Der Tatort als Pen & Paper: 4 Dinge, die wir gelernt haben. 🕵️

Tim Pfeilschifter
BR Next
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5 min readMay 22, 2024

Sechs Stunden Livestream, mehr als 460.000 Aufrufe und 6.000 positive Kommentare, das ist die Bilanz des ersten „Tatort: Pen & Paper“-Rollenspiels auf der Livestreaming-Plattform Twitch.

Die Digitale Entwicklung des BR und der Programmbereich Spiel-Film-Serie haben es zusammen geschafft, die bekannte Marke „Tatort“ damit in eine Erzählform zu bringen, die besonders für junge Zielgruppen interessant ist.

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Pen & Paper ist eine Art des Improvisationsrollenspiels, bei dem die Spieler:innen, angeleitet von dem/der Spielleiter:in eine gemeinsame Geschichte erleben. Während die Spieler:innen einzelne Charaktere in dieser Welt spielen, stellt der/die Spielleiter:in die Umwelt und andere Charaktere dar und leitet die Spieler:innen anhand eines zuvor definierten geschichtlichen Rahmens. Durch die Improvisation bleibt die Geschichte jedoch nie ganz vorhersehbar.

In Deutschland, wie auch international, erfreuen sich Pen & Paper als Erzähl- und Unterhaltungsform großer Beliebtheit. Der weltweit erfolgreichste Kanal auf Twitch ist der wöchentliche „Pen & Paper“-Livestream „Critical Role“. In Deutschland spielen große Streamer wie “Gronkh” und die „Rocketbeans“ eigene Abenteuer für ein Millionenpublikum.

Die drei Spieler:innen und Spielleiterin Mháire Stritter im Livestream

Wir haben uns sehr darüber gefreut, mit Spielleiterin und Autorin Mháire Stritter zusammenarbeiten zu können. Als Spieler:innen konnten wir die talentierten Creator:innen Florentin Will und Baso gewinnen. Dazu kam der aus dem Fernseh-Tatort bekannte Schauspieler Ferdinand Hofer, der mit Bravour sein erstes Pen & Paper gleich live gespielt hat.

Doch worum ging es? Gaiglreuth, ein postkarten-hübscher Urlaubsort in den Chiemgauer Alpen, hat alles, was man sich wünschen kann. Wichtigster Magnet ist das säkularisierte Kloster, das heute ein Spa-Hotel mit Weltruf ist. Dort treffen sich eine bunte Auswahl an Influencer:innen. Außerdem macht der aus dem Münchner “Tatort” bekannte Kalli Hammermann dort einen Kurzurlaub. Mit dabei ist auch Julia Kröll, eine alte Freundin aus Kallis Polizeischule. Es kommt, wie es kommen muss: Ein bekannter Influencer wird tot aufgefunden …

Was haben wir aus dem Projekt gelernt:

  1. Das Formatkonzept immer weiterentwickeln
Das Vorgängerformat “Cambodum — Die Suche nach dem Keltenfürst”

Das Projekt zeigt, dass kontinuierliche Weiterentwicklung und Anpassung an das Feedback der Community entscheidend für den langfristigen Erfolg eines Formats sind. Durch unsere ersten Pen & Paper-Pilotprojekte „Das Turnier“ & „Cambodunum“, welche im mittelalterlichen Landshut und im antiken Kempten spielten, konnten wir viele Erfahrungen und Rückmeldungen in das Tatort Pen & Paper einfließen lassen.

Die Integration neuer Interaktionsmöglichkeiten wie Live-Polls und offene Fragestellungen sowie die Ausweitung des Formats auf längere Geschichten oder bekannte ARD-Marken bieten vielfältige Möglichkeiten, das Format weiterzuentwickeln und neue Zielgruppen zu erreichen. Die Flexibilität des Pen & Paper-Formats ermöglicht es, auf die Bedürfnisse und Wünsche der Community einzugehen und das Format kontinuierlich zu verbessern.

