Erinnerungen
“Papa, was passiert mit unseren Erinnerungen, wenn wir sterben?” Was antwortet man auf diese Frage der siebenjährigen Tochter? Es ist auf jeden Fall eine sehr gute Frage. Eine mögliche Antwort ist: “Wir nehmen sie mit.” Aber wohin? Wir wollen diese Frage hier nicht klären, sondern vielmehr:
Welche Erinnerungen möchte ich bewahren? An wen und wann möchte ich sie weitergeben? Was sollen meine Erinnerungen beim Empfänger auslösen? Wärme, Lachen, Zugehörigkeit, Nachdenken, Trauer?
Um diese Fragen beantworten zu können, müssen wir verstehen, was Erinnerungen sind, wie sie gesammelt, bewahrt und abgerufen werden können. Die Menschheit versucht seit über 2000 Jahren, hierauf Antworten zu finden. Aristoteles ging in seiner Seelenlehre davon aus, dass der Mensch sein Leben als leeres Gefäß beginnt und die Summe seiner Erfahrungen ihn zu dem macht, was er ist. Erst in den 1880er Jahren begann die Wissenschaft, Erinnerungen systematisch zu erforschen. Der deutsche Philosoph Herrmann Ebbinghaus unterschied die drei Typen von Gedächtnis: Sensorisches, Kurzeit- und Langzeitgedächtnis. Noch einmal 50 Jahre später veröffentlichte der britische Psychologe Frederick Bartlett wichtige Ideen darüber, wie wir Erinnerungen wieder abrufen. Endel Tulving führte Anfang der 1970er Jahre eine weitere Unterscheidung des Langzeitgedächtnisses in episodisches und semantisches Gedächtnis ein.
Das episodische Gedächtnis ermöglicht das Erinnern von autobiographischen Ereignissen wie Orte und Zeiten und die mit ihnen verbundenen Gefühle und Wissen. Das semantische Gedächtnis zeichnet Fakten, Bedeutungen, Konzepte und Wissen auf. Diese Erinnerungen hatten vielleicht einmal einen persönlichen Bezug, haben sich aber von diesem losgelöst.
Möchte man eigene Erinnerungen aus dem episodischen Gedächtnis zurückrufen, helfen Hinweisreize aus den Eigenschaften von Dingen oder dem Kontext von erlebten Ereignissen. Beleuchtung, Musik oder Gerüche können der Erinnerung auf die Sprünge helfen. Gemeinsam Erlebtes läßt sich durch Wiedererschaffen eines passenden Kontextes oder durch anwesende Personen leichter erinnern. Erinnern bedeutet dabei nicht, dass einfach ein Film des Erlebten aus einem Regal im Gehirn genommen wird. Vielmehr spielt das Gehirn die besondere Verschaltung der Nervenzellen zum Zeitpunkt des erinnerten Erlebnisses erneut ab. Dadurch können Erinnerungen nicht nur Worte oder Bilder zurückholen, sondern die gesamte Palette der Gefühle und Emotionen des ursprünglich Erlebten.
All diese Erkenntnisse helfen zu verstehen, wie Erinnerungen bei einem einzelnen Menschen funktionieren. Wie aber lassen sich gemeinsame Erinnerungen bewahren oder Erinnerungen in der Familie weitergeben?
Für das Festhalten gemeinsamer Erinnerungen — Urlaube, Ausflüge, Treffen, Feiern, Unternehmungen gibt es im Zeitalter von Instagram und Google Fotos genügend Möglichkeiten. Zumindest die entstandenen Fotos finden so ein dauerhaftes Heim. Kinder mögen aber immer noch ausgedruckte Fotos. Auch das ist über digitale Fotolabore kein Problem. Für das nötige Album gibt es im Netz nicht nur viele Anleitungen zum Verschönern, sondern gleich einen ganzen Trend: Scrapbooking. Die passenden Materialien gibt es z.B. bei Amazon.
Doch nicht immer kann man Dinge gemeinsam erleben. Oder man war schlicht noch nicht geboren. Dann ist es schön, wenn man sich Erlebnisse erzählen lassen kann. Aber wie kommen die Erinnerungen wieder an die Oberfläche? Richtig, über Hinweisreize. Sehr effizient funktionieren gezielte Fragen. Dies machen sich beliebte Bücher aus der Machart Oma, erzähl mal zu Nutze. Oder die 1000 Fragen an dich selbst des Flow Magazins, die man auch durchaus sportlich beantworten kann.
Es geht aber auch digital. Nach dem Vorbild des amerikanischen Dienstes StoryWorth gibt es nun auch eine ähnliche App in Deutschland: Erinnertes — ich habe die programmiert.