Ein eigenes Zimmer

Britta Helm
Britta Helm
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7 min readJan 10, 2019

Die besten Charaktere ändern sich nicht groß, sie reifen nur ein bisschen und stehen am Ende schlauer da, wo sie angefangen haben. Laura-Mary Carter und Steve Ansell haben ihrem dritten Album als BLOOD RED SHOES vier Wände eingerichtet, zwischen denen sie die alten Kabbeleien mit sich und der Welt neu und melancholischer inszenieren. Hauptsache, sie haben einander.

„Es ist so gut, dass wir jetzt unseren eigenen kleinen Raum haben“, sagt Laura-Mary Carter. Ein bisschen zerfahren, aber guter Dinge sitzt sie im Berliner Büro ihres Labels, das sie damit natürlich nicht meint. Sie sitzt neben Steven Ansell, der immer mitgemeint ist, wenn sie etwas sagt, und macht einen Labello auf und zu. „Es ist kein richtiges Studio, keins, in dem man ein Album aufnehmen könnte. Eigentlich ist es nur unser Proberaum mit den Sachen drin, die wir über die Jahre angesammelt haben, nicht größer als das Zimmer hier, aber es hilft uns schon enorm weiter.“ Steven nickt eifrig mit. „Es hat die Art, wie wir schreiben, komplett verändert. Wir wollten diesmal ganz bewusst etwas anders machen.“ Das sagen natürlich alle.

Das Wichtigste am neuen Blood-Red-Shoes-Album In Time To Voices ist, dass man es mögen wird, wenn man schon die Box Of Secrets und Fire Like This mochte und eingesehen hat, dass die aufregende NME-Band von vor acht Jahren im musikalischen Mittelstand angekommen ist, wo man tourt und strauchelt wie einst, das alles aber aus grundsätzlicherer Überzeugung. Vielleicht wird es ein bisschen länger dauern, das ist aber einkalkuliert. „Wir fangen erst an zu touren, wenn das Album draußen ist“, sagt Steven. „Und es gibt Songs, die werden wir gar nicht live spielen.“ Es hat sich nichts dramatisch verändert bei den Blood Red Shoes, aber sie haben sich verschoben. Von den Straßen, über die sie sonst pausenlos von einem Konzert zum nächsten fahren, in ihren Proberaum in Brighton.

Wenn In Time To Voices tatsächlich irgendwie anders klingt als seine Vorgänger, dann auf genau diese subtil versetzte Weise. Stevens Schlagzeug schnalzt trocken wie von Beginn an, Laura dreht ihre Gitarre auf, bis es rauscht und kreischt, sie singen mit dringenden Stimmen und trotzigem Akzent. Die Single Cold ist ein typischer Blood-Red-Shoes-Song, aufgekratzt und wild, dabei aber schwer genug, um gar nicht an Niedlichkeit zu denken. Aber es gibt auch träge, nachdenkliche Bluesstücke wie Night Light, atmosphärisch in der Luft hängende Songs wie Slip Into Blue, den verrauchten Titeltrack und das unwiderstehlich schwärmerische Stop Kicking. Neu ist, dass vieles hier zwischen den Zeilen und Schichten passiert — mehr Gitarren, mehr Melancholie, auch mal gar nichts — und dass sie es diesmal nicht nur haben passieren lassen, sondern es darauf angesetzt haben, sich selbst ein Stück über den Kopf zu wachsen. „Wir haben absichtlich Sachen versucht, die sich erst mal merkwürdig und falsch angefühlt haben“, sagt Steven.

Wenn Blood Red Shoes nicht auf Tour sind, schreiben sie. „Aber diesmal wollten wir eine Platte machen, die nicht so stark vom Livespielen beeinflusst ist“, sagt Laura. „Wir haben bewusst ausgeblendet, wie die Songs live funktionieren könnten.“ Dabei half ihnen der zum Studio ausgestattete Proberaum. „Wir haben nach wie vor zusammen gejammt, aber dass wir uns dabei aufnehmen konnten, hat einen riesigen Unterschied gemacht. Erstmals konnten wir experimentieren. Wir konnten mit ProTools herumspielen, Songteile austauschen, Gitarren schichten und Gitarrensolos ausprobieren. Das geht zu zweit sonst nicht. Und wenn wir dann gemerkt haben, dass wir einen Song zu weit in die falsche Richtung gedreht haben, konnten wir einfach die erste Version wieder aufmachen und von vorne anfangen.“ So ist In Time To Voices ein astreines Studioalbum geworden. „Aber eben kein Laptop-Album“, sagt Laura, „im Mittelpunkt stand immer noch der Song.“ Nur dass der jetzt, wo er sich nicht mehr um die Bühne und nur noch um den kleinen Proberaum sorgen musste, größer klingt als je zuvor.

