Drive By Bayern — “Wissen im Vorbeifahren” für Car-Systeme

Wie wir aus unserem Audio-Archiv neue Prototypen entwickeln

Florian Thoma
BR Next
8 min readJul 27, 2020

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Spannende regionale Inhalte aus dem vielfältigen Audio Archivschatz des Bayerischen Rundfunks kombiniert mit Standortdaten für die Routenplanung — wie in der digitalen Entwicklung Prototypen durch Vernetzung, Adaptierung und Einfach-Mal-Machen entstehen.

Key Visual — Copyright: stock.adobe.com/Schwier

Man kann etwas über einen Ort lernen, obwohl man gar nicht da ist. Aber wie wäre es, wenn man etwas über Orte, Menschen, Dinge lernt, genau dann wenn man auf dem Weg zu ihnen ist?

Das ist die Idee von Drive By Bayern: Die Geschichte, das Wissenswerte von Orten dann erzählen, wenn man sie passiert, wenn man auf dem Weg zu ihnen ist — oder schon vor Ort.

Unsere Idee: Will man per Routenplaner zu Ort „A“ fahren, bekommt man ein spannendes Audio-Angebot, das genau für den Ort passt: ein Feature zur Geschichte, über berühmte Persönlichkeiten, mit Kultur-Tipps.

Die bisherigen Testergebnisse sind vielversprechend: viele Menschen finden es tatsächlich spannend, zu ihrem nächsten Aufenthaltsort schon etwas zu erfahren, wenn sie auf dem Weg dorthin sind.

Prototyp für Android Auto und Android Automotive

Für Innovationen und die Umsetzung von Prototypen braucht es Leute, die für eine Sache brennen und diese Begeisterung teilen.

Das Gute am BR: Wir haben viele Spezialistinnen und Spezialisten, die diesen Spirit aktiv leben und mitgestalten — von den Redaktionen bis zur technischen Umsetzung der Plattformspezifität bringt jede und jeder Impulse aus dem Fachbereich in die Konzeption mit ein, man lernt voneinander.

Diese Vernetzung ist für uns ein entscheidender Faktor dafür, dass Dinge gut abgestimmt und gleichzeitig agil und iterativ entwickelt werden.

Für Drive By Bayern geht es uns vor allem erstmal darum, einen einfachen Showcase eines Prototypen zu entwickeln, mit dem man erste nutzerzentrierte Tests durchführen kann. Hier könnte man schon mit ganz einfachen Low-Res Prototypen qualitatives Feedback einsammeln.

Wir haben jedoch das Glück, dass wir in der Softwareentwicklung beim BR bereits etliche Erfahrung aus der Entwicklung der In-Car-Entertainment-Systeme für die ARD Audiothek haben — das wollen wir nutzen.

Für die ARD Audiothek gibt es eine Unterstützung für Android Auto, Apple CarPlay und das bald erscheinende System Android Automotive von Google.

Auch hier zeigt sich der Vorteil von Vernetzung und Begeisterung: In kürzester Zeit — es war eigentlich nur eine intensive Coding-Session über Nacht — konnten wir durch eine Adaption unseres Audio-Player-Moduls, das auf dem ExoPlayer basiert, sowie des Datalayers einen ersten Prototypen für Android Auto entwickeln, der standortbasiert, nach Entfernung sortiert, Audio-Beiträge aus der Umgebung anzeigt.

Die Audios können direkt auf der Plattform gestartet und abgespielt werden. Hier ist bemerkenswert, dass jede Nutzerin und jeder Nutzer auch die Android Auto Funktionalität ohne ein In-Car Display über die Android Auto App auch auf dem Smartphone verwenden kann. Für Tests ist das praktisch.

So sieht die Drive By Bayern App mit Android Auto auf dem Smartphone aus.
Integration von Drive By Bayern in ein Volvo In-Car System mit Android Auto mit verbundenem Smartphone

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte und ein Video sagt mehr als tausend Bilder: In diesem Screencast sieht man, wie der Drive By Bayern Prototyp mit den ersten Testinhalten im Android Automotive Emulator funktioniert.

