Ernsthaft ironisch

Britta Helm
Britta Helm
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3 min readJul 4, 2018

Soll bloß später keiner sagen, PARQUET COURTS hätten gepennt, während ihr Land in Nihilismus versank. Mit ihrem fünften Album rütteln und schütteln die New Yorker Politik und Liebe durch kunterbunten Postpunk und machen dabei nur vor Faustkämpfen Halt.

Parquet Courts mit Austin Brown (2.v.l.) und A. Savage (r.) © Ebru Yildiz

„Ironie ist völlig in Ordnung“, stellt A. Savage fest und fixiert dabei das leere Bierglas auf dem Tisch. „Dass Ironie die Antithese zu Ernsthaftigkeit sei, ist eine falsche Annahme. Man kann durchaus ernsthaft ironisch sein.“ Der Sänger und Gitarrist von Parquet Courts sitzt dem anderen Sänger und Gitarristen Austin Brown in einer kompakten Hotelsuite gegenüber und sieht niemandem in die Augen, während er sehr ordentliche Sätze sagt. Gar nicht so leicht, die Grenzen zwischen Ironie, Sarkasmus und Zynismus aus dem Effeff zu definieren, aber wenn es nach Savage geht, wird es sowieso erst jenseits davon problematisch. „Ich würde den Nihilismus als davon abgegrenzt sehen. Er wirkt in seinem Einfluss auf die Politik zerstörerischer.“ Die aggressive Apathie seiner Landsleute wurmt den New Yorker so sehr, dass seine Songs auf dem fünften Album seiner Band fast alle von Gewalt und Idiotie halten. Zu einem Konzert in Atlanta erschien ein Fan im Trump-Käppi und brachte die Band damit in eine Zwickmühle: „Die Frage nach den ethischen Implikationen — erniedrigt man jemanden, indem man ihn darauf hinweist, dass man seiner Ideologie widerspricht, oder lässt man ihn sie ausdrücken — erledigte sich in diesem Fall von selbst, weil er von alleine hinausgeworfen wurde, aber sie inspirierte den Song.“

Almost Had To Start A Fight klingt so räudig und körperlich, wie sich das für ein Stück über einen Fast-Faustkampf gehört. Wo Human Performance seine Menschlichkeit vor zwei Jahren noch in freundlichen Melodien fand, wirft sich Wide Awake! nun wieder umso störrischer in The-Clash-mäßige Postpunk- und Ska-Rhythmen und die fast zu wörtlichen Spielereien. Wenn in Normalization der Turing Test zur Sprache kommt, bleepen dazu die Computer, Back To Earth klingt stellenweise spacig wie ein Alienfilm, und als wäre er geradewegs durch die Vierte Wand aus dem Song Mardi Gras Beads ins Interview spaziert, trägt Brown zur gelben Lacoste-Strickjacke eine Plastikperlenkette um den Hals. Savage trägt dicke Wollsocken. „Auf diesem Album wussten wir meist zuerst, worüber wir schreiben wollten“, erklärt Brown, „und die Musik kam dann hinterher. Deshalb haben wir sicherlich unbewusst viele musikalische Entscheidungen getroffen, die auf den Texten basierten.“ Während Savage sich mit Großstadtironie an der Selbstaufgabe der Landbevölkerung abarbeitete, schrieb Brown sich Gedanken über die Liebe von der Seele. Deshalb hört Wide Awake! mit dem sanften Tenderness fast optimistisch auf, auch wenn es bis dahin immer wieder fies zur Sache geht. Parquet Courts sehen auch um Bassist Sean Yeaton und Schlagzeuger Max Savage vervollständigt nicht wie eine Gang aus, die einen Pflasterstein gemeinsam durchs nächste Fenster hieven könnte, aber darum geht es beim Punk ja auch gar nicht, sagt A. Savage. „Ziviler Ungehorsein kann viele Formen annehmen. Er zeigt sich nicht nur in Straßenkämpfen, sondern auch darin, was man kauft, wie man lebt, welche Kunst man macht. Uns ist wichtig, dass die Menschen, wenn sie einmal die jetzige Zeit analysieren — und das werden sie sicher, denn es ist eine prägende Zeit — wissen, wogegen wir standen.“
Soweit man Parquet Courts überhaupt in Form bringen kann, hat Danger Mouse das als Produzent von Wide Awake! gemacht. Das Augenzwinkern, mit dem sie ihr politisch aufgewecktes Album doch nicht ganz „Woke“ genannt haben, zieht sich durch die ganze Musik. An einer Stelle ist eine Studiodiskussion zu hören, an einer anderen hört ein Song lange vor so etwas wie einem Refrain auf, und wenn sowieso nie zwei Alben dieser Band gleich klingen, dann muss auch ein Album nicht unbedingt eine bestimmte Form haben, sagt Savage. „Auf der Bühne klingt es ohnehin jedes Mal anders, deshalb ist ein Album immer nur die Aufnahme einer möglichen Performance, die wir mit gewissem Humor sehen. Nicht jeder Song muss überfrachtet sein. Manchmal geht es eher darum, zu wissen, wann man am besten stoppt.“

Erschienen in Visions 303, 2018

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