Nichts zu lachen mit Elektro-Autos.

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6 min readApr 10, 2019

Die Zukunft des Automobils liegt vor allen, die sich mit ihr beschäftigen, wie ein merkwürdiges Puzzle, dessen Einzelteile nicht so recht zusammenpassen. Elektro-Autos machen das Problem der Autoindustrie besonders deutlich. Aber in ihnen steckt auch die mögliche Lösung, weil sie die Wertschöpfung von Automobilherstellern radikal verändern — was sich sogar abbilden lässt.

Ein bisschen fühlt sich die Autowelt an wie die der Feature-Telefone aus dem Jahr 2006, kurz bevor das iPhone vorgestellt wurde. Noch ist die Elektro-Technik eher ein Problem, Elektrifizierung könnte aber die Komponente sein, mit der sich ein neues Bild über die Autowelt der Zukunft zusammensetzten lässt (wie Apps + Touch beim iPhone). Mit e-Autos verlieren vor allem Volumenhersteller nahezu alle Wettbewerbsvorteile:

  • Ein e-Auto ist nicht sparsamer als ein anderes e-Auto
  • Die Reichweite eines e-Autos ist immer gleich gut/schlecht (je nach Budget)
  • Eventuelle Preisvorteile gehen verloren, weil e-Autos aufgrund des Akkus und fehlender Mechanik ungefähr alle gleich viel Kosten
  • Es gibt kaum Upgrade-Möglichkeiten, weil der Motor fehlt

Die Differenzierung kommt immer spürbarer heute schon aus der Idee des Modells oder der Idee der Marke heraus. Ein gutes Beispiel ist Rivian aus den USA. Das Start-Up baut weder einen “Tesla-Killer” noch die hundertste Demokratisierung der e-Technik — Rivian baut e-Autos für Abenteurer. Eine bestimmte Marke mit bestimmten Modellen für eine bestimmte Zielgruppe.

800 PS im Grünen

Die Liste ist durchaus länger, vor allem bei VW wird der Paradigmenwechsel in der Modellpolitik sichtbar. VW bringt mit dem ID Buggy Fun in die e-Welt, mit dem ID Buzz ein Lifestyle Familien-Auto und besetzt mit Seat den 5-Mile Markt mit dem Seat Minimé.

Beispiele der neuen e-Auto Offensive von VW: Autos für die Nische

E-Technologie ist Schlüsseltechnologie, aber eben nicht nur in Sachen Umweltschutz. Die extreme Vereinfachung des komplizierten Produkts ‘Automobil’ durch die Elektrotechnik erschließt Freiraum, bestehende Baulogiken neu zu denken. Ein Diesel wird nicht durch eine Elektro-Version des gleichen Modells ersetzt, sondern Elektro-Autos ersetzen die bestehenden Fahrzeugklassen insgesamt. Nicht Kompaktklasse, sondern Urban-Fun. Nicht Mini-Van, sondern Familien Lifestyle. Nicht SUV, sondern Buggy oder Luxus-Jeep.

Schaubild, wie auf der VW ID Plattform Autos für bestimmte Zielgruppen, Use Cases, Anlässe etc gebaut werden

Nicht mehr die Fahrzeugklasse definiert die Käufer, sondern der jeweilige Use-Case, das soziale Milieu der Zielgruppe oder sogar ein popkultureller Anker definieren das Fahrzeug. Vor allem VW zeigt mit der ID Plattform, wie es fortan möglich wird, auch Kleinserien und Kleinstserien für bestimmte Nischen zu produzieren.

Im Moment unterstreicht ein e-Auto entweder den Modernimus des Fahrers oder es ist (meistens blauleuchtendes) Symbol der “Demokratisierung” der Elektrotechnologie. Das Aufbrechen der gängigen Fahrzeugklassen in “Lifestyle”-Segmente durch die E-Technik zwingt Hersteller dazu, anders über die Vermarktung nachzudenken.

Es rächt sich, welche Marke nie wirklich gelernt hat, ihrer Zielgruppe in den letzten Jahren auf Instagram zuzuhören und eine Beziehung zu ihr aufzubauen, weil in Zukunft eben neue Automodelle aus den Zielgruppen und Milieus heraus entwickelt werden, schlichtweg weil es die günstige Plattform-Bauart und die kürzeren Entwicklungszeiten der E-Technik es möglich machen.