2. Freiraum für Creator:innen

Ein erfolgsversprechendes Konzept zu haben ist das eine, aber um dieses wirklich mit Leben und Erfolg zu füllen, dafür braucht es kreative Creator:innen. Neben der Autorin und bekannten Spielleiterin Mháire Stritter konnten wir für unsere Pen & Paper auch viele bekannte Creator:innen, Influencer:innen und sogar Schauspieler gewinnen. Um deren Präsenz und Teilhabe an unserem Format authentisch und erfolgreich zu gestalten, haben wir den Creator:innen möglichst viel Freiraum in der Schaffung ihrer Geschichte und ihrer Auslegung gelassen. Dafür eignet sich das Format Pen & Paper als offenes Storytellingformat besonders gut.

Die Spieler:innen und Spielleiterin mit der Landkarte

3. Gute Moderation ist King

Auch wenn wir zu mehr als 99% positive Kommentare hatten, bleibt eine gute Moderation notwendig. Bestenfalls im Vorhinein in Absprache mit den Spieler:innen, um eventuell bekannte Personen, die auf anderen Kanälen bereits gebannt sind, nicht die Möglichkeit zu geben, auch in diesem Chat Unruhe zu stiften.

Besonders positiv überrascht waren wir von der Hilfsbereitschaft der Community, die so manchen Troll selbst enttarnt und auf die Fragen von anderen Chat-Teilnehmenden geantwortet hat. So konnten wir feststellen, dass für den zwei Mal dreistündigen Stream drei Moderator:innen ausreichen. Dazu tragen auch die umfangreichen Tools von Twitch bei, wie in etwa die „Chatverlangsamung“ (Nutzer:innen können nur noch alle X Sekunden eine Nachricht schreiben), das Verstecken von Kommentaren und vorgefertigte Chatbefehle.

Wenn das On-Demand Video danach auf YouTube gepostet wird, sollten natürlich auch die Kommentare unter diesem Video beobachtet werden.

Die Spieler:innen, Spielleiterin und der Chat

4. Livestream lebt von Spontanität

Besonders große Freude kann man der Community machen, wenn man von Creator:innen und Formatentwickler:innen Seite nicht nur auf ihre Kommentare reagiert, sondern diese auch verstärkt wiederum in das Format einfließen lässt. Im konkreten Beispiel fiel während unseres Tatort Pen & Papers immer wieder der Begriff „Donauwelle“, weil einer der Kommissare einen solchen Kuchen in verschiedene ungewöhnliche Situation mitnahm. Der Kuchen stieß auf besondere Zuneigung der Community und wurde in kürzester Zeit zu einem Running Gag im Chat. Unsere Community-Manager:innen reagierten sehr schnell darauf und starteten ein offizielles „Donauwellen-Gewinnspiel“. Wer ein Bild seiner selbstgemachten Donauwelle über E-Mail einschickte, konnte eine offizielle Tatort Donauwellen-Tasse gewinnen. Durch die spontane Reaktion des Projektteams entstand so eine erinnerungswürdiger Livestream-Moment.

Insgesamt hat das Projekt gezeigt, dass die Erzählform Pen & Paper und die erfolgreiche Marke Tatort ein perfektes Match ergeben. Die Reichweite (460.000 Views) bei den jungen Zuschauer:innen auf Twitch und die extrem vielen positiven Rückmeldungen (6.000) des Pilotprojekts, lassen uns zudem darauf schließen, dass uns mit dem Projekt eine junge und erfolgsversprechende Erzählform der Marke „Tatort“ gelungen ist.

Wir freuen uns bereits darauf, mit der Erzählform Pen & Paper neue Marken und Zielgruppen zu erschließen.

Credits:

Projektmanagement: Benedikt Angermeier, Lisa Rack, Tim Pfeilschifter & Laura Urban

Konzept: Tim Pfeilschifter

Community-Management: Laura Urban

Design: Carina Urban

Digitalexpertinnen Spiel-Film-Serie: Lydia Leipert & Rebecca Zöller

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Tim Pfeilschifter
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Innovationsmanager im Bayerischen Rundfunk. Game Designer, Spielleiter und digitaler Hutmacher privat.