Konzerte, DJs, Bands remote

PULS Open Air: Stream dich her

Wie wir unser Sommerfestival trotz Covid-19 im Netz gefeiert haben und was wir dabei erlebt haben

Tom Bauer
Published in
8 min readOct 14, 2020

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Nach vier unvergesslichen Festivalsommern konnte das PULS Open Air 2020 aufgrund der Corona-Pandemie nicht wie geplant mit 10.000 Gästen auf Schloss Kaltenberg stattfinden.

Um den Fans trotzdem etwas zu bieten, stellte das Team von PULS, dem jungen Content-Netzwerk des Bayerischen Rundfunks, innerhalb weniger Wochen ein Streaming-Event auf die Beine — Live-Konzerte, DJs und Unwetter inklusive! Ein Werkstattbericht.

Die Ausgangslage: Unklare Situation, wenig Orientierung, kaum Zeit

Mit einem Termin Ende Mai / Anfang Juni ist das PULS Open Air für gewöhnlich eines der ersten Open Air Festivals der Saison im deutschsprachigen Raum. Entsprechend waren wir als eines der ersten Festivalteams mit den Themen Absage, Versicherung, Behörden und der zugehörigen Kommunikation konfrontiert.

Bild: Steffi Rettinger

Nachdem die Vertagung des Festivals auf 2021 endlich unter Dach und Fach gebracht werden konnte, war schnell klar: Wir möchten unseren Fans nach der Absage 2020 trotzdem etwas bieten. “Ein bisserl Festival-Feeling für zu Hause”, gerade nach diesen schwierigen und anstrengenden Anfangsmonaten der Pandemie. In Bayern herrschte zu dieser Zeit noch flächendeckend die Ausgangsbeschränkung.

Fünf Wochen bis zum Festival-Termin. Höchste Zeit, das Projekt aufzusetzen und mit der Arbeit zu beginnen.

Wie feiert man ein Open Air während einer Pandemie?

Das Festival war zuvor viele Monate konzipiert und bis ins letzte Detail durchgeplant worden. Diese Arbeit war nun obsolet, 100% Reset im ganzen Projekt. Zudem befand sich das gesamte Team seit Wochen im damals noch ungewohnten Home-Office-Modus. Eine riesengroße Herausforderung bahnte sich an.

Ein Remote-Workshop half uns gleich zu Beginn, Ordnung und Übersicht in das Vorhaben zu bringen. Ein Set an Zielen wurde festgelegt, um uns bei der Steuerung zu unterstützen. Das PULS Open Air sollte:

  1. Interaktion mit und zwischen den PULS Open Air Fans ermöglichen und einen Hauch von Festival-Feeling nach Hause bringen.
  2. Kultur- und Newcomerförderung betreiben und speziell den Künstler:innen in dieser für sie besonders schwierigen Situation beistehen.
  3. Die Marke PULS mittels hochwertigem Livestream präsentieren. Denn anders als bei anderen Festivals steht hinter dem PULS Open Air auch die professionelle Medienproduktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Auf diesen Zielen basierend wurden die inhaltlichen Eckpfeiler des Projekts festgelegt. Schnell kristallisierte sich heraus: Wir wollen ein Livestream-Event, gesendet aus Schloss Kaltenberg. Dabei war uns von Anfang an besonders wichtig, dass das typische PULS Open Air Feeling aufkommt.

Die Entscheidung hinsichtlich der Ausspielwege der Streams war schnell und pragmatisch gefällt: Facebook, Instagram und die dazugehörige Webseite pulsopenair.de wurden die Plattformen unserer Wahl. Dort lief bereits die Bewerbung der Veranstaltung, der Kontakt mit der Community war lange Zeit hergestellt, gepflegt und gelernt.

Quick and dirty: Skizzierung der Ausspielwege und User Journey.

Im Sinne der Newcomerförderung und um jungen Künstler:innen Reichweite zu verschaffen, wurde zusätzlich eine Kooperation mit ARD alpha und der BR-Kulturbühne lanciert — denn nur über eine klassische Fernsehausstrahlung können GEMA-Ausschüttungen an Bands generiert werden.

