Hallo Welt
Zehn Jahre lang hat sich Robin Pecknold in der Rolle des FLEET FOXES-Wunderkinds gefallen, das sich in orchestralem Folkpop vergräbt und mit der Außenwelt nur über ein „Bitte nicht stören“-Schild kommuniziert. Dann schnitt er vorsichtig Gucklöcher hinein. Wer keine langen Blicke nach draußen wirft, kann nichts lernen, es soll aber bloß niemand zurückgucken.
Robin Pecknold lacht nervös. Da hat ihn die Plattenfirma für den Interviewtag schon extra in ein Tonstudio einquartiert, um ihm das Leben eine Spur leichter zu machen, und dann muss er trotzdem noch mit Menschen reden. Wenn es nach ihm ginge, dann würde er das neue Album der Fleet Foxes nach sechs Jahren Pause entweder gar nicht erklären oder in durchdachten Essays, jedenfalls nicht in Form von lauter Antworten auf lauter Fragen, die ihm reihenweise Journalisten im Halbstundentakt stellen, um dann doch zu schreiben, was sie wollen. Das kommt davon, wenn man aus lauter Kauzigkeit den schönsten Zauberpop macht und sich dann wundert, wenn das Publikum am Vorhang zerrt. Pecknold hat sich die Haare geschnitten, den Bart abrasiert und sein Waldschrat-Outfit aus Mütze und Hemd auf Linie gebracht, aber das heißt noch nicht, dass er sich durchschauen lassen will. Auf den Fotos, die an diesem Tag entstehen, um später in allen Zweigen der Musikpresse zu erscheinen, guckt er meist schräg aus dem Bild, mit einem Ausdruck zwischen melancholisch und gequält. Die unangenehmen Situationen in seinem Leben sucht er sich eigentlich lieber selbst aus.
„Ich glaube…“, sagt Pecknold und macht dann erst einmal eine Pause, in der ihn jeder Turing-Test schon als abgestürzt disqualifizieren würde. 20 Sekunden, eine halbe Minute. „Ich glaube… dass ich mich zwischen den Alben absichtlich in unangenehme Situationen gebracht habe, weil ich gehofft habe, daran zu wachsen.“ 2008 erschien das selbstbetitelte Debütalbum seiner Fleet Foxes, 2011 der Nachfolger Helplessness Blues, der die Band aus Seattle zum liebsten multiinstrumentalen Folkding der Pitchfork-Jünger machte, danach wurde ihrem Frontmann seine Rolle zu eng. „Ich hatte von 15 bis 25 nur Musik gemacht, das hat mich als Person komplett definiert, und ich war stolz darauf“, sagt er. „Aber nach dem zweiten Album wollte ich dann nachholen, was andere Menschen in dem Alter machen.“ Also wurde aus dem verschrobenen Wunderkind, das in Interviews immer nur erzählte, wie wenig es vor die Tür ging, ein Abenteurer. Pecknold lernte surfen und ging joggen, keine Teamsportarten, aber immerhin. Er quartierte sich für einen Monat ins Kloster ein, wanderte als Backpacker durch Nepal und schrieb sich sogar an der Columbia University in New York ein, um seinen Abschluss zu machen. „Die meisten Studenten in meinem Fach waren 18 bis 22“, sagt Pecknold, der gerade 31 geworden ist, „aber es gibt auch viele ältere, die wie ich in dem Alter andere Sachen gemacht haben. Musiker, Tänzer, Opernsänger und vor allem Veteranen, gegenüber denen ich mir mit meiner Geschichte ziemlich lächerlich vorkam.“ Den Abschluss hat er bis heute nicht, weil eine Supporttour für Joanna Newsom dazwischenkam und ihm dann doch Lust auf ein neues Album machte, aber das mit dem persönlichen Wachstum hat geklappt, sagt er. „Meine Hoffnung war, dass ich etwas fürs Musikmachen lerne, indem ich mir andere Sachen aneigne. Ich wollte neue Perspektiven gewinnen und erwachsener werden. Ich glaube schon, dass das funktioniert hat. Ich mag das neue Album jedenfalls.“ Was bei anderen Musikern keck wirken soll, ist bei ihm tatsächlich keine Selbstverständlichkeit. Seine letzten beiden Alben mag er nicht so richtig. „Ich bin von beiden enttäuscht. Ich hatte immer das Gefühl, ich müsste es eigentlich besser können. Deshalb wollte ich auch unbedingt das nächste Album angehen.“
