Game On Symphony

Live-Musik-Event auf Twitch

Game-Musik, Orchester und die Twitch-Community — ein perfect match!

Annekatrin Hentschel
BR Next

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Der Podcast “Levels & Soundtracks” und das Münchner Rundfunkorchester bringen Game-Musik dahin, wo die riesige Gaming-Community zu Hause ist — auf die Videoplattform Twitch. Knapp 300.000 Zuschauer und Zuschauerinnen haben am 1. Februar das Event miterlebt mit Soundtracks aus „The Witcher 3“, „Starfield“, „Fallout 4“ oder „Super Mario Bros“. Teamlead und Projektleiterin Annekatrin Hentschel erklärt, wie die Idee entstanden und gewachsen ist.

“Game On Symphony” im BR Funkhaus (BR / Sabrina Wanninger)

Wie alles begann

Gestartet sind wir letztes Jahr im Mai mit unserem Podcast „Levels & Soundtracks“. Host Fridl Achten spricht mit seinen Gästen über ihre Lieblingsspiele und die dazugehörigen Soundtracks. Pro Folge gibt’s drei Levels, am Ende jedes Levels wird gequizzt. Die Aufzeichnung streamen wir jeden Donnerstag live auf dem Twitch Kanal der ARD, die Audio-Folge erscheint eine Woche später in der ARD Audiothek.

In der Podcast Entwicklung war klar: Bei Twitch ist unsere Zielgruppe zu Hause, gaming-affine junge Menschen bis 40 Jahre, denen ihre Freizeit, ihre Freunde extrem wichtig sind, das Leben im Hier und Jetzt, die sich gerne unterhalten lassen und Musik vor allem stimmungsgetrieben hören und sie sehr emotional erleben.

Auf Twitch streamen — das üben wir also schon eine Weile, was wahnsinnig wichtig war, um ein Event wie “Game On Symphony” zu planen.

Die ersten Streams waren fast immer nervenaufreibend, die technischen Herausforderungen größer als wir dachten: ein Rechner, der genug Leistung hat für den Stream zu Twitch, den Einsatz der Guest-Star-Funktion, mit deren Hilfe die Gäste in den Stream geholt werden und für animierte Elemente, wie Bauchbinden oder Aufschaltgrafiken.

Streamen über das BR-eigene IT-Netz — schwierig, weil die Ports bzw. Firewalls das nicht zulassen. Das lässt sich im Moment nur über eine externe Produktion lösen.

Der Blick in die Sendetechnik im Studio | © BR

Der Umgang mit dem Chat muss gelernt werden, sowohl vom Podcast Host als auch von den Moderierenden im Community Management. Twitch — das bedeutet Interaktion in Echtzeit. Was mache ich mit Trollen, Hatern und negativen Nachrichten zum Rundfunkbeitrag? Wie binde ich Interessierte an mein Produkt? Wie baue ich mir eine eigene Community auf?

Twitch ist eine eigene Bubble, genau wie auf YouTube oder TikTok herrschen hier spezielle Regeln. Die Ansprache und Ausdrucksweise sowie die plattformeigenen Memes unterscheiden sich von anderen Sozialen Medien.

Lernen ist wohl auch der richtige Begriff, wenn es um den Umgang mit Streamer:innen, Influencer:innen und deren Agenturen geht, also mit unseren potenziellen Podcast-Gästen. Durch regelmäßige Anfragen für die wöchentlichen Podcast-Folgen haben wir uns ein Netzwerk aufgebaut, die richtige Ansprache entwickelt, gelernt die Bedürfnisse und Anforderungen der Branche besser zu verstehen.

Der entscheidende Player — Die Musik

Gaming ist längst kein Nischenphänomen mehr, die Soundtracks zu den Spielen ebenso wenig. Ein Drittel der Deutschen hört Game-Musik auch im Alltag.

Mit den rudimentären Sounds der 16-Bit Ära hat die moderne Game-Musik nicht mehr viel zu tun. Spielesoundtracks von heute sind hochkomplexe Kompositionen. Sie sind episch und emotionsgeladen.

Game-Musik hat sich zu einem eigenständigen, anerkannten Musikgenre entwickelt und ist mittlerweile sogar eine Kategorie der Grammys. Bei Konzerttourneen füllt dieser epische Sound riesige Hallen.

Bei vielen, die gerne zocken, sind die Soundtracks sofort mit Emotionen und Erinnerungen verbunden — an die erste eigene Spielekonsole, oder an heimliches Spielen ohne dass es die Eltern merken. Game-Musik sorgt für Gänsehaut, Schockmomente, lädt zum Chillen ein oder gibt einem einfach nur ein gutes Gefühl.

