Der Shitstorm

Wie jemandem Lichtnahrung zum Verhängnis wurde und mir ein Post auf Telegram in dem ich ein Ereignis aus dem Jahre 1874 erwähnte.

Chili Prepper
Chili Prepper’s Sauce
8 min readMay 5, 2024

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Dieser Artikel handelt von zwei unabhängigen Ereignissen. Da ist zum einen die Geschichte eines jungen Deutschen, der dachte, er könne sich nur über das Licht der Sonne ernähren und deswegen meinte, auf jegliche flüssige und feste Nahrung verzichten zu können. Auf die Geschichte dieses jungen Deutschen namens Finn wurde ich aufmerksam durch die Sendereihe STRG_F des öffentlichen Rundfunks, die auf YouTube zu Hause ist.

Das YouTube Video zu Finn

Das andere Ereignis schildert meine Erfahrung mit einer lokalen Telegramgruppe, die sich aufgrund der zunehmenden politischen Polarisierung herausgebildet hatte, um wieder das gemeinsam Verbindende zu fördern.

Der Deutsche

Egal, ob auf Fiji, als Anhalter am Rand der Sahara, als Bergwanderer auf dem Anapurna, oder mit einem alten VW Bus Spanien und Marokko erkundend, junge Deutsche trifft man weltweit und häufig.

Jugendliche Reisefreudigkeit, so wie Entdeckergeist eint sie. Egal, ob sie mit eigenen Mitteln unterwegs sind oder ihre Reisen mit Work and Travel finanzieren oder Arbeitsleistung gegen Kost und Logie anbieten.

Die meisten jungen deutschen Reisende sind sozial und kommunikativ und deswegen gern gesehen. Einige sind ehemalige Waldorfschülern, aber auch die anderen scheinen mit ihrer Kinderstube nicht allzu viel Pech gehabt zu haben. Weil junge Deutsche im internationalen Vergleich proportional häufiger unterwegs sind, wird das gelegentlich mit einem genervten Augenrollen quittiert, wenn erkannt wird, dass man selbst am Arsch der Welt noch einen deutschen Austauschschüler trifft.

Natürlich haben nicht alle positive Eigenschaften und gelegentlich trifft man auch andere junge Deutsche. Deutsche, welche eigenartiger sind, eigenartig in der Hinsicht, dass sie eine spezielle eigene Art entwickelt haben, was aber nicht unbedingt etwas Negatives bedeuten muss.

Wenn man dort entlangfährt, wo die Landschaft anfängt, von steinigen Ebenen in das Dünenmeer überzugehen und man sie nun zurecht Sahara nennen muss und selbst die Asphaltstraße beschlossen hat ihre Festigkeit aufzugeben, um ihre Existenz letztendlich als Sandpiste fortzuführen, um dann irgendwann im Nirgendwo zu enden, ist man doch einigermaßen perplex, dort einen Deutschen zu treffen, der sich dort um eine Mitfahrgelegenheit bemüht.

Nimmt man ihn dann mit auf ein Festival, welches in der Wüste stattfindet und ist erst einmal verhindert, um dort richtig teilzunehmen, weil man sich einen Erreger eingefangen hat, stellt man fest, dass der Deutsche ein paar Tage später wieder verschwunden ist, ohne, dass man noch ein Wort mit ihm gewechselt hat. Vom Winde verweht, wie der Sand der Wüste, mal hier und mal dort hin wehend. Wie aus dem Nichts aufgetaucht, dann dort wieder verschwunden und man wundert sich kaum, wo sie abgeblieben sind, weil man nichts anderes erwartet hat und so einer scheint Finn gewesen zu sein.

Die Telegramgruppe

Dass der Mensch 2024 so vernetzt ist, wie er es noch nie war in seiner Geschichte, bedeutet nicht, dass dies nur ein positives Ereignis ist. Messengerprogramme wie Telegram, in der sich Tausende von Nutzern zusammenschließen können, fördern den Zusammenhalt der gemeinsamen Blase, aber nicht unbedingt den Zusammenhalt der Menschheit.