Laura und Steven reicht das nicht. Diesmal mussten sie ihre fertige Platte noch als Demo nach Liverpool schicken und sich dort mit Mike Crossey in dessen Studio stellen, um sie noch mal neu aufzunehmen. So viel kann ihr Proberaum noch nicht, auch wenn die Originalaufnahmen noch vereinzelt auf dem Album untergekommen sind. „Aber wir haben in den letzten acht Jahren so viel gelernt“, sagt Laura, „dass wir eigentlich keinen Produzenten mehr brauchen. Wir wissen sehr genau, wie wir klingen wollen, da geraten wir mit den meisten Produzenten sowieso nur aneinander. Mit Mike sind wir immer klargekommen, deshalb hat er jetzt das dritte Album für uns produziert, aber selbst ihm ist gar nicht viel eingefallen, das wir nach den ersten Aufnahmen noch hätten verbessern können. Natürlich ist es theoretisch gut, jemanden von außen dabei zu haben, aber ich glaube, beim nächsten Mal versuchen wir es alleine.“

Steven sieht das erst recht so: „Bei den meisten meiner Lieblingsplatten spielt der Produzent überhaupt keine Rolle. Wer hat denn bitteschön Black Sabbath produziert? Keine Ahnung. Led Zeppelin? Das war Jimmy Page, also ein Bandmitglied. Radiohead? Nigel Godrich. Und alles, was er außerhalb von Radiohead produziert hat, ist totaler Müll, also liegt es ja ganz offensichtlich an der Band. Queens Of The Stone Age, Fleetwood Mac — die produzieren sich alle selbst. Und auch wenn eine Platte dann nicht perfekt ist, finde ich es einen schönen Gedanken, dass sie ganz unsere wäre. Ich will nicht die Platte eines anderen aufnehmen.“

Wenn Blood Red Shoes keine Platten machen, sind sie auf Tour. Das ist meistens und deshalb sind sie so eingespielt, sagen sie. „Gemeinsam touren schweißt zusammen“, sagt Steven. „Es gibt so viele Bands, die aufgehört haben zu touren und sich dann auflösen mussten. Ich habe eine Dokumentation über Tom Petty gesehen. Die Tour ist zu Ende, und seine Band lebt sich auseinander. Er ruft verzweifelt seinen Manager an und fleht ihn an, sie wieder zusammen in den Tourbus zu stecken. Ob Led Zeppelin oder die Rolling Stones — die größten Bands haben zu ihren größten Zeiten nie aufgehört zu touren.“ Mindestens fünf Sechstel des Jahres sind sie unterwegs, aktuell hat Steven seinen Mietvertrag gekündigt und nicht vor, sich vor Ende der nächsten Tour um einen neuen zu kümmern. „Die Band ist für uns kein Nebenbei-Ding“, sagt er. „Sie ist unser Leben.“

Und sie besteht von Anfang an aus ihm und Laura. Längst sitzt, was sie zusammen machen. So wie bei manchen Bands immer nur einer redet und sich bei anderen immer alle ins Wort fallen, teilen Blood Red Shoes alles. Sie lassen sich ausreden, gucken sich an und geben sich Recht. Und sie sagen eigentlich immer dasselbe. Die klassischsten Bands sind ihre liebsten. Ihre eigene das Wichtigste für sie. Und — da fangen sie immer an zu kichern — sie streiten quasi ständig und mit Leidenschaft. „Je me perds ist ein Punkjam, der davon handelt, wie wir uns mal in New York abgeschossen haben und ich dann nicht mehr nach Hause gefunden habe“, sagt Steven. „Der Titel heißt so viel wie ‚Ich verliere mich‘ oder auch ‚Ich verliere den Verstand‘. Wir spielen mit der Struktur dieser Rock’n’roll-Songs aus den 50ern und 60ern, wo ein Mädchen und ein Junge abwechselnd von ihrer Romanze erzählen. Nur dass wir uns eben anschreien.“