Wenige Wochen zuvor war Microsoft Teams in den Redaktionsalltag von PULS eingeführt worden. Entsprechend konnten wir nun darauf zurückgreifen und schnell ein passendes Projektmanagement mittels Channel-Struktur, SharePoint und Planner aufsetzen. Das Tool half uns zudem bei der unkomplizierten Einbindung weiterer BR-Kolleg:innen und Stakeholder des Projekts. Produktion oder Veranstaltungssicherheit — das PULS Open Air ist eine Co-Produktion verschiedenster Gewerke aus dem ganzen Haus.

Ein Leben im Video Call

Nun konnte es losgehen. Zuerst jedoch stand ein Termin bei der BR Corona Taskforce an, um das Projekt freizugeben. Nach diesem Reality Check und entsprechenden Anpassungen (=Kürzungen), standen die drei “Areas” der PULS Open Air 2020 Streaming-Edition.

Der Timetable: PULS Open Air — Stream dich her!

Den Haupt-Livestream konzipierten wir als moderierte Festival-Show mit Live-Konzerten u.a. der Orsons, Bruckner und Lienne, einem Live-Podcast (“Im Namen der Hose”) und einem interaktiven Nachhaltigkeits-Workshop mit dem funk-Format “Ozon”. Das Moderationsduo bestehend aus Ariane Alter (u.a. “Das schaffst du nie!”) und Fridl Achten (u.a. “PULS Musik Analyse”) sollte interaktiv und auf Augenhöhe durch den Nachmittag führen.

Fest eingeplante Interaktionsaufrufe und Feedback-Schleifen aus den Kommentarspalten sollten unseren “Facebook-first”-Ansatz untermauern, ohne die Zuschauer:innen im TV oder auf der Webseite außen vor zu halten. Zwei Community Manager:innen wurden eingeplant, um den Stream durchgängig betreuen und den Informationsfluss der Community zurück in die Produktion zu gewährleisten.

Den PULS Open Air DJ-Livestream bestückten wir mit zehn Künstler:innen aus Clubs in ganz Bayern. Ziel war es, auf die problematische Situation der arg gebeutelten Kulturstätten hinzuweisen — Clubs und Discotheken hatten seit März absolutes Betriebsverbot. Nach dem Motto #SaveYourLocalLieblingsclub sollte gemeinsam ein Zeichen gesetzt werden. Die nötige Reichweite wurde durch eine gemeinsame Crossposting-Kooperation mit den beteiligten Clubs auf Facebook anvisiert.

Ob das alles klappt? Festival-Chef Andy Barsekow in gespannter Erwartung. Bild: Steffi Rettinger

Die PULS Open Air Facebook-Gruppe wurde als dritter Ort auserkoren, um Programmpunkte mit dem Fokus Interaktion zu bündeln — quasi ein virtueller Zeltplatz für die Festival-Besucher:innen. Hier gab es von Q&As (mit Von Wegen Lisbeth und Ariane Alter) über Bieryoga und Quiz (mit Willy Nachdenklich) ein breites Potpourri an interaktiven Ergänzungen im Geiste des PULS Open Air-Erlebnis abseits der musikalisch geprägten Bühnen.

Das Event wurde angesetzt für Samstag den 5. Juni von 14:00 bis 24:00 Uhr. Das Team des PULS Open Air bestehend aus u.a. Booking, Produktion, Community Management, Grafik, Infrastruktur, Medienproduktion, Presse, Redaktion und Marketing machten sich auf Basis des Konzepts an die Arbeit. Hundert Stunden Video Calls und einige Nachtschichten später war es dann soweit: Das Streaming-Event konnte beginnen!

“Halloooo PULS Open Air 2020!”

Punkt 14:00 gingen wir Live aus Kaltenberg, zeitgleich auf pulsopenair.de, Facebook und ARD alpha. Die Spannung war groß — würde die Community unser Konzept annehmen? Würden die mit heißer Nadel gestrickten Workflows funktionieren? Würde die Produktion unter strenger Auflage der Corona-Regelungen reibungslos klappen?

