Warum die Zukunft oft wie Spielzeug aussieht (und warum das für viele Firmen ein Problem ist).

Viele Produkte und Services werden so ernst gedacht und entwickelt, dass sie sich selbst im Weg stehen. Der Weg zum Product-Market-Fit ist steinig, schwer und anstrengend und ihn mit Produkten zu beginnen, die den Menschen Spaß bereiten, kann ein Wettbewerbsvorteil sein.

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6 min readSep 3, 2018

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Wegen Paywall nur ein Screenshot der Financial Times

Die neue Uber-Strategie hätte die alte VW-Strategie sein müssen. Uber übernahm vor kurzem das US-amerikanische Bikesharing-Netzwerk JUMP und baut sich zu einem multimodalen Mobilitätsdienstleister um. Es wird deutlich: man kannibalisiert sich mittelfristig selbst (eine Fahrt mit dem Fahrrad ist günstiger, vor allem geht sie dem Uber-Fahrer verloren, was die Bindung der Fahrer zu Uber empfindlich beschädigen kann), um langfristig aber die Bindung zu den Nutzern auszubauen und erste App zu bleiben, wenn es darum geht, von A nach B zu kommen.

Der Schritt, sich in der Wertschöpfung sozusagen nach unten zu arbeiten, ist gut, schließlich sind e-Bikes und e-Scooter ideal für kurze Strecken und sind damit qua Physique Konkurrenz zu Autos im Stadtverkehr und schweißfreier als ein Fahrrad. Spannender aber ist die entgegengesetzte Richtung: Die Arbeit in der Wertschöpfung von unten nach oben, bei der man aus einer Nische heraus immer wertvollere Zielgruppen erarbeitet (und damit bessere Profite).

Moia hier noch mit Fahrer im regulärem VW-Bus, bald mit eigenentwickelten selbstfahrendem Auto

Der Carsharing-Markt ist in Deutschland im Duopoly zwischen Daimler mit Car 2 Go und BMW mit Drive Now aufgeteilt (die mittlerweile auch zusammen gehören). Viele werden sich gefragt haben, wo VW bei diesem Rennen eigentlich bleibt. Volkswagen baut mit Moia gerade einen Eingang in Nichtbesitz-Konzepte und weil dasKonzept selbst hochseriös-klugkalkuliert-logisch-richtig ist, ist es Protoyp eines Denkmusters, das zu oft Innovationen bremst und an dem sich Konzerne intern zerreiben. Man muss den Gegenentwurf zu diesen Denkmuster verstehen.

Verständnisbrücke 1: Spielen macht Spaß und Spaß ist eine ziemlich gute “Customer Experience”.

Spaß zu bieten ist ein guter Anfang, um ein Flywheel in Gang zu bringen

Die gesamte Geschäftswelt redet von Plattformen und Netzwerken, von Customer Experience und von “Virtuous Cycles” — aber kaum einer versteht, dass man irgendwo anfangen muss, den Virtuous Cycle anzuschmeißen oder die Plattform für andere aufzuschließen oder eben eine Experience zu experiencen. Clay Christensens “Disruptive Theory” besagt im Kern, dass Technologie dazu tendiert, in einem schnelleren Maße besser zu werden, als die Nutzerbedürfnisse steigen, für die sie mal entwickelt wurde. Schlußfolgerung von Chris Dixon, General Partner bei Andreessen Horowitz: Produkte sind Prozesse und das “next Big Thing” sieht oft aus wie ein Spielzeug und wird von der Konkurrenz (gnadenlos) unterschätzt, weil es in seiner ersten Version die Nutzerbedürfnisse nur unbefriedigend bedient.

Produkte, die anfangs belächelt werden, weil sie wie Spielzeug aussehen, oder irgendwie lächerlich, sind aber Produkte, die live sind, die benutzt und damit weiterentwickelt werden. Ein Produkt, über das man müde lächelt, ist mehr Wert, als ein Konzeptpapier, in dem seriös rumgeschwafelt wird.

31.2K Ratings und 4.9 Bewertung sprechen für ein ziemlich gutes Produkt

Spielzeuge machen in allererste Linie Spaß und Nutzern eine gute Zeit zu spendieren ist kein so schlechter Anfang. Ein Beispiel: Eines der erfolgreichsten digitalen Produkte der New York Times ist ein Kreuzworträtsel. Damit erreicht die NYT jeden Monat zwei Millionen Menschen, rund 400.000 Subscriber zählt der Service, der ca. € 0,50 die Woche kostet. Der beste Journalismus der Welt baut einen Eingang zu seinen Inhalten über eine Kreuzworträtsel-App. Man stelle sich allein die Lernkurve der Redaktion vor, die ganz neu versteht, welche Themen die Leser beim Rätseln interessieren, oder wie sie Öffnungsraten von Newslettern analysiert, in denen man Kreuzworträtsel-Kunden digitale Abos der NY-Times anbietet. Oder wie die Nachricht formuliert wird, in der Zeitungsabonnenten auch ein richtig gutes Kreuzworträtsel angeboten wird.