Wenn aus einer Messengergruppe, die eigentlich großen, positiven Zuspruch erhalten hat, durch den Tausch von Gebrauchsgegenständen, Bereitstellung von Informationen und als allgemeinen Austausch über alle Erfordernisse des Lebens, plötzlich oder allmählich ein Ort wird, wo Fehden ausgetragen werden zwischen Verschwörungserzählern und Schlafschafen, zwischen Systemlinge und Schwurblern, dann zeigt sich die große negative Seite des Internets und des Menschen.

Folgendes passierte hier vor den Toren Berlins, eine Gegend, die anfing, sich langsam nach der Wende zu verändern, durch den Zuzug von in die Jahre gekommenen Berlinern, die sich hier ihren Altersruhesitz aufbauten und das oft mit westdeutscher Biografie. Viele alte Höfe und Gebäude wurden aufgekauft und von ihnen wieder lebenswert gemacht. Viele von den Zugezogenen waren oder sind politisch links, wählen Grün und sind alternativ, Party erprobt, aber auch ermüdet vom Big City Life und nun mit einem neuen Fokus im Leben. Was durchaus ein Kontrast ergibt zwischen alteingesessenen Ostdeutschen und Zugezogenen, aber welcher nicht unbedingt artikuliert wird oder auch nicht wirklich artikuliert werden muss.

Diskutiert wurde in der Telegramgruppe viel mit aus dem Internet zusammengetragenen Grafiken, Bildchen, Texten und Videos, das entweder für die eine Seite absolute Wahrheit war oder für die andere Seite totale Lüge. Dass auf dieser Basis Kommunikation nicht mehr möglich ist, dämmerte eher leider nicht jedem. Um dieses Chaos in seine Grenzen zu weisen, wird manchmal versucht, es auszulagern, in eine spezielle Untergruppe des Messengerdienstes, der nur für Diskussionen eingerichtet wird. Mit dem edlen Wunsch, man müsse doch Brücken bauen, anstatt sie abzureißen, man müsse doch das Verbindende fördern und suchen, anstatt sich auf das Spaltende zu fokussieren. Etwas, was sich durchaus sinnvoll anhört.

Denn der Mensch, der in einer kontroversen Meinungsvielfalt lebt, spürt auch seine Abgrenzung und auch wie er abgegrenzt wird und welche Auswirkungen diese Abgrenzungen haben, was bis zur offenen Feindseligkeit geht, die er als unangenehm empfindet und deswegen überwinden möchte. Nur braucht es gewisse Voraussetzungen, um diese Trennung überwinden zu können.

Nahrung durch das Licht der Sonne

Die Theorie, dass sich der Mensch nur durch das Licht der Sonne ernähren kann, wurde durch die Australierin Ellen Greve, die sich auch Jasmuheen nennt, bekannt.

Obwohl es Hungerkünstler schon seit Jahrhunderten gibt, schaffte es Greve, mit ihren Büchern, das Thema auf eine neue Ebene zu heben. Der österreichische Dokumentarfilmer Peter-Arthur Straubinger, mit seinem Film „Am Anfang war das Licht“, verstärkte dies auch noch.

Finn Bogomil

Was Finn Bogomil für diesen Trend ansprach, ist ungeklärt, bestätigt ist, dass er sich intensivst mit dem Prozess der Umstellung auf diese, sogenannte feinstoffliche, Prana Nahrung vorbereitete, um in Zukunft nur von Licht zu leben. Um seinen Traum näherzukommen, im Dschungel als Schamane zu leben, versuchte er ohne Reisepapiere nach Südamerika zu gelangen. Dafür trampte er durch Europa, bis nach Marokko, um dort auf einer Jacht einen Törn in die Karibik zu unternehmen. Auf der kleinen karibischen Insel Dominica beschloss er dann im Dschungel sich komplett auf Lichtnahrung, durch Fasten, umzustellen.

