Die Auswirkungen der 3D-Druck-Revolution werden größer sein als die Erfindung des Internets.” — Chris Anderson, ehemaliger Chefredakteur WIRED

Produktentwicklung

Revolution in 3D

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5 min readNov 7, 2014

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Sieben leere, schwarz lackierte Bierkisten hängen an der weiß getäfelten Wand. Die indirekte Beleuchtung zieht die Aufmerksamkeit der Umstehenden auf die schnaubend rüttelnden Kunststoffboxen. Ein ausrangierter Mikrowellen-Drehteller fährt im Inneren langsam auf und ab, während eine fingerdicke Aluminiumdüse unaufhörlich flüssigen, roten Kunststoff auf selbigen speit. Süßlich warm hängt der Geruch von heißem Plastik in der etwa 60 Quadratmeter großen Galerie. Was klingt wie ein Auszug der letzten Vernissage für zeitgenössische Kunst, ist vielmehr eine Szene aus dem gerade eröffneten Ladengeschäft des 3D-Drucker Herstellers MakerBot in Downtown Manhattan. Und die Bierkisten? Entpuppen sich bei genauerer Inspektion als Ausstellungsstücke des derzeit technologisch besten 3D-Druckers für den privaten Anwender: dem Replicator. Ein desktopfähiges Endgerät, das neue Maßstäbe im Feld des 3D-Drucks setzt. Mit einer besseren Auflösung, höheren Geschwindigkeit und einem extrem niedrigen Preis von umgerechnet 1.650 Euro adressiert die Miniatur 3D-Fabrik primär Garagen-Tüftler und Enthusiasten aus dem Heimwerker Bereich. Bre Pettis, CEO von MakerBot, formuliert seine Vision für den Replicator so: „Unser Primärziel ist es, die nächste industrielle Revolution vorzubereiten.“ Was klingt, wie ein typisch amerikanisches Motivations-Pow-How, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als erfreulich schauriges Zukunftsszenario.

Von der Mediendemokratie zur Fertigungsdemokratie
Glaubt man den Ausführungen Pettis, wird die bevorstehende Revolution zum Kinderspiel. Immer günstiger werdende 3D-Drucker sind in Kürze ein fester Bestandteil auf heimischen Schreibtischen. Designer und ambitionierte Hobby-Ingenieure erstellen auf der ganzen Welt Computer generierte 3D-Modelle und teilen selbige auf Internettauschbörsen wie der MakerBot eigenen Plattform „Thingiverse“, einem Napster für 3D-Grafiken. Kostenfreie 3D-Software wie Googles SketchUp liefert die dafür notwendige digitale Werkbank direkt ins Wohnzimmer. Wer also künftig nach einer neuen iPhone Hülle Ausschau hält, wühlt sich keineswegs mehr durch das Überangebot bei Amazon. Der nach Individualität strebende „Digital Native“ erstellt oder modifiziert sein favorisiertes 3D-Modell nach eigenem Gusto und holt dieses drei Stunden später aus dem hauseigenen 3D-Drucker. Wer sich das technische Set-Up oder gar den Kauf eines solchen sparen möchte, findet mit Shapeways einen Anbieter, der die Produktion des eigenen Kunstwerks übernimmt. Damit ist Pettis Szenario nichts weniger als die Blaupause einer Marktveränderung, die Ende der 90er Jahre die Verlags- und Agenturlandschaft heimgesucht hat. „Was die Erfindung des „Desktop-Publishing“ für die Medienbranche“, so Pettis, „ist die rasant fortschreitende Entwicklung des ‚Desktop Manufacturing‘ für die fertigende Industrie.“

MakerBot Stories: Rapid Prototyping at Kisi

3D-Druck: größer als die Erfindung des Internets
Mit dieser Interpretation ist Pettis durchaus nicht alleine. Erklärte Digital-Wahrsager wie etwa Chris Anderson springen dem New Yorker Revolutionstheoretiker zur Seite. Der ehemalige WIRED Chefredakteur hat zum Jahresende 2012 sein Amt niedergelegt, um sich mit „3D-Robotics“, einer Community-Seite für selbstgebaute, ferngesteuerte Flugzeuge, hautnah an der drastischen Veränderung der Fertigungsindustrie zu beteiligen. Bei seinem letzten öffentlichen Auftritt als Wired Chefredakteur im November 2012 reduzierte Anderson seinen Beweggrund auf eine simple These: „Die Auswirkungen der 3D-Druck Revolution werden größer sein als die Erfindung des Internets.“ Die Essenz dieser gewagten Behauptung führt Anderson darauf zurück, dass in jedem von uns ein „Maker“, englisch für Tüftler, steckt. In seinem gerade erschienenen, gleichnamigen Buch findet er unzählige Beispiele, um dieses Dogma zu untermauern. Die Kurzfassung: Wir sind alle kreativ. Kochen, schreiben und Photos machen sind schöpferische Herausforderungen, denen wir uns täglich stellen, weil sie Spaß machen. Aufgrund fehlender Werkzeuge sind diese Aufgaben bislang nicht auf komplexere Herstellungsprozesse übergegangen. Die Demokratisierung des 3D-Drucks allerdings bricht diese Barriere. So jedenfalls die Theorie. Aber hält diese auch dem Echt-Test stand?