Auch Uber baut mit e-Bikes und e-Scootern das eigene Geschäft mit einem Fortbewegungsmittel aus, das noch vor wenigen Monaten bei Toys’R’Us zu finden war. e-Scooter machen Spaß und man sieht nicht so lächerlich aus wie auf einem Segway. Die neue Uber-Strategie hätte auch aus einem anderen Grund die alte VW-Strategie sein müssen.

Verständnisbrücke 2: gute Produkte werden nicht durch bessere Produkte ersetzt.

Produkte werden in ihrem Entwicklungs-Zenit nicht durch bessere Produkte der gleichen Art ersetzt, sondern von Produkten, die das gleiche Problem auf andere Weise lösen. Der PC wurde nicht durch einen noch besseren Computer ersetzt, sondern durch ein Smartphone, dass das gleiche Problem auf bessere Weise löst. Autonomes Fahren ist vielleicht das bessere Autofahren (da stressfreier), aber e-Scooter die bessere Art und Weise, im urbanen Raum von A nach B zu kommen (da staufreier und unterhaltsamer und aktiver).

Der Volksscooter wäre ihr Preis gewesen.

Dummyanzeige zu Anschauungszwecken

VW’s Moia fühlt sich wie ein Produkt aus der Gedankenwelt eines Konzerns an und das klingt zwar erstmal negativ, ist aber gar nicht so gemeint. Ein autonom-fahrender Bus kann viel gezielter Menschen von A nach B bringen und hat realistische Chancen, viele Menschen von U-Bahnen, S-Bahnen und Bussen abzuwerben. Er ist klar besser als jede Bahn und absolut sinnvoll und wie oben beschrieben hochseriös-klugkalkuliert-logisch-richtig. Aber wie oft werden Menschen das pro Tag benutzen? Viel wichtiger: Wie schnell kann man so einen Service ausrollen? Zu welchen Kosten flächendeckend anbieten? Wie oft werden Kunden am Anfang da stehen und kein Auto kommt, weil nur 15 in der Stadt unterwegs sind? Wie schnell wird die Moia App dadurch wieder gelöscht? Wie (vor)schnell der Business Case als nicht haltbar abgestempelt?

Ein e-Scooter ist handlicher als ein autonom-fahrender Bus. Günstiger auch. Ein e-Scooter macht Spaß. Und er löst das exakt gleiche Nutzer-Problem auf viel bessere Weise (außer es regnet). Ein Auto wird nicht durch ein noch besseres Auto ersetzt und Produkte sind Prozesse, was heißt, dass VW mit einem e-Scooter Angebot wie bei JUMP einfacher den Weg nach oben zu komplexeren Angeboten wie der Vermietung von Leihwagen übers Wochenende, Angeboten wie Moia oder sogar den Verkauf von Autos etc. hätte gehen können. Die neue Uber-Strategie hätte die alte VW-Strategie sein müssen, war sie aber nicht, weil ein e-Scooter wie ein Spielzeug aussieht und nicht ernst genommen wird.

Von Minimum-Viable-Products und Gravitation im Unternehmen

Vielleicht hätte man die Entwicklung eines e-Autos auch mit einem Roller beginnen müssen

Es gibt diese lustige Grafik, die Managern illustrieren soll, was ein MVP ist. Nämlich nicht etwa ein Auto mit nur einem Rad, sondern erst ein Skateboard, dann ein Roller, Fahrrad, Mopped, dann ein Auto. Diese Grafik war immer schon gut, weil sie verständlich macht, das Produkte Prozesse sind und man auch mit einem Skateboard von A nach B kommt (nur nicht so komfortabel), aber sie war auch gut, weil sie aufzeigt, dass man halt irgendwo mal anfangen muss.

Start By Starting: Im MVP-Ansatz steckt der Spielzeuggedanke und mit ihm die Erkenntnis, dass man Probleme nur löst, in dem man anfängt, sie zu lösen. In Spielmustern zu denken hilft Unternehmen dabei, die Angst vor dem Scheitern abzulegen und nicht im Perfektionismus zu veröden, der Unternehmen dazu zwingt, hochseriös-klugkalkuliert-logisch-richtige Konzepte zu planen, die am Ende viel Geld kosten und doch irgendwie nicht so richtig abheben.

Irritieren, bis Trägheit überwunden wird: Idee hinter Gravitationsprojekten

Wir haben mit dem Gravitations-Framework ein Modell entwickelt, mit dem wir aktiv nach “Spaß”-Momenten innerhalb der Customer Journey des jeweiligen Unternehmens suchen, die wir mithilfe von schnellen Tests, wie beispielsweise Design Sprints oder Keyword-Tests, falsifizieren und erst dann den Schritt hin zur Business-Case-Entwicklung gehen (und dann in die Umsetzung). Wir treten seriös für Spielzeug-Produkte ein und suchen systematisch nach Momenten des Spaßes — haben aber mit child natürlich den kindlichen Gedanken des naiven und spielerischen irgendwie auch im Unternehmen.

(Volkswagen ist kein Kunde von child)

child kollaboriert mit ambitionierten Unternehmen, um sie bei der Digitalisierung durch radikale Vereinfachung von Null auf Eins zu bringen.

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