäft — mit vielversprechenden Zahlen: Knapp 40.000 Portlanders haben den Newsletter bislang abonniert, mit einer täglichen Öffnungsrate von über 45 Prozent.
Ich habe dort als Autorin die Editors unterstützt, City Guides und Lead-Artikel über Stadtgeschichte verfasst und mich vor allem viel mit Verantwortlichen der Produkt- und Unternehmensstrategie ausgetauscht.
Folgende fünf Learnings möchte ich nach meinem Aufenthalt dort mit Euch teilen — über die Arbeit in einem kleinen Newsletter-Team und über das Newsletter-Geschäft in den USA generell.
- Strategie: Dorthin gehen, wo ein Informationsangebot fehlt
“Filling the Void” ist eine der Erfolgsstrategien, die Newsletter in den USA verfolgen. Konkret heißt das: Identifizieren, wo Medien-Angebote fehlen, weil z.T. Printmedien keine Reichweite mehr erzielen oder letztendlich eingestellt werden. Mehr noch als in Deutschland gibt es in den USA regelrechte “news deserts” — Orte und Regionen, an denen es wenig bis keine Lokalmedien mehr gibt. Sowohl 6AM City als auch Axios, der erfolgreichste Newsletter-Publisher in den USA, haben diese Lücken identifiziert und bespielen sie konsequent, indem sie ihre Fühler vermehrt auch ins Regionale und Lokale ausstrecken und dort Angebote machen.
2. Wissen, was man NICHT macht
Bei 6AM City gibt es eine klare Vision für das Produkt: User:innen sollen konstruktiv, emotional positiv erreicht werden und die täglichen Storys und News sollen den Stolz auf den eigenen Lebensort (“pride in the city”) wecken. Was 6AM City explizit ausklammert: nationale Politik und Kriminalberichterstattung. Was uns als ÖR-Journlist:innen vielleicht befremdlich vorkommt, ist bei 6AM City als ein klares Nutzer- und Marktbedürfnis erkannt worden.
Nationale Politik spaltet in den USA, Menschen wenden sich explizit von diesen Nachrichten ab, es entsteht kein Dialog, sondern verhärtete Fronten. Das Userbedürfnis, das stattdessen bedient werden kann: Menschen wollen auf privater Ebene ihrem Lebensort positiv verbunden sein und informiert werden. Mit einem Mix aus Lifestyle, Events, Food, Culture & Community gibt 6AM City genau diesem Bedürfnis der User ein Zuhause und bindet sie so nachhaltig.
3. Kuratieren — große Reichweite für kleine Teams
Pro Markt stemmen bei 6AM City zwei “City Editors” den wochentäglichen Newsletter. Zusätzlich verbreiten sie auf vier Social Media-Plattformen ihre Inhalte. Ein Lead-Artikel pro Tag wird recherchiert. Neuigkeiten, die wichtig sind für die Stadt-Community, werden kuratiert — zum Teil von anderen Medienangeboten.
Das Produkt ist daraufhin designt, dass bei knappen personellen Ressourcen, eine exzellente Kuratierung als Teil des Produkts mitgedacht wird. So profitieren auch vermeintliche Marktkonkurrenten von der Reichweite der 6AM City-Newsletter, indem News-Beiträge oder Social Posts, die zum konstruktiven Ansatz des Newsletters passen, prominent im Newsletter verlinkt und abgebildet werden. Die City Editors werden so zu Stimmen in den lokalen Communities, deren tägliche Recherchen und Empfehlungen Gewicht haben.
4. Hyperlokal statt regional
Nicht neu: Menschen interessieren sich für das, was sie unmittelbar am eigenen Wohnort oder in ihrer Community betrifft. 6AM City steckt daher z.B. ab, in welchem Radius Events und Nachrichten für den hyperlokalen Newsletter überhaupt noch relevant sind. Beispiel: Liegt ein Event 1,5 Stunden Fahrtzeit außerhalb von Portland, ist es noch relevant, alles darüber hinaus: kommt nicht in den Newsletter. Deutsche hyperlokale Blogs wie „Mit Vergnügen“ schlagen schon lange sehr erfolgreich in diese Kerbe.
5. Alle Zielgruppen im Blick haben
Viele Newsletter-Publisher haben beim Design ihres Produkts nicht nur die End-User:innen vor Augen. Erfolgreich ist das Produkt erst, wenn es sich auch finanziell trägt. Bei 6AM City wurde von Anfang an der Werbekunde als weitere Zielgruppe mitgedacht. Lokale Advertisers haben sich in den letzten Jahren zunehmend aus den Werbemärkten zurückgezogen, weil sie ihr Geschäft nicht mit der vorwiegend negativen Berichterstattung in den meisten Lokalmedien in Verbindung bringen wollten.
Mit dem konstruktiven Ansatz kann 6AM City also auch potentielle Werbekunden überzeugen, in das Produkt zu investieren — um es somit auch finanziell erfolgreich zu machen.
Was ich gelernt habe — zusammengefasst:
Kleine Teams können überaus erfolgreich arbeiten — wenn es eine klare Produktstrategie gibt, die klar vorgibt, was ein Produkt erfüllen muss und was es NICHT mehr erfüllen muss und kann. Ein erfolgreiches Digitalprodukt machen heißt immer, die Bedürfnisse von User:innen zu identifizieren, zu akzeptieren und mit journalistischen Ideen zu verbinden.
Was es auch bedeutet: Differenzierte User-Fokussierungen sind notwendig, um Bedürfnisse passgenau zu befriedigen. Reflektiert auf meine konkrete Arbeit als Teamlead und Channel-Managerin im BR, heißt das aber auch: Nicht jedes Digitalprodukt kann und muss immer ALLEN Faktoren des öffentlich-rechtlichen Auftrags gerecht werden. Worauf wir in der ARD aber dennoch — mehr als private Medienanbieter — achten müssen, ist, dass die thematische und politische Binnenpluralität über alle Produkte hinweg gewahrt wird.
Newsletter im BR
Auch der BR bietet diverse Newsletter an — von Mediatheks- und Podcast-Empfehlungen über Rezept-Tipps bis Klassik-Events. Die strategische und zielgruppenaffine Ausrichtung der Newsletter hat meine Kollegin Ulrike Herm schon einmal für BR Next beschrieben.
Hyperlokale Newsletter sind nicht dabei, das verbietet uns der Rundfunkstaatsvertrag. Aber regional bieten wir mit dem BR24-Newsletter bayernweite News an.
Mit einem Stipendium in die USA
Wer auch zwei Monate in einer US-Redaktion verbringen will: Bis zum 31. Januar kann man sich für das Arthur-F.-Burns-Stipendium 2023 bewerben, alle Infos gibt es hier.