Genau hier setzt der Podcast „Levels & Soundtracks“ an — die Musik schiebt das anekdotische und emotionale Erzählen an.

Kommentare aus dem Chat:

“Leude ich wollte doch nicht heulen.”
“Es ist einfach toll, für viele (mich eingeschlossen) kommen bei dieser Musik einfach Erinnerungen hoch, an Spaß und Kindheit und so.”

Doch schon früh war uns im Team klar: Zugespielte Musikausschnitte aus der Konserve — das kann noch nicht alles gewesen sein. Live knallt das doch noch viel mehr!

Die Idee, mit Live-Musik zu arbeiten, war von Anfang an in unseren Köpfen, auch im Austausch mit unseren Kollegen vom ARD Partnermanagement, allen voran Sebastian Specht und Sebastian Krumdieck. Ihre Beratung in strategischen, technischen, inhaltlichen Belangen war für uns essenziell — sie haben uns die Türen zu Twitch geöffnet. Für beide war klar, da steckt großes Potenzial drin — ein ARD Orchester live auf Twitch, das die Musik aus beliebten und angesagten Games spielt.

Der Test

Viele wichtige Erfahrungen konnten wir bei einer ersten Live-Veranstaltung im Herbst 2023 sammeln. Mit der finanziellen und organisatorischen Unterstützung der Versicherungskammer Kulturstiftung hatten wir die Möglichkeit, eine Podcast Folge mit Live-Musik zu gestalten.

Pianist Benyamin Nuss, der schon seit vielen Jahren Game-Musik spielt, hat speziell für diesen Abend Stücke aus „Super Mario“, „GTA San Andreas“ und „Mario Kart“ arrangiert. Als Gast konnten wir TikTok Star Shirli gewinnen.

Rund 200.000 Live-Aufrufe, eine hohe Chat-Interaktion und besonders positive Kommentare zur Musik haben uns bestärkt, das Projekt der Live-Musik weiterzuverfolgen und auszubauen.

Mehr als ein Konzert

Mit den gewonnenen Erfahrungen der letzten Monate und im Austausch mit dem Partnermanagement der ARD und bei Twitch war klar, dass wir mehr als ein reines Konzert streamen wollen. Es sollte ein Event werden, das sich ganz an den Bedürfnissen der Twitch-Community und den Besonderheiten der Plattform ausrichtet:

Die direkte Nähe zur Musik und den Akteuren und Akteurinnen wollten wir gewährleisten. Spielerische Elemente integrieren. Einen smoothen Einstieg in den Stream gestalten. Andere Streamer als Gäste einladen, die emotional bei den gespielten Soundtracks andocken, die eine Verbindung zu den Spielen haben und zur Musik allgemein.

Host Fridl Achten mit Michael Krogmann und Maurice Weber | © BR / Sabrina Wanninger

Mit Rocket Beans-Moderator Michael Krogmann und Streamer Maurice Weber konnten wir zusätzliche Aufmerksamkeit für unser Event generieren, ihre Fans in unseren Stream ziehen. Inhaltlich haben sie das Programm mit ihrem Wissen, ihrem Humor und ihrer persönlichen Leidenschaft zu Games und Game-Musik aufgewertet.

Natürlich spielt im Gesamtkonzept auch die Auswahl der Soundtracks eine entscheidende Rolle, große Namen, Triple-A Games ziehen auch hier. Während der Auswahlprozess und die ersten Überlegungen dazu noch das ganze Team begeistert haben, mussten wir uns im nächsten Schritt schnell von unseren Erwartungen frei machen.

Der Endgegner

Musikrechte einholen — das war der schlimmste Teil der Vorbereitungen. Nichts hat mehr an unseren Nerven gezehrt. Da hilft, anders als angenommen, auch keine international gefragte Dirigentin (mehr dazu weiter unten im Text), die wir für das Event gewinnen konnten, die selbst die Soundtracks zu Triple-A Spielen komponiert.

Jedes einzelne Stück braucht eine gesonderte Genehmigung, ein spezielles Formular, das ausgefüllt werden muss, einen Verweis in der Bauchbinde, einen Beleg. Kontinuierliches Nachhaken, Durchhaltevermögen, das sind die Skills, die hier gefragt sind.

Drei Wochen vor dem Event haben wir uns in der Redaktion noch zu möglichen Ausstiegsszenarien beraten: Möglichkeiten, das Event abzusagen oder in anderer Form durchzuziehen — denn wir hatten einfach nicht genug Musik zusammen, um den Stream sinnvoll zu gestalten.

