Tag X — unser erstes interaktives Hörspiel für Sprachassistenten

Was wir in der Entwicklung gelernt haben

Katie Nachbar
BR Next
6 min readJun 25, 2020

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Tag X ist ein interaktives Hörspiel für die Sprachassistenten Amazon Alexa und Google Assistant und auch für den Browser. Nutzer*innen können sich selbst per Sprachbefehl oder im Browser per Mausklick durch die Geschichte steuern.

Tag X — das interaktive Hörspiel

Du bestimmst, was passiert. Entscheidest Du Dich richtig, dann kannst Du die Welt retten. Es gibt verschiedene Handlungsstränge zu erleben und dreizehn mögliche Enden zu entdecken.

Worum geht es in der Story?

Die Story von Tag X spielt in einer Stadt in Aufruhr und Chaos. Die meisten Bewohner sind evakuiert worden. Bürgerkrieg ist ausgebrochen. Extremisten haben einen Coup gestartet und einen tödlichen Virus verbreitet. Aber es gibt Hoffnung: Ein Kind, das allein und verloren durch die Stadt streift, könnte die Katastrophe noch aufhalten.

Wie kann ich das interaktive Hörspiel spielen?

Du kannst selbst den Verlauf der Geschichte steuern. Nach jeder Szene kannst du zwischen mehreren Handlungsoptionen wählen. Über folgende Wege lässt sich Tag X spielen:

  • Smart Speaker (Amazon Echo oder Google Home)
  • Sprachassistenten-Apps auf Deinem Smartphone (Amazon Alexa und Google Assistant)
  • im Browser hier.

Genauere Infos dazu findest Du hier.

Die Startbefehle für die Sprachassistenten lauten “Alexa / Ok Google, öffne Tag X!”. Im Browser funktioniert das Hörspiel nicht mit Sprachbefehl sondern per Mausklick auf vorgegebene Buttons.

Hinter den Kulissen

Bei der Entwicklung von Tag X haben zwei Einheiten im BR kooperiert: die Hörspiel-Redaktion und das Innovationsteam der Entwicklungsredaktion.

Zwei Menschen sitzen am Tisch. Sprachassistent liegt auf dem Tisch.
Nutzertest mit dem ersten Prototypen

Tag X wurde von Anfang an mit Hörer*innen/Nutzer*innen getestet. Jeder neue Prototyp des Hörspiels wurde in Nutzertests auf die Probe gestellt — die Ergebnisse dieser Tests sind dann in die nächste Version eingeflossen.

Fun Fact: Ursprünglich wollten wir die Marke “Tatort” für unser erstes interaktives Hörspiel nutzen. Die Idee: ein “interaktiver Tatort”, bei dem Nutzer*innen die Ermittlungsarbeit steuern. Da es natürlich nicht gerade einfach ist, eine etablierte Marke, wie den Tatort für ein allererstes Produkt seiner Art zu nutzen, haben wir uns darauf verständigt, erstmal ein komplett eigenständiges Pilotprojekt zu machen — mit einer Story passgenau zu Sprachassistenten und gewählter Zielgruppe.

Die wichtigsten Learnings zum interaktiven Erzählen auf Voice

Im Nachhinein waren wir sehr froh über den Weg des eigenständigen Pilotprojekts, denn wir haben wirklich viel gelernt bei Tag X, unserem ersten interaktiven Hörspiel:

  1. CONTENT/PLOTTEN

Wir haben für Tag X eine Point of View-Variante gewählt, bei der die Nutzer*innen selbst die Hauptfigur sind. In dieser Variante kann man den Hauptprotagonisten nicht sehr stark charakterisieren und somit auch nicht im Laufe der Handlung weiterentwickeln.

Für unseren Autor, der sehr stark vom Charakter-getriebenen filmischen Erzählen kommt, war das ungewohnt. Die Handlung entwickelt sich bei unserem interaktiven Hörspiel nicht aus einer inneren Motivation des Protagonisten heraus, sondern durch äußere Ereignisse.

Bei Tag X hatten wir zwei verschiedenen Haupt-Handlungsstränge. Wir haben einen Action-getriebenen Strang mit kurzen Sequenzen, wo die Handlung sehr zackig vorangetrieben wird.

Der zweite Haupthandlungsstrang ist eher wie ein klassisches Hörspiel: Es gibt mehr Dialoge und Charaktere, die Handlung wird nicht ständig durch Entscheidungsmöglichkeiten unterbrochen. Kurz: Der erste Strang ist näher am Computerspiel, der zweite näher am Hörspiel.

Dabei haben wir festgestellt, dass unterschiedliche Nutzer einen unterschiedlichen Geschmack haben. Die einen bevorzugen mehr Entscheidungen (das ist die Mehrheit), doch andere wollen mehr Tiefe und Atmosphäre in der Erzählung.

2. INTERAKTIVITÄT/ENTSCHEIDUNGEN

Keine unverständlichen Tode

Spieler müssen die Folgen ihrer Entscheidungen abschätzen können. Es demotiviert, wenn man ohne bewusste Entscheidung durch einen nicht nachvollziehbaren Zusammenhang stirbt.

Speicherpunkte

Besonders wichtig ist, dass man nach dem Tod die Möglichkeit hat, an einen Speicherpunkt zurückzukehren — und nicht das ganze interaktive Hörspiel noch mal neu starten muss.

