Immersive Audio

Waldbaden mit Kopfhörern

Den Wald als binaurales Hörerlebnis ins Homeoffice bringen

Eva Deinert
BR Next

--

Blätterrascheln, Bachplätschern und Vogelgezwitscher: Die Naturgeräusche, die wir im Bayerischen Wald eingefangen haben, sind ein besonderes Sounderlebnis für die Ohren. Denn sie erwecken das Gefühl, mitten im Unterholz zu stehen. Das machen die Art der Aufnahme und unser Gehirn.

Campingstuhl im Wald an einem Bach stehend
Ein Platz, der zum Waldbaden einlädt (Bild: BR/Lukas Graw)

Mitte September im Bayerischen Wald: Mit mehreren mobilen Aufnahmegeräten und speziellen Mikrofonen ausgestattet, suchen wir gemeinsam mit Jürgen Völkl, Forstbetriebsleiter in Bodenmais, den perfekten Standort, um den Wald in seiner Klangvielfalt akustisch einzufangen, um anschließend für die Hörer:innen eine umhüllende Naturkulisse für zu Hause herzustellen.

Ein kleiner Bachlauf soll es sein. Das Plätschern des Wassers bildet ein wunderbares Soundbett, ohne zu sehr zu dominieren. Dazu sind genügend Laubbäume vorhanden, die im Wind rascheln können (Nadelbäume hört man nämlich kaum). Außerdem begrüßen uns ein paar Vögel mit fröhlichem Gezwitscher aus den Baumwipfeln.

Hier bleiben wir. Hier bauen wir unsere Mikrofone und unseren Campingstuhl auf. Hier wollen wir “waldbaden”.

Binaurale Aufnahmen und Immersive Audio

Damit unser Ausflug in den Wald am Ende auch für die Nutzer:innen zu einem immersiven Audio-Erlebnis wird, wollen wir binaurale Tonaufnahmen erzeugen.

3-D-Mikrofonsystem bei der Aufnahme nahe Bodenmais. (Bild: BR/Lukas Graw)

Dafür nutzen wir verschiedene 3-D-Mikrofonsysteme: zwei Kunstköpfe, ein Sennheiser Ambeo VR Mikrofon, eine ORTF-3D-Anordnung von Schoeps.

Über Kopfhörer angehört, entsteht durch die binauralen Aufnahmen ein natürlicher, einhüllender Höreindruck. Gerade so, als würde man selbst mit im Unterholz stehen und könnte die Geräusche um sich herum lokalisieren.

Dann singt der Vogel oben rechts im Baum oder das Geäst knackt direkt vor den eigenen Füßen oder das entfernte Flugzeug nähert sich von hinten und fliegt über den Wald hinweg.

Der Grund für diesen außergewöhnlichen Höreffekt liegt nicht etwa am technischen Format — binaurale Aufnahmen sind Stereo-Files — sondern an psychoakustischen Effekten in unserem Gehirn. Sie führen dazu, dass Schallwellen binauraler Klänge beim Hören anders verarbeitet werden als herkömmliche, über Kopfhörer wiedergegebene Audiosignale.

So als würde das Geschehen tatsächlich außerhalb des Kopfes und nicht zwischen den Ohren stattfinden. Voraussetzung dafür ist jedoch, wie gesagt, das Hören über Kopfhörer.

Der Kunstkopf ist wirklich ein Kopf

Ein Kunstkopf-Mikrofon steht im Wald. Weitere Mikrofone an am Ständer angebracht.
Kunstkopf-Mikrofon bei der Aufnahme. Zusätzlich angbracht: MS-Mikrofone (Bild: BR/Lukas Graw)

Am besten erklärt sich dieser Effekt am Beispiel des Kunstkopfes oder engl. Dummy Head. Das ist tatsächlich ein Kopf. Denn die Form des menschlichen Schädels sowie der Ohrmuscheln ist entscheidend dafür, auf welche Art die Schallwellen in die Ohren gelangen und dort vom Gehirn verarbeitet und interpretiert werden.