Die Telegramkanal Panzerschiffe

Ich hatte mir das Treiben auf dem Telegramkanal, der für die Diskussion eingerichtet wurde, eine Zeit lang angesehen. Es wurde mir aber schnell klar, dass das, was so positiv begonnen hatte, eben wieder mehr in den Austausch zu gehen, sich zu verbinden und damit Gegnerschaft zu überwinden, nicht so einfach für die Leute war.

Denn mehr und mehr Leute traten entnervt wieder aus dem Kanal aus und nicht ohne das auch zu artikulieren. Über die Zeit wurde klar, dass die, die übrig blieben, diejenigen waren, die am besten abgeschottet waren und gleich wie Panzerschiffe den Kanal auf und ab patrouillierten. Das eigene Bollwerk so solide und die Verteidigung so stabil, dass unabhängig davon was angeführt wurde, egal ob auf Einsicht gesetzt oder Torpedos abgeschossen wurden, nichts eine Richtungsänderung der Panzerschiffe bewirkte.

Endstation Dominica

Einer der letzten Zeitzeugen von Finn Bogomil war Thomas Allan, ein älterer, dunkelhäutiger Bewohner von Dominica. Einen, wie man sie so oft in der Dritten Welt bemerkt. Nicht nur die paar Zahnstummel im Mund machen einem klar, dass da jemand ist, der einen Teil vom Leid in dieser Welt erfahren hat und trotz seines Leidens, aber nicht auf die Dunkle Seite, in die Bösartigkeit gegangen ist. Sondern so ehrlich und unverdorben, dass er anerkennen kann, wenn ihm ein junger 22-jähriger Weißer gegenübersteht, dass dieser ein netter Mensch ist, obwohl dieser weiße Bursche mehr vom Leben gesegnet wurde als andere Menschen auf dieser Welt. Aber was noch beeindruckender war, dass er über das verstörende Ableben des weißen Burschen auch noch heimlich Tränen verdrücken konnte.

Finns Unterstand im Dschungel

Finn hungerte sich 2017 auf seinem Grundstück, fernab von der Zivilisation, im Dschungel zu Tote, in der Hoffnung den Durchbruch zu schaffen, sich endlich von Licht ernähren zu können. Er hungerte sich zu Tode, so wie andere vor ihm, weil es Menschen gibt, die ihm einen Floh in das Ohr gesetzt haben und das wahrscheinlich, damit sie Bücher, Seminare und Filme verkaufen können und/oder um berühmt zu sein.

Auch ich lernte schon Menschen kennen, welche behaupteten, sie könnten sich von Licht ernähren. Wobei ich das anzweifle, aber ich kann auch nicht vollends ausschließen, dass es bereits Menschen gab, die von Sonnenlicht oder Prana gelebt haben.

Es ist klar, dass es ein gefahrvoller Weg ist, zu hungern und bis zum bitteren Ende darauf zu hoffen, dass man noch den Durchbruch erreichen könnte. Mögliche Konsequenzen sind schwere Organschäden und der Tod. Finn ist unbekümmert diesen Weg in die Illusion gegangen und hat damit mit seinem Leben bezahlt.

Jeder Glaube ist Illusion

Die Telegram Diskussionsgruppe wurde grundsätzlich wegen Ängste in das Leben gerufen und weil sich Menschen, wegen dieser Ängste entfremdet hatten. Dort fanden sich aber die unterschiedlichsten Leute zusammen und leider fand eine Moderation, welche nötig gewesen wäre, nicht statt. Was natürlich auch an Telegram lag, was für so einen Austausch eher suboptimal ist und so trafen dort ignorantere und reflektiertere Weltbilder aufeinander, etwas, was sich nicht unbedingt fruchtbar auswirkte, sondern leider auch furchtbar.

Furchtbar in der Hinsicht, dass es, rückblickend, so aussieht, als dass die Panzerschiffe, von denen zufällig viele, rechter Politik und Verschwörungstheorien anhingen, die Herrschaft sich auf dem Telegramkanal erkämpft haben und Gräben, die eigentlich überwunden werden sollten, eher noch vertieft wurden.