Entscheidend für uns waren am Ende die richtigen Kontakte, externe Firmen, die ihr Spezialwissen, ihre Erfahrungen und ihr Netzwerk einbringen.

Das Münchner Rundfunkorchester bei der Probe | © BR / Sabrina Wanninger

Hinzu kommt: Auch wenn das Münchner Rundfunkorchester super fit ist im Spielen von Filmmusik — Gaming Soundtracks liegen nicht jede Woche auf ihren Pulten. Die Stücke müssen auch geübt werden und dafür braucht es die entsprechenden Noten. Eine Aufgabe, bei der es um exaktes Arbeiten geht, bis ins kleinste Detail, absolutes Spezialwissen, bei dem wir uns im Bayerischen Rundfunk auf unser Notenarchiv verlassen können. Es hat die Noten auf den letzten Drücker erstellt.

Eine lange Kette von Beteiligten, das braucht eigentlich den nötigen Vorlauf. Bis zum Probenbeginn zwei Tage vorm Konzert war das Programm noch in Bewegung. Am Ende landete ein Stück erst am ersten Probentag auf dem Pult der Orchestermusiker.

Der besondere Dreh

Eímear Noone — uns war klar, das ist DIE Frau, wenn es um das Dirigieren von Game-Soundtracks geht. Aber nicht nur das, gemeinsam mit ihrem Mann komponiert sie auch selbst die Musik zu Videospielen. Sie hat schon bei den Oscars dirigiert.

Und sie hat eine ungeheure Ausstrahlung, wenn sie da oben auf der Bühne steht, so authentisch, so im Thema, wahrscheinlich weil sie selbst auch mal ganz gerne zockt.

Dirigentin Eímear Noone im Konzert | © BR / Sabrina Wanninger

Was uns besonders begeistert hat, war der direkte Austausch mit der Community bei Twitch. Da kamen so viele Fragen ohne die Etikette, ohne das Hochkultur-Gefühl, das wir so oft in der Klassik erleben. “Was macht eigentlich eine Dirigentin?”, war eine Frage aus dem Chat. “Das ist im Grunde wie Luftgitarre Spielen”, war Eímears Antwort.

Der Austausch war humorvoll, aber auch mit ganz viel Achtung vor dem, was auf der Bühne passiert. “Ganz großen Respekt an das Orchester”, lautete zum Beispiel eine Nachricht aus dem Chat.

“Bitte, bitte lasst das ein jährliches Event mit Eímear Noone werden. Das war so fantastisch! Tausend Dank für den wundervollen Abend!”

“Ich finde, dass die Musik sofort Bilder im Kopf erzeugt, egal ob man die Spiele selber gespielt hat oder nicht.”

“War richtig bewegend und schön, weil einen das so zurückholt an Kindheitserinnerungen.”

“Zum ersten Mal hat man das Gefühl, dass die Rundfunkgebühren sinnvoll verwendet werden, mehr davon!”

Der erste Ton

Ein entscheidender Moment für unser Team — die ersten Töne zu Beginn der Proben. Das mag ein bisschen kitschig klingen, aber als das Orchester dann endlich auf der Bühne im Studio 1 im BR Funkhaus die ersten Töne spielte, da hatten wir Gänsehaut, da war klar, das passiert jetzt wirklich. Unsere Volontärin hat sogar ein Tränchen verdrückt, weil ihr auf einmal klar wurde, für was sie da die ganze Zeit gearbeitet hat und wie schön das tatsächlich ist.

300.000 Live-Aufrufe und über 5.000 Chat-Nachrichten, damit haben wir uns im Vergleich zu unseren bisherigen Highlight-Podcast-Folgen nochmal um 100.000 Aufrufe gesteigert. Ein großer Erfolg für uns mit einem Nischenthema, das Musik immer noch ist.

Die Vision

Was kommt jetzt: Weitermachen — mit unserem Podcast “Levels & Soundtracks” und solchen Specials. Die ARD als relevanten Player in Sachen Live-Musik und Videospiel-Soundtracks auf Twitch etablieren. Von großen Events wie der gamescom streamen, den Wert von live gespielter Musik feiern, diejenigen feiern, die das möglich machen — die Musiker:innen, die Komponist:innen.

“Game On Symphony” hier in der ARD Audiothek hören und als VoD auf dem Twitch Kanal der ARD.

Die Musikclips werden in den kommenden Wochen auch in der ARD Mediathek / ARD Klassik und bei YouTube veröffentlicht.

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