Jetzt ist Crack-Up da, jetzt muss er es verteidigen. Vor dem Stereogum-Rezensenten beispielsweise, der das dritte Album der Fleet Foxes in einer Vorab-Besprechung herunterputzte. Pecknold wirke darauf so in sich gekehrt, dass man fast einschlafe, findet der Schreiber, um ihn dann auch noch mit Josh Tillman zu vergleichen, dem ehemaligen Fleet-Foxes-Schlagzeuger, der als Father John Misty inzwischen so viel spannendere Musik mache als sein alter Bandkollege: „Josh Tillman hat sich neu erfunden, einen ganz neuen Sound erschaffen, sich eine Figur ausgedacht und drei schillernde Alben veröffentlicht, während Pecknold herumgeschreinert und sich mit Hausarbeiten aufgehalten hat.“ Autsch. Natürlich hätte Pecknold das auch einfach elegant ignorieren können, stattdessen wählte er einen anderen Weg. In einem ausführlichen Kommentar gibt er zu, das Album vielleicht nicht offensichtlich genug in die Welt eingeordnet zu haben, aber das bedeute keinesfalls, dass er kein Interesse an ihr habe. Im Gegenteil, er sei eben nur eher Beobachter als Bestimmer. Der Song Cassius etwa handle von den Morden an Alton Sterling und Philando Castile, in If You Need To Keep Time On Me und Crack-Up ginge es um die US-Wahlen, und der von F. Scott Fitzgerald geliehene Albumtitel sei überhaupt so offensichtlich ein politischer Kommentar, dass man es eigentlich nicht übersehen könne. Abgesehen davon habe er als weißer Mann aber auch einfach nichts besonders Erhellendes zu gesellschaftlichen Diskussionen beizutragen. „Grundsätzlich würde ich sagen, dass die Stimme des weißen Hetero-Mannes die letzte ist, nach der ich im Moment aktiv suche oder der ich besonders viel Verständnis entgegenbringe. Ich meine, wen interessiert’s?“ Statt sich also zum Herren und Retter der Kultur aufzuschwingen, habe er lieber ein schönes Album geschrieben, eine Art Erholungsurlaub zwischen der wirklich wichtigen Musik, die beispielsweise von Kendrick Lamar, Solange oder Frank Ocean komme. Bei anderen Künstlern hätte eine so ausführliche Rechtfertigung leicht peinlich wirken können; die von Pecknold war aber so klug und ironiefrei formuliert, dass sie funktionierte. Der Rezensent gab zu, ein bisschen kleinlich geurteilt zu haben, alles wieder gut.
Dieser Drang, sich in epischer Breite zu erklären, passt auf den ersten Blick gar nicht zu dem jungen Mann, der sich in Interviews so offensichtlich unwohl fühlt, aber er ergibt Sinn, wenn man es schon mal mit einer sozialen Raupe zu tun hatte. Wer sich die meiste Zeit seines Lebens zwischen Instrumenten und Büchern vergraben hat, kommt nicht raus, um Smalltalk zu betreiben. Die Fähigkeit dazu müsste man sich erst mal draufschaffen und dann auch noch einen Sinn darin erkennen. Wenn Pecknold redet, dann hat er etwas zu sagen, und wenn er etwas zu sagen hat, dann hört er nicht mitten im Gedanken auf, weil eine Konvention es jetzt gern knackiger hätte. Sein Kommentar zum Vorab-Song Third Of May/Ōdaigahara auf der Songtext-Erklärungswebsite Genius ist noch so ein Beispiel. Dass Musiker dort anmerken, was sie sich bei ihren Texten gedacht haben, ist nichts Ungewöhnliches, aber die wenigstens gehen so sehr ins Detail wie Pecknold. Der Song erzählt die Zeit von seinem ersten Album bis zum Ende der letzten Tour in Japan nach, und Pecknold hat nicht nur genau markiert, welche Strophe in welchem Zeitraum spielt, sondern erklärt auch jedes Wortspiel und eine Ganze Reihe Kunstreferenzen. Der Titel ist einem Gemälde von Francisco Goya entliehen, aber er bezieht sich auch auf Pecknolds besten Freund und Bandkollegen Skyler Skjelset, der am 3. Mai Geburtstag hat. Robin Pecknold mag kein Meister der Extrovertiertheit sein, aber das heißt nicht, dass er keine Menschen um sich hätte. Das Line-up seiner Band ist über die Jahre weitestgehend konstant geblieben, sieht man von Deserteuren wie Father John Misty ab, und bei Videodrehs und Touren hilft die ganze Pecknold-Familie mit. Fleet-Foxes-Alben sind Gruppenarbeit, auch wenn einer die meisten Aufgaben mit nach Hause nimmt.