„Wollen Sie diese Broadway Show jetzt drucken?“
Um die Antwort vorwegzunehmen: Sie hält. Und zwar nicht nur in Bereichen banaler Gebrauchsgegenstände wie der erwähnten iPhone Schutzhülle. Die Anwendungsbeispiele reichen vom klassischen „Prototyping“ in Ingenieur-Büros über Kunstprojekte bis hin zu medizinischen Pionieranwendungen. „Seit der Gründung von MakerBot 2009 haben wir mehr als 15.000 Geräte verkauft“ bringt Bre Pettis seinen bisherigen Erfolg auf den Punkt. „Unsere Kunden reichen von Disney über Google, Ford und Microsoft bis hin zu kleinen Nischenanbietern wie beispielsweise Pebble“, einem Hersteller wlan-fähiger, digitaler Armbanduhren. Eric Migicovsky, Gründer und kreativer Kopf von Pebble, vertraut bei der Entwicklung seiner Prototypen ausschließlich auf den Replicator. Hauptargument für den jungen Pionier: Geschwindigkeit. Mit keiner anderen Technologie lässt sich so schnell ein testfähiger Prototyp erstellen. Im Atelier von Kacie Hultgren verhält sich das ähnlich. Die Bühnenbildnerin vertraut bei Entwicklung und Design ihrer Broadway Shows ebenfalls auf einen 3D-Drucker. Damit beschleunigt die New Yorker Designerin nicht nur ihren eigenen Kreativprozess, sondern auch den befreundeter Designer. Auf Thingiverse stellt sie ihre Kreationen der Öffentlichkeit zur weiteren Verwendung zur Verfügung.

Medizintechnik als Treiber der Bewegung
„Mehr als 25.000 Designs stehen auf Thingiverse bereits zum Download bereit“, erzählt Bre Pettis nicht ohne Stolz. „Die eindrucksvollsten Projekte für mich sind nach wie vor die aus der Medizintechnik.“ Eines davon trägt den skurrilen Namen „Rest Devices“, zu Deutsch „Ruhe Apparate“, und unterstützt Schlaflabors rund um die Welt bei der Diagnose von Schlafapnoe. „Die Preise unserer Apparate wäre um ein Vielfaches höher, wenn wir diese im herkömmlichen Spritzgussverfahren herstellen müssten,“ erklärt Thomas Lipoma, MIT Student und Mitbegründer von „Rest Devices“ den Vorteil der 3D Druckproduktion. Ähnlich verhält sich die Argumentation von Seth Horowitz, Hilfswissenschaftler an der Brown Universität in Rhode Island. Mit einem gedruckten, anatomischen 3D-Modell des menschlichen Innenohrs spart Horowitz seinem Campus jährlich tausende Dollars, die in der Vergangenheit für die Beschaffung der Vorlagen ausgegeben wurden.

Neben den rein betriebswirtschaftlichen Vorteilen ist für Bre Pettis vor allem die persönliche Unabhängigkeit der elementare Gewinn seiner Entwicklung: „Wenn du mit der 3D-Druckerei anfängst, verändert sie dich für immer. Wir liefern dir deine eigene kleine Fabrik direkt auf deinen Schreibtsich. Das Einzige, was du brauchst ist eine Idee und eine Mindestbestellung von einem Stück.“ Vivre la révolution.

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MakerBot
MakerBot wurde 2009 als Garagenwerkstatt in Brooklyn, New York gegründet. Mit einem Marktanteil von 25% und 165 Mitarbeitern avancierte MakerBot in den letzten drei Jahren zum internationalen Marktführer für 3D-Drucker im Heimanwenderbereich. Einer der größten Kapitalgeber ist Jeff Bezos, Gründer und CEO von Amazon.

Replicator 2
Mit dem Replicator 2 führt MakerBot seine vierte Generation desktopfähiger 3D-Drucker ins Feld. Das revolutionäre Gerät druckt problemlos Gegenstände mit einem Durchmesser von bis zu 32 Zentimeter bei einer Auflösung von 100 Mikrometer. Eine Einheit, welche die Mindesthöhe der gedruckten Kunststoffschicht je Druckintervall beschreibt. Je dünner die Schichten, desto höher die Qualität. Zum Vergleich: Der derzeitige Marktstandard liegt bei einer Auflösung von 270 Mikrometer. Die Produktionstemperatur des Replicator 2 rangiert zwischen 15° und 32° Grad Celsius. Die für den Druck verwendeten Polyesterkunststoffe (PLA) sind in 9 unterschiedlichen Farben und Ausführungen, von transparent bis metallic erhältlich. Eine Standard Druckspule liegt bei umgerechnet 36 Euro und reicht für ein Volumen von ca. 6.700 Kubikzentimeter, oder 390 handelsüblicher Schachfiguren. Das Material ist hitzebeständig bis etwa 100° Grad Celsius und biologisch abbaubar.

Text: Thomas Escher
Illustration:
Jan Meyer

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