Deshalb befinden sich zwei Mikrofone in den Ohren des Kunstkopfes. Neu ist diese Art des Mikrofons nicht. Im Gegenteil: Bereits in den 70er Jahren wurden mit einem Kunstkopf aufgenommene Hörspiele im Radio ausgestrahlt.

Die Technik selbst ist sogar noch älter. Der Kunstkopf-Kollege, den wir nach Bodenmais mitgenommen haben, ist laut Inventar-Aufkleber schon länger im BR als ich alt bin.

„Next Generation Audio“ geht noch weiter

Die BBC spielt schon länger viele ihrer Podcasts, deren Nutzung überwiegend über Kopfhörer erfolgt, binaural aus.

Auch aktive Gamer:innen werden eher müde lächeln. Denn binaurale Sounds und mehr noch, objektbasiertes Audio, gehören im Gaming-Bereich zum Standard.

Objektbasiertes Audio unterstützt das Gamingerlebnis etwa darin, dass Nutzer:innen im Spiel ein Objekt anhand des Geräusches genau lokalisieren und in der Folge damit interagieren können, z.B. sich im Spiel darauf zubewegen oder es einzeln zu- und wegschalten.

Auch Kinofilme und Videostreaming-Angebote mit 3-D-Audio-Mischungen sind keine Neuheit mehr, wo sich “Dolby Atmos” als Format etabliert. Für das Abspielen braucht es dann einen entsprechend ausgestatteten Kinosaal oder 3-D-Audio-fähige Geräte, wie Soundbars, Smartspeaker oder Fernseher, die uns in den Sound einhüllen oder die binaurale Wiedergabe über Kopfhörer ermöglichen.

Der Wald und seine Wirkung

Unser Waldbaden-Projekt ist daher eher ein kleines Audio-Projekt, das für Nutzer:innen leicht zugänglich und einfach handhabbar sein soll. Die Waldgeräusche gibt es als Podcastfolge im radioReisen-Feed von Bayern 2, abrufbar in der ARD Audiothek und anderen Podcast-Anbietern.

Dort gibt es außerdem eine kleine Reportage über den Nationalpark Bayerischer Wald, so dass sich beide Folgen wunderbar ergänzen.
Für YouTube hat unsere Motion Designerin Annick Buhr eine Illustration beigesteuert, sodass es auch als Video im BR-Channel verfügbar ist.

Auf die Weise können Nutzer:innen selbst entscheiden, wo sie am liebsten Naturgeräusche hören möchten, denn die 75 Minuten authentische Waldaufnahmen bedienen ganz unterschiedliche Bedürfnisse: Sie werden zum Entspannen, zum Einschlafen oder zum konzentrierten Arbeiten gehört, berichtet die Community.

Tipp: Einfach an sich selbst testen

Wer das erste Mal binaurale Aufnahmen hört, wird den Unterschied zu herkömmlichen Stereo-Aufnahmen gar nicht sofort benennen können. Erste Reaktionen sind dann meist “Es klingt voller” oder “Der Sound ist so gut/ so klar.”

Um den Effekt, den die Aufnahmen auf unser Gehirn haben, genauer zu spüren, kann man zum Beispiel mal zuerst in gewöhnliche Naturgeräusche reinhören (findet man auf YouTube beispielsweise zuhauf) und dann auf unser File wechseln. Nicht vergessen: Kopfhörer aufsetzen.

Team
Projektteam: Sophie Dezlhofer, Lukas Graw, Eva Deinert
Produktion: Gerhard Wicho
Illustration: Annick Buhr
Redaktion radioReisen: Helen Malich

--

--

Eva Deinert
BR Next
Writer for

Creative Producerin, Innovationsmanagerin und Digitaljournalistin, Bayerischen Rundfunk @BR_NEXT