Einen gemeinsamen Nenner in einer Diskussion zu finden, mit Leuten, die sich offen zeigen für eher spektakulärere Meinungen, ist herausfordernd. Und Verschwörungsgerüchte wie “Chemtrails” und andere, scheinen ja eher intuiert zu sein, also über ein Bauchgefühl geglaubt zu werden, anstatt über Logik bestätigt zu sein.

Meiner Meinung nach fußte viel der Argumentation im Kanal auf Realitätsverdrängung und war somit Teil von Illusion. Höchstwahrscheinlich aus alten Verletzungen heraus werden angstmachende Zukunftsszenarien, die möglicherweise zukünftigen Schrecken und Schmerz mit sich bringen, aus eigener Furcht und Angst oder aus geistiger Trägheit heraus verdrängt. Aber wenn ein Mensch mit so einem Weltbild, das auf Realitätsverleugnung basiert, in eine Diskussionsgruppe einsteigt, dann korrumpiert das die ganze Diskussion, es kann zu keinem vernünftigen Ergebnis kommen.

Einfach aus dem Grund, weil da jemand ist, der nicht die erforderliche Einstellung mitbringt, um etwas auszudiskutieren, jemand hat seine Hausaufgaben nicht gemacht, um eine lösungsfördernde Diskussion führen zu können. Das, aus dem Grund heraus, weil er den Weg der Realitätsverleugnung gewählt hat. Schmerz und Unsicherheit kann nicht ausgehalten werden, er muss verdrängt werden und das hier argumentativ.

Wenn es keine vernünftige Basis für eine Diskussion gibt, dann ist klar, dass die ganze Diskussion zu nichts führen kann.

Jeder Glaube ist Illusion, sagte J. Krishnamurti, vor über 60 Jahren, anlässlich einer Rede in Paris am 21. September 1961.
Die Diskussionsgruppe auf Telegram scheiterte daran zu erkennen, dass aller Glaube Teil von Illusion ist und dort, wo unterschiedlicher Glaube ist, es Uneinigkeit, Gegensätzlichkeit, Separation und Streit geben muss. Es kann nichts wirklich Verbindendes in Gegensätzlichkeit gefunden werden. Was möglich ist, ist das Illusionäre am Glauben zu erkennen, was zu neuer Einigkeit führen kann, aber dafür muss auch das Illusionäre von Realitätsverleugnung erkannt werden.

Die Schwierigkeit scheint zu sein, wenn man sich bewusst ist, welch großer Bereich die Illusion im menschlichen Denken einnimmt, dieses Denken richtig einzuordnen. Welche Illusionen, also Angstszenarios wie: »Der Klimawandel«, wahr zu werden drohen, Wahrheit in sich tragen und welche nicht. Zusätzlich der Herausforderung, die sie mit sich bringen, ihnen gerecht zu werden.

Aber einer Diskussion auf dieser Metaebene zu beginnen, wie von mir angeregt, verweigerte sich die Gruppe.

Grundsätzlich muss man natürlich auch sagen, dass in der Telegramgruppe niemandes Denken so geschult war, wie Krishnamurti es in seinen Reden angeregt hat. Eine Unvoreingenommenheit gegenüber neuen Positionen zu haben und diese offen anzuhören und gleichzeitig das Vermögen diese anschauen zu können, und zwar nur im Schauen verbleibend, um die Dinge in ihrer Ganzheit zu sehen.

Mein Ausstieg aus dieser Gruppe, auch wenn ich nicht wie andere in Diskussionen eingestiegen bin, hat wohl begonnen, als ich eine für mich überraschende Nachricht auf Wikipedia las. Dort wurde das Jahr 1874 erwähnt und auch, dass schon zu dieser Zeit die Impfpflicht gegen Pocken eingeführt wurde. Das war etwas, was mich überraschte und ich dachte, es würde die Telegram Diskussionsgruppe auch interessieren, in unserer Nach-Coronazeit 2024. Was es auch tat.

Der Shitstorm startete um 07:05!

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Chili Prepper
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Karma is a burning rosette, because of too much Sambal Oelek. I like topics about meditation, zen, psychology, politics and art. Special interest Krishnamurti.