So richtig kann Robin Pecknold nicht benennen, was ihn an seinen letzten beiden Alben enttäuscht hat. Das macht es nicht leichter, zu erklären, warum das neueste ihm besser gefällt. „Das ist schwer zu greifen. Ich glaube… ich will einfach echt sein. Ich will mein Album hören und denken, dass es echt ist. Es soll interessante Einflüsse haben, aber sich auf keinen zu sehr stützen. Es soll kein Retroding sein. Es muss einfach…“, er weiß nicht weiter. „Ich fühle mich gerade, als müsse ich mich verteidigen.“ Was er natürlich nicht muss. Crack-Up klingt nur dann nach der Schlafmusik, die der Stereogum-Rezensent darin erkannte, wenn man sich gern luzide durch die Welten von Mary Poppins und Harper Lee träumt. Die elf langen bis sehr langen Songs sind durchgängig hübsch, mal auf feierliche und mal auf traurigere Art, aber immer üppig instrumentiert und voller interessant eingewundener Beobachtungen, die sie davor bewahren, geradeaus durch den Kitsch zu schlittern. Pecknold singt seine dichten Texte wie ein in der Kirche vergessener Chorknabe, der sich vom Hall so sehr faszinieren lässt wie von den bunten Fenstern mit den bösen Szenen drin. Wie solche Songs entstehen, kann er auch nur so halb erklären. „Das ist… unterschiedlich. Manchmal nehme ich einfach eine Gitarre in die Hand, schalte meinen Kopf aus und warte ab, welche Form meine Greifhand macht. Manchmal suche ich mir eine neue Gitarre, die beispielsweise einen merkwürdigen Hals hat, und schaue, welche neuen Griffe ich darauf erfinden kann. Manchmal spiele ich auf dem iPad herum. Und manchmal schreibe ich einen Song erst einmal in Worten so auf, als wäre er schon da, um ihn dann musikalisch umzusetzen. Ich lerne immer alles nur so gut zu bedienen, wie es für die Songs gerade nötig ist. Ich spiele nie einfach so zum Zeitvertreib Gitarre. Ich kann keine Solos spielen. Das ist mir auch völlig egal.“ Musik ist für ihn keine Spielerei, sondern ein ewiges Rätsel, das es zu lösen gilt. „Es ist wie beim Schreiben, da hat man eine bestimmte Anzahl von Buchstaben und Wörtern zur Verfügung und kann daraus unendlich viele Kombinationen erschaffen, aber man ist immer auf der Suche nach der einen richtigen. Momentan finde ich es noch spannend genug, nach dem perfekten Album zu suchen, aber vielleicht gehe ich eines Tages den nächsten Schritt und mache Filme, weil es da noch viel mehr Dimensionen gibt.“ Bücher haben es ihm längst angetan, das Theater und das Kino sowieso, und natürlich fällt auch jetzt schon immer der Soundtrack-Vergleich, wenn jemand etwas über die Musik der Fleet Foxes sagen muss. Eine Geschichte nicht nur musikalisch, sondern auch im Bild festzuhalten, ist da nur der logische nächste Schritt. Ob Robin Pecknold dann nicht nur Regie führen, sondern auch die Hauptrolle übernehmen würde? Über die Antwort muss er ausnahmsweise nicht lange nachdenken. „Haha, nein, auf keinen Fall.“ Was für ein absurder Gedanke.
Erschienen in Visions 292, 2017