Keine „Pseudo“-Entscheidungen

Die Nutzer erkennen und missbilligen vorgespielte Wahlmöglichkeiten zwischen A und B, die am Ende aber beide auf A herauslaufen.

Entscheidungsbaum mit Pseudoentscheidung
Entscheidungsbaum mit Variable

Anzahl der Auswahlmöglichkeiten

Erkenntnis aus Nutzertests: Bei mehr als drei Handlungsoptionen nach einer Hörspielszene wird entweder immer die letzte Option gewählt oder um Wiederholung der Aufzählung gebeten.

Dem Spieler sollten also nie mehr als mehr als drei Handlungsoptionen an die Hand gegeben werden.

3. ERZÄHLWEISE / STYLE

Bei Tag X haben wir uns für einen Erzähler als Anker in der Story entschieden. Ein*e Erzähler*in kann den Nutzer*innen Orientierung geben und begleitet sie durch das Spiel.

Das ist nicht unbedingt notwendig, macht das Formulieren von Entscheidungsoptionen aber einfacher. Ansonsten müssten die Optionen von Figuren sonst aus der Handlung formuliert werden. Das kann schnell bemüht klingen oder albern wirken.

4. PRODUKTION

Die Zeit für die Produktion haben wir unterschätzt

Durch den komplexen Aufbau ist natürlich auch die Produktion nicht ganz so trivial. Es schleichen sich viel leichter Fehler ein und es ist eine Herausforderung für alle Beteiligten (Autor*in, Dramaturg*in, Regisseur*in, Techniker*in), den Überblick zu behalten.

Voice-spezifische Vorgaben

Während die Spieler*in ihre Entscheidung trifft, kann vom Smart Speaker keinerlei Ton wiedergegeben werden, auch keine Musik oder Hintergrund-Atmo, denn hier ist ja das Mikro in Richtung Nutzer*in offen und die Soundausgabe wird somit blockiert.

Man kann einen Abriss der Hintergrund-Atmo oder der Musik dazu benutzen, zu signalisieren, dass die Nutzer*in jetzt eine Entscheidung treffen soll. Ideal ist, wenn Atmo und Musik nicht erst nach Ende des Sprechertextes aufhören, sondern schon vor der Entscheidungsfrage. Damit ist die Entscheidungsfrage akustisch klar markiert.

Der Sound auf Smart Speakern ist immer mono, das muss bei der Mischung beachtet werden, die idealerweise auch Mono ist.

Es gibt eine Besonderheit für Alexa: maximal 240 Sekunden Sprechtext können zwischen zwei Entscheidungen liegen.

Keine Roboterstimmen

Bei Hörspielen begibt sich die Nutzer*in in eine andere Realität. Die monotonen und emotionslosen Roboterstimmen von Alexa und Google Assistant reißen aber aus dem immersiven Hörerlebnis. Soweit möglich, deshalb immer Hörspielsprecher*innen nutzen, selbst für Anleitungen, Nachfragen und Fehlermeldungen.

5. GOOGLE & AMAZON

Die Anwendungszertifizierung durch Amazon und Google ist notwendig und dauert immer länger als veranschlagt. Frühes Einbinden erspart später Änderungsarbeiten. Plattform-Richtlinien wie z.B. zum „Gewaltgrad“ sollte man sich am besten vorher anschauen.

6. ORGA & ASSET MANAGEMENT

Wir hatten zwar ein Tool für interaktives Storytelling (wir haben das webbasierte Programm Twine verwendet). Texte redigiert haben wir dann aber in einem Cloud-Dokument. Die Audios lagen in Ordnern. Für das nächste Projekt werden wir uns ein System überlegen, bei dem alle Gewerke eine Übersicht über den aktuellen Stand haben, Fehler getrackt und vom jeweils anderen Gewerk behoben werden können.

7. MARKETING

Es ist nicht einfach, einen Skill zu bewerben. Gute Erfolge haben wir damit erzielt, Crosspromotion über Kanäle zu bekommen, die eine jüngere, eher gamingaffine Zielgruppe ansprechen und nah an ihren Nutzer*innen sind (im BR z.B. die @news_wg).

Am besten wirkt Bewerbung auf den Plattformen selbst. Es ist wichtig, mit ihnen rechtzeitig zu vereinbaren, das Produkt zu bewerben.

Tag X live beim Zündfunk Netzkongress

Im November haben wir Tag X auch live mit dem Publikum gespielt auf dem Zündfunk Netzkongress im Volkstheater.

Projektteam

• Autor: Daniel Wild

• Regie: Martin Heindel

• Regieassistenz: Marie Telschow

• Ton: Helge Schwarz

• Redaktion/Dramaturgie: Klaus Uhrig

• Konzeption & Projekt-Management: Katrin Nachbar, Tim Pfeilschifter, Till Ottlitz

• Technische Realisation: Ear Reality

• Design: Simon Heimbuchner, Walter Wunderlich

• Website: Sebastian Bayerl

• Leitung: Ulrike Ebenbeck, Manuela Baldauf

Ihr erreicht das Voice-Team unter voiceteam (at) br.de. Hier lernt Ihr mehr über unsere Projekte. Wir freuen uns auf Euer Feedback!

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Katie Nachbar
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