Dass sie sich immer zanken und vertragen und im Ernstfall nur aufeinander aufpassen, gehört fest zur Bandgeschichte. Wie Laura mal den halbstarken Steven vor einem Türsteher retten wollte, der dabei war, ihn aus seinem eigenen Konzert rauszuwerfen, erzählen sie, und wie sie, die Schmächtige, dann selbst von zwei Schränken weggetragen wurde. Und wie sie auch außerhalb der Touren ständig die Köpfe zusammenstecken, um zu schreiben, bis sie wieder aneinanderknallen und sie dann tagelang nicht miteinander reden. Wie solche Trotzpausen die einzigen sind, die sich ihre Band je gönnt. Mehr erzählen sie nicht von sich, dann lieber die nächste Anekdote. „Wir haben auf jeden Fall dieses Gang-Gefühl“, sagt Steven. „Wir gegen den Rest der Welt.“ Auch das sagt er immer.

Aber es geht noch weiter. Nicht nur, dass sie auf dem besten Weg sind, ihre Alben ganz ohne Hilfe und Ressourcen von außen aufnehmen zu können — „wir bezahlen sie auch selbst“, sagt Laura. „Wir lizensieren unsere Alben, sie gehören uns. Das heißt, wir müssen touren, um das Geld wieder reinzubekommen. Und wenn keiner kommt, haben wir richtig Pech gehabt. Das ist manchmal gruselig, aber dafür wissen wir genau, was wir tun. Es gibt so viele Bands, die nicht wissen, welche Schulden sie bei wem haben, weil sie alles von anderen Leuten regeln lassen. Wir kommen aus dem DIY, wir bleiben lieber selbstständig.“ Natürlich haben sie Manager, die sich ums Grobe kümmern, und buchen sie ihre Konzerte längst nicht mehr selbst. Trotzdem bleibt vieles zu tun, was andere abgeben würden. „Klar ist es Arbeit, aber es fühlt sich nicht an wie ein Job. Das würde es, wenn wir unter der Fuchtel eines Labels stehen würden, das uns sagt, was wir für Songs zu schreiben und wie wir auszusehen haben.“ Sie schüttelt sich.

Als nächstes wollen sie ihr kleines Unternehmen, das keins ist, ausbauen. „Wir haben uns überlegt, dass wir auch andere Bands produzieren können.“ Versuchskaninchen sind 1984, die französische Indieband, die Blood Red Shoes auch schon live ausprobiert haben. „Für den Anfang ist es leichter mit Leuten, die wir schon kennen. Steven übernimmt die technische Seite der Produktion, das kann er gut, und ich kümmere mich ums Songschreiben, also um Melodien und wie man die Songs mit kleinen Änderungen noch verbessern kann. Wir machen das ja schon seit Jahren miteinander. Wir analysieren unsere Songs bis ins Detail und bringen uns gegenseitig dazu, die bestmöglichen Gesangstakes aufzunehmen. Das können wir auch für andere machen.“ Sie fühlen sich wohl in ihrem Proberaumstudio, so wohl, dass sie sich trauen, andere Leute einzuladen und für sie vom eingespielten Team zum Produzentenduo zu werden.

Schwierig wird nur, dass sie vorher erst mal wieder rausmüssen aus den vier Wänden, und das Album, das sich vom Touren nicht den Kopf verdrehen lassen wollte, auf die Bühne stellen. „Wir proben im Moment wie verrückt“, sagt Steven. „Aber es gibt eben einige Songs, die wir nicht live spielen werden, weil ihnen einfach zu viele Schichten fehlen würden.“ Laura nickt. „Manche werden wir auch in reduzierten Versionen spielen, mit uns an Akustikgitarren. Aber wichtig ist, dass man zuerst das Album hört. So wie wir es aufgenommen und gemeint haben. Das können wir live nicht so nachstellen. Wir wollen auch nicht schummeln, indem wir mehr Leute auf die Bühne holen. Das wären nicht mehr wir. Wir haben nicht mehr Mitglieder. Wir sind zu zweit.“

Erschienen in Visions 229, 2012

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