Live-Workshop: Fabi von Ozon und Ari zaubern leckere Dattel-Mandel-Kugeln. Bild: Steffi Rettinger

Als Ariane Alter mit “Halloooo PULS Open Air 2020!” pünktlich auf Livestream #1 grüßt, hakt das Audio im DJ-Livestream anfangs noch und bringt uns ins Schwitzen. Nach einigen Minuten sind auch diese Kinderkrankheiten ausgeräumt, die Streams füllen sich und die User:innen schalten sich zu. Es dröhnt brachialer Techno von DJ Patricia aus Regensburgs Club Schimmerlos, während Fabian von Ozon auf der Hauptbühne bereits die Bühne betritt und den Zuschauer:innen die fabelhafte Welt der Nachhaltigkeit näherbringt.

Den Nachmittag bringen wir komplett wie geplant über die Bühne: Akustik-Sessions, Bieryoga, Quizze und musikalische Schwerpunkte bespielen die User:innen im Wechsel auf drei Areas, das Konzept scheint aufzugehen. Die Community versteht unsere Idee — juhuuu!

Kurz vor dem Wolkenbruch: Live-Podcast “Im Namen der Hose”. Bild: Steffi Rettinger

Doch kein Open Air Festival ohne — ganz genau —Unwetter! Pünktlich zum Live-Podcast gegen 18:00 Uhr blitzt und donnert es in Kaltenberg. Sintflutartige Regenfälle überschwemmen die Main- und DJ-Stage. Wir müssen den Podcast überstürzt abbrechen und auf Livestream #2 fällt der Ton aus. Ein überschaubares Chaos entfaltet sich und allein der Teil des Teams, das vom Funkhaus in München aus arbeitet, freut sich über trockene Füße.

Auch wenn wir den Sendebetrieb aufrechterhalten können, macht sich die inhaltliche Verwirrung langsam an den Views bemerkbar. Wir sammeln uns und bereiten das große Highlight des Abends vor: Das Live-Konzert mit den Orsons. Wir starten den Facebook-Stream nach dem erreichten Maximum von zehn Stunden neu und schlagartig explodieren die Views, der Chat bebt: Festival-Feeling pur!

Um Punkt 24:00 verabschieden wir uns schließlich mit einem finalen DJ Set von Alma (Harry Klein), dazu ein Lagerfeuergruß von Fridl Achten mit dem herzlichen Verweis auf 2021. Wir haben fertig! Das PULS Open Air 2020 — Stream dich her! ist geschafft.

Alma (Harry Klein) beschließt den Abend auf der DJ Bühne. Bild: Steffi Rettinger

PULS Open Air 2020: “Es war einmalig!”

So sehr uns die Konzeption der Streaming-Variante unseres Sommerfestivals gefordert hat, so sehr wünschen wir uns jedoch eine reguläre Edition im Sommer 2021. Die Magie eines echten Open Air ist durch ein Streaming-Event nicht zu ersetzen — zu begrenzt sind die Möglichkeiten im digitalen Raum. Und auch für die Moral im Team ist ein großes, gemeinsames physikalisches Happening sicherlich ergiebiger, als ein Livestream mit pünktlichem Ende.

Nichtsdestotrotz sind wir sehr froh, das Projekt auf diese Art und Weise adaptiert zu haben. Eine echte Alternative gab es zum gegebenen Zeitpunkt sowieso nicht und so sind wir froh, den Kontakt zu unserem Publikum gehalten und gemeinsam diese spannende und lehrreiche Erfahrung gemacht zu haben.

Hat sich der Aufwand gelohnt? Wir ziehen insgesamt eine positive Bilanz aus dieser Streaming-Edition des PULS Open Air. Mit einer kumulierten Reichweite von 1,2 Millionen Zuschauer:innen bei 420.000 Aufrufen allein auf Facebook können wir bei einem Festival mit angepeilten 10.000 Besucher:innen sehr zufrieden sein. Besonders freut uns aber, dass wir den Bands, DJs und Clubs etwas Aufmerksamkeit in diesen existenzbedrohenden Zeiten schenken konnten. Auch den PULS Open Air Fans scheinen wir nach monatelanger Ausgangsbeschränkung ein bisschen Hoffnung und Unterhaltung nach Hause geschickt zu haben. Das durchweg herzliche Feedback der User:innen hat uns in jedem Fall nachhaltig glücklich gemacht.

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