Whatever? Never!

Britta Helm
Britta Helm
Published in
3 min readMar 18, 2020

Das Blut mag fake sein, aber die Sanitäter sind echt. STARCRAWLER aus Los Angeles nehmen den tollkühnen 70s-Punk-Pop-Hard-Rock auch auf ihrem zweiten Album in zwei Jahren immer noch so ernst, dass es weh tut — Hauptsache, sie sind niemandem egal.

©Autumn de Wilde

Der Humor von Arrow de Wilde geht so: ein blutverschmiertes Grinsen, triefende Haare und eine Infusion im Arm. „Oh, die Sanitäter sind alle echt!“, sagt sie und lacht. „Ich verletze mich auf der Bühne ständig. Das ist meist nur ein verstauchter Knöchel oder eine Beule am Kopf, nichts Lebensgefährliches, aber ich poste sowas halt gerne, weil ich es so lustig finde, wie sich die Leute drüber aufregen.“ Das tun sie auch, reichlich, in Kommentaren, die von besorgt bis angewidert reichen, und wenn de Wilde etwas daran überrascht, dann, wie gut solche Provokationen immer noch funktionieren. „Meine schlimmste Sorge ist immer, dass es niemanden interessiert. Am Anfang hatte ich Angst, dass die Leute gar nicht drauf reagieren oder höchstens mit: whatever. Aber sie sind richtig schockiert, es ist toll!“ Wer an den Instagram-Fotos mit dem Kunstblut und den echten Spritzen vorbeiscrollt, sieht schnell, woher de Wilde das hat: auf einem Bild steht sie schüchtern neben ihrem Idol Ozzy Osbourne. Von ihm haben Starcrawler sich nicht nur den eingängigen Heavy Rock abgeschaut, sondern auch das passende Auftreten. Zwar waren ihre Eltern noch in der Unterstufe, als Osbourne anfing, Tieren bühnenwirksam den Kopf abzubeißen, aber ein besseres Vorbild kann sich de Wilde bis heute nicht vorstellen. „Performance und Musik müssen beides stimmen. Ich will nicht cool aussehen und scheiße klingen, und ich will auch keine großartige Musik machen und dann langweilig rumstehen. Wer will schon Musiker sehen, die nur auf ihre Pedale starren? Ich nicht.“

Auch wenn sie heute so prollig redet, sie musste sich das tatsächlich erst antrainieren. Als Tochter der Indie-Fotografin Autumn de Wilde wuchs die Starcrawler-Sängerin zwischen Bodenstarrern wie Elliot Smith und Death Cab For Cutie auf. Ihr Vater Aaron Sperske spielte Schlagzeug in verschiedenen Indiebands sowie in einer 70s-Coverband, die für die junge de Wilde zur Mutprobe wurden. „Meine Schüchternheit habe ich mir nicht über Nacht abtrainiert, das hat gedauert. Ich hatte eine High-School-Band, die sich nicht allzu ernst genommen hat, und ab und zu bin ich auf die Bühne gesprungen, wenn mein Dad in irgendeiner Hollywood-Bar gespielt hat. Da waren meist nur betrunkene College-Kids im Publikum, die sich am nächsten Tag sowieso an nichts erinnert haben. Perfekt zum Üben.“ Was de Wilde aber schon von alleine konnte: gute Songs schreiben. Lässige Rock-Ohrwürmer wie I Love LA beispielsweise, die ihr selbstbetiteltes Debütalbum Anfang 2018 zum Liebling von Late-Night-Fernsehen und Indieradio machten. Für den Nachfolger Devour You wollte die junge Band gar nicht viel anders machen. De Wilde schreibt die meisten Songs zusammen mit Gitarrist Austin Smith und lässt dann den Rest der Band dazu gutgelaunt durchdrehen. Neuerdings finden sich dabei zwischen flottem Punk und dreckigem Rock auch sanftere Töne wie die der Country-Ballade No More Pennies. „Wir haben unseren Sound als Band gefunden“, sagt de Wilde, „aber es macht Spaß, auch mal melodischere Sachen zu schreiben.“

Statt Ryan Adams half diesmal Nick-Cave-Produzent Nick Launay im Studio und ließ der Band Zeit, ihre Songs ein Stück weiter auszubreiten. „Letztes Mal haben wir alles innerhalb von ein paar Tagen live aufgenommen, weil wir den Moment einfangen wollten“, sagt de Wilde. „Dieses Mal waren wir ordentlicher. Ich mag aber beide Arbeitsweisen.“ Was nur noch die Frage übrig lässt, welche Reaktionen sie sich erhofft, wenn ihre Alben ganz ohne Kunstblut und Verstauchungen bei Menschen zuhause laufen. Dass sich Starcrawler diese Spirenzchen leisten können, liegt schließlich daran, dass sie im Kern ziemlich massentauglichen Krach machen, zu dem de Wilde nur selten überhaupt mal Schimpfwörter singt. „Ich hoffe, dass die Leute auch unsere Musik entweder lieben oder hassen“, sagt sie. Hauptsache, sie hören sie überhaupt. Hauptsache, wir haben ihre Aufmerksamkeit.“

Erschienen in Visions 320, 2019

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