Senf dazu: Rape Culture

Britta Helm
Britta Helm
Published in
2 min readMar 23, 2017

Es ist ein Anfang. Beach Slang nehmen die Anschuldigungen gegen ihren Gitarristen wegen sexueller Übergriffe ernst, suspendieren ihn von der Band und schicken ihren Sänger ersatzweise auf Solotour. Und Dowsing, die mitten auf der Europatour erfahren, dass ihr Schlagzeuger jemanden vergewaltigt hat, werfen ihn per Flugzeug aus der Band und spielen erst mal mit einer Aushilfe weiter. „Wir glauben Überlebenden“, schreiben Beach Slang in ihrem Statement dazu. „Wir stehen hinter allen Opfern sexueller, psychischer und physischer Gewalt“, schreiben Dowsing. So muss das sein, aber so ist es fast nie. Wer feststellt, dass sich Musikkultur nicht von Rape Culture freimachen kann, wird in Normalfall beschwichtigt bis niedergeschrien, was natürlich genau das Problem ist. Zur Erinnerung: Eine Vergewaltigungskultur ist eine, in der sexuelle Übergriffe verbreitet sind und kleingeredet werden, weil man Tätern lieber glaubt als Opfern. Kurz: die, in der wir leben. In der wir Musik hören und Musik machen. In der die allermeisten Frauen (denn meist sind es Frauen) schon solche Übergriffe erfahren haben und die allerallerwenigsten sich so etwas ausdenken. Und in der es immer noch überall heißt: Das muss sie erst mal beweisen. Das kann ich mir bei ihm nicht vorstellen. Sie will doch nur Aufmerksamkeit. Warum fällt es so schwer, so etwas zu glauben, während wir jeder Band, der ein paar Gitarrenkoffer aus dem Van geklaut wurden, direkt ungeprüft zehn Mitleidsdollar spenden? Als wäre das nicht die viel bessere Sorte Aufmerksamkeit, weil gitarrenkofferbeklaute Bands nicht nur richtig fett Kohle mit ihren unbewiesenen Behauptungen machen, sondern außerdem nicht mal als Schlampen oder Psycho-Groupies bezeichnet werden. Die Antwort heißt Rape Culture. Und die verschwindet leider nicht, indem man erst reagiert, wenn es zu spät ist. Das muss sein, natürlich, und es ist schon so viel mehr als bei anderen Bands, Produzenten und Managern passiert ist, die weitermachen dürfen, als sei nichts gewesen. Um Vergewaltigungskultur zu ändern, reicht es aber nicht, gegen Vergewaltigungen zu sein. Man muss auch hinterfragen, welche Songs man ironisch im Tourbus mitsingt, über welche Witze man lacht und wie schnell man was damit entschuldigt, dass jemand betrunken oder verknallt oder enttäuscht war. Es muss schon vorher klar sein, dass nachher niemand damit durchkommt. Das wäre mal ein Anfang.

Erschienen in Visions 284, 2016

--

--