Screencast Android Automotive Emulator

Auch das ist eine Erfahrung, die wir weitergeben können: Screencasts ermöglichen es ganz einfach ohne Testgeräte On-Demand-Einblicke in die Konzeption und das Interaction Design einer Anwendung zu geben und können jederzeit leicht geteilt werden — ideal also für die Kommunikation von Vorab-Testversionen.

Blick hinter die technischen Kulissen

Werfen wir einen Blick auf die Technik. Hier eine Übersicht der Parameterbelegung eines Models mit Standortdaten:

Technisch spannend bei der Implementierung ist vor allem die Integration der Standortabfrage — Android Auto und auch Android Automotive verhalten sich hier ganz klassisch.

Man benötigt zunächst eine Standortberechtigung, die dann zur Laufzeit ab der Android-Version M abgefragt wird. Sobald der User den Standort freigibt, kann man über den FusedLocationProviderClient in periodischen Updates die aktuelle Position des Geräts auslesen.

Hier ein Auszug aus der entsprechenden Stelle desMediaBrowserServiceCompat Services, der die Audio-Listen von Android Auto generiert:

Wer jetzt nicht Coden kann und nicht im Detail versteht, was hier vor sich geht, auch kein Problem — vielleicht inspiriert es ja trotzdem. 😄

Dieser Auszug ist übrigens in der Programmiersprache Kotlin geschrieben, die wir in allen unseren Android-Apps seit einigen Jahren einsetzen — wir können einfach nur immer wieder aus Entwicklersicht sagen: We ❤️ Kotlin!

Neben den Location-Services ist das Player-Module ein Herzstück dieses Prototypen. Man muss das Rad nicht neu erfinden, wenn man die Dinge ins Rollen bringen möchte, sondern kann aus den über die Jahre entwickelten App- und Projektlösungen lernen.

Das betrifft sowohl die Konzeption und User Experience von mobilen nativen Apps, die in erster Linie immer plattformspezifisch gut funktionieren müssen, um auch in der Top-Liga mitspielen zu können —und das ist unser Anspruch — als auch die technische Konzeption von Software-Architekturen.

Unsere modulare Entwicklung im Bereich Audio ermöglicht es uns hier beispielsweise, dass wir Features und Komponenten zwischen den einzelnen Projekten austauschen können und gegenseitig voneinander profitieren.

So kommt das Audio-Player-Module mit MediaSession-Handling, Playback-Speed, Playlisten-Support und Notification-Handling nicht nur in der ARD Audiothek App zum Einsatz, sondern auch in der BR24 App und in der neuen BR Radio App.

Nutzertests im Auto & Zug: Build, Measure & Learn

Für die ersten Nutzertests haben wir die Test-App nochmal zur nächsten Stufe weiterentwickelt, sodass auch Einträge dynamisch, ohne ein App-Update hinzugefügt werden können.

Hierbei haben wir für Prototyping gute Erfahrungen mit dem Mini-CMS Airtable gemacht, mit dem die App über eine REST API kommuniziert.

Das Anlegen von neuen Einträgen funktioniert hier tabellarisch, was vielen Redakteurinnen und Redakteuren auch von Google Spreadsheets bekannt ist. Ideal für schnelles Prototyping: Dateien können hier direkt via Drag & Drop hochgeladen werden.

Beispiel Datensatz für den Prototyp — Oberfläche des Airtable CMS

Die A8 als Teststrecke — schnell Erfahrung sammeln & skalieren

Gibt es überhaupt ein Bedürfnis, auf dem Weg zu einem Ziel schon etwas zu erfahren? Sind die Nutzerinnen und Nutzer bereit, ihre Routinen zu unterbrechen?

In einer ersten Testphase wurden speziell Nutzerinnen und Nutzer aus der Zielgruppe der „Performer“ angesprochen — Menschen, die sich und ihre Zeit wo immer möglich optimieren.

Die Testpersonen wurden nach ihren nächsten Autofahrten befragt, auf Basis der Rückmeldungen dann aus dem Archiv geeignete Audio-Stücke herausgesucht und per Messenger zugestellt.