Nichts zu lachen: die Stan Shih Smile Curve der E-Autos

In der Theorie der “IT-relevanten Fertigungsindustrie” beschreibt die Stan Shih Smile Curve die Veränderung der Wertschöpfung in den verschiedenen Phasen der Markteinführung eines Produkts. Das Modell stammt von dem Gründer von Acer, Stan Shih. Seiner Beobachtung nach verfügen die beiden Enden der Wertschöpfungskette — Konzeption/R&D und Marketing — in der Computerindustrie über eine höhere Wertschöpfung des Produkts als der mittlere Teil der Wertschöpfungskette — die Fertigung an sich. Wird dieses Phänomen in einem Diagramm mit einer Y-Achse für den “Wert der Wertschöpfung” und einer X-Achse für die Produktionsstufe (Zeitachse) dargestellt, sieht die resultierende Kurve wie ein Lächeln aus. Eine lächelnde Kurve, bei der man als Unternehmen lieber in den Mundwinkeln verortet ist.

Klassisches Modell der Stan Shih Smile Curve für “IT-relevante Fertigungsindustrie”

Die vereinfachte Fertigungslogik durch e-Autos zusammen mit den zahlreichen IT-Innovationen der Autoindustrie von Autonomen Fahren, über On-Board Services bis hin zu Location-gestützten Ride-Sharing Netzwerken machte aus der Autoindustrie längst eine wie oben beschriebene “IT-relevante Fertigungsindustrie”. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die eigentliche Produktion des Autos, Herz, Seele, vor allem Hände der deutschen Autoindustrie massiv an Wert verliert. Die Stan Shih Smile Curve für den Automobilbereich sieht dann wie folgt aus: auf der Konzeptionsseite haben wir Hochtechnologienabieter wie Waymo, die Module für das Autonome Fahren bauen. Auf der anderen Seite des Lächelns das Vermarktungs- und Modernismus-Narrativ a la Tesla und den Zugang zum Kunden wie ihn die Ride-Sharing Netzwerke haben. In der Mitte finden wir die Autohersteller selbst:

Stan Shih Smile Curve angewendet in der Automobil/Mobilitäts-Industrie

Ist Mercedes-Benz das neue Acer? Sicher noch nicht. Die Frage ist, ob diese Entwicklung für Premium-Hersteller gilt, oder ob die Gefahr nicht viel mehr Volumenhersteller wie Toyota, Skoda & Opel betrifft. Am Ende hat der Hersteller gut lachen, der entweder auf der einen oder der anderen Seite der Kurve zu finden ist. In der Bewertung der Zukunftsfähigkeit bestimmter Hersteller muss also der Blick konzentriert auf die beiden Enden des Lächelns gehen: wird in eigene Tech-IP wie Maps, Autonomes Fahren investiert? Wird eine Beziehung zu den Kunden “engineered”? Wenn ja, mit welchen Ökosystem an Services? Werden Design-Ressourcen geschaffen, die nicht nur Blech formen?

Ein Beispiel: der elektrische VW Buggy. Ganz sicher werden den Menschen kaufen, aber in Anwendung der Smile-Logik wäre das wirklich wichtige Asset die Frage, ob er auf einem bestimmten Zielgruppen-Need aufbaut, weil VW sehr genau weiß, welche Leute dieses Auto wollen und -wichtiger- die Vermarktung dieses e-Buggy. Zum Beispiel in einem Ride-Sharing Netzwerk, das für bestimmte Anlässe konzipiert wird: zum Beispiel die Kurzzeitmiete übers Wochenende. Dann wird wirklich nicht mehr wichtig, Autos wie den e-Buggy zu besitzen, sondern kurzfristig Zugang zu ihnen zu bekommen, nämlich an sonnigen Wochenenden.

In den letzten Monaten wurden immer wieder die Schwierigkeiten der deutschen Autoindustrie beschrieben, wie in diesem Bloomberg-Artikel. Wirft man den Blick auf das, was substantiell an Signalen von VW und Co kommt, kann man aber mit Hinblick auf die Smile Curve sagen, dass der konsequente Wandel zur Elektrotechnik sichtbar wird, und damit die Erkenntnis, das German Engineering an Wert verliert, weil Manufacturing in einer IT-dominanten Logik an Wert verliert, was am Ende aber geistige Kapazitäten freimacht, um in die beiden Enden der Kurve zu investieren, die Kunden, Mitarbeiter, Investoren und das ganze Land zum Lächeln bringen.

child kollaboriert mit ambitionierten Unternehmen, um sie bei der Digitalisierung durch radikale Vereinfachung von Null auf Eins zu bringen.

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