Zu Beginn ihrer Fahrt starteten sie dann ihr Audio. In einem weiteren Test wurden Nutzerinnen und Nutzer über Social-Media-Kanäle gesucht sowie für einen Test im Zug Fahrgäste direkt angesprochen.

Das Ergebnis der Teststrecken

  • 80% der Testpersonen haben die Frage „Hättest Du danach gern weitere Inhalte von uns gehabt“ mit „Ja“ beantwortet.
  • 62% der Testpersonen haben nach dem ersten Test noch mindestens einmal bei einer folgenden Fahrt an Drive By Bayern gedacht, über die Hälfte von diesen sogar dreimal oder öfter.
  • 55% der Testpersonen wären bereit, ihre üblichen Tätigkeiten während des Autofahrens künftig für weitere Audio-Pushs von Drive By Bayern zu unterbrechen.

Die App wird über einen internen Alpha-Track direkt für Testerinnen und Tester zugänglich gemacht.

Drive By Bayern App im Google Play Store

Wie geht’s weiter?

Für die Weiterentwicklung von Drive By Bayern gibt es diverse Ansätze: Zum einen versuchen wir natürlich intern, das Angebot zu verbessern — vor allem, indem wir die Anzahl der verfügbaren Audios vergrößern wollen.

Das geht einerseits dadurch, dass wir noch mehr Archivschätze heben, und andererseits, dass wir punktgenau auch neu produzieren.

In stark frequentierten Gegenden oder an besonderen Stellen markieren braune Hinweis-Schilder einzigartige Sehenswürdigkeiten. Bisher fahren alle an den Schildern vorbei, aber das war’s auch schon.

Unsere Idee: Audio-Pushmeldungen von Drive By Bayern könnten in Zufahrt auf ein solches „braunes Hinweis-Schild“ dafür sorgen, dass man beim Erreichen des Schildes wieder etwas gelernt hat.

Kollaboration über den BR hinaus

Andererseits haben wir auch nach extern Kontakte geknüpft und wollen Anbieter im In-Car-Entertainment für Drive By Bayern gewinnen. Gerade für bayerische Automobilhersteller könnte es ein echtes Asset sein, mit ihren Autos auch „Wissen im Vorbeifahren“ anzubieten.

Auch für Kartendienste könnte eine unkomplizierte Schnittstelle zu Wissens-Audios („Für Ihre Strecke haben wir folgendes Audio-Angebot…“) ebenfalls ein interessantes Angebot sein.

Und schließlich haben die Tests im Zug gezeigt, dass Drive By Bayern nicht nur für Auto-Fahrer*innen interessant sind. Deshalb werden wir in Zukunft auch im öffentlichen Nahverkehr mögliche Partner wie die Deutsche Bahn oder Bus-Unternehmen ansprechen.

Der BR X Innovationsprozess

Das Projekt Drive By Bayern ist im interdisziplinären Innovationsprozess „BR X“ entstanden, in dem 2x jährlich Journalist*innen und Techniker*innen gemeinsam neue Ideen entwickeln.

Dafür werden sie einen Tag die Woche von ihrer Arbeit freigestellt, um sich im Treffpunkt Trimedialität, einem Labor für Innovation und Vernetzung im BR, der Erforschung neuer Technologien und der nutzerzentrierten Entwicklung von Formaten und Produkten zu widmen und mit Nutzer*innen zu testen.

In zwei Pitches hat sich Drive By Bayern neben einem weiteren Projekt gegen 15 weitere vielversprechende Ansätze vor einer Jury mit internen und externen Expert*innen durchgesetzt.

Mit im Team dabei sind aktuell Sophie Dezlhofer, Ronja Dittrich, Philipp Grammes, Robin Greene, Kristin Mehner, Andrea Mühlberger, Florian Thoma und Martin Zöller.

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Florian Thoma
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Senior Software Engineer at pub.tech with a ❤️ for interaction design and 🔉 | Teamlead Mobile Development 📱