Magst du einen Kaffee?

Einfache Wege, Kreativen Unterstützung anzubieten (und warum das eine gute Idee ist)

Eve Jay
COMIC SATELLIT
7 min readApr 22, 2020

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Viele kleine Bohnen machen eine Mühle voll

Haben Sie schon einmal digital einen Kaffee ausgegeben?
Auf vielen Webseiten geht das per Knopfdruck und meint einen kleinen Unterstützungsbetrag im Wert einer Tasse des braunen Heißgetränks, das wir in der Regel ohne zu zögern unseren Mitmenschen anbieten.

Für Kreative gibt es schon seit einigen Jahren Konzepte, die ihnen eine Summe kleinerer Beträge von Befürworter*innen und Nutznießer*innen zuführt, ohne dass sie auf den sogenannten “Overhead” angewiesen sind. Damit sind die strukturellen Kosten einer Firma oder Organisation gemeint. Stattdessen setzen sie auf leichter realisierbare flexible Einzelkaufbeträge und Tauschgeschäfte oder auf Spenden.

Screenshot des Ergebnisses der Kickstarter-Kampagne von Sarah Burrini für ihr neuen Band “Das Leben ist kein Ponyhof” (April
Screenshot des Ergebnisses der Kickstarter-Kampagne von Sarah Burrini für ihren neuen Band der Reihe “Das Leben ist kein Ponyhof” (April 2020)

Dabei unterscheiden sich regelmässiges Microfinancing wie Patreon (seit 2013), auf ein konkretes, meist höherpreisiges Ziel ausgerichtetes Crowdfunding wie Kickstarter (seit 2009) und von Anlässen entkoppeltes, sofortiges Spendieren wie Ko-Fi (seit 2012) oder Artikelwunschlisten stark in ihrer jeweiligen Wirkung.
Eine große Starthilfe, ein kleines Trostpflaster — der Anwendungsfall entscheidet sich durch die Positionierung der Kreativen und ihrer Leistungen:
Wie relevant sind diese für eine kleine Gruppe mit vielen Ressourcen?
Oder für eine sehr große Gruppe mit wenigen?

Links: Ansicht der angebotenen Steady-Mitgliedschaften als Unterstützer*in von Joscha Sauer; rechts: aktuelles Redesign der Website nichtlustig.de, die für alle zugänglich ist, für Unterstützer*innen jedoch Zusatzinhalte bietet

Draußen nur Kännchen

Für den “traditionellen”, den strukturell etablierteren kreativen Output gibt es sehr grob gesagt Kulturfördertöpfe und den jede Bürger*in betreffenden Rundfunkbeitrag. Eine Broschüre in einfacher Sprache informiert wie folgt über Kulturförderung: https://www.bundestag.de/resource/blob/505574/081b1ab9a5c494f7d0881d48cb807367/beilage_kultur_08_05_17-data.pdf

Vorschau aus der verlinkten Broschüre des Bundestags über Kulturförderung
Vorschau aus der verlinkten Broschüre des Bundestags über Kulturförderung

Die Zugänglichkeit zu diesen Töpfen bleibt Kreativschaffenden in Spezialgebieten wie beispielsweise Webcomics in den meisten Fällen aber verwehrt, da eine Antragstellung ein gewisses Format des Outputs voraussetzt oder die Kreativen keine Kenntnis über entsprechende Ausschreibungen haben oder ihre Inhalte nicht darin wieder erkennen.
Kulturelle Strömungen, die noch nicht so lange etabliert sind und über deren Entwicklung auch noch lange kein Ende abzusehen ist, schließen erst nach der Akzeptanz im sogenannten “Mainstream” an die große, themenübergreifende Kulturszene an, das sich damit auskennt, zu fördern und gefördert zu werden.
Viele Kreativschaffende sehen sich eher als Dienstleister*innen und weniger als Beitragende zur Kultur. Sie finanzieren ihren Alltag nicht selten mit Mischkalkulationen. Sie üben eine oder mehrere Erwerbstätigkeiten aus, um sich die Zeit für die freie kreative Arbeit “leisten” zu können.

Nachschenken gratis

Ein anderes Modell ist das seit einiger Zeit geforderte “bedingungslose Grundeinkommen”. Hier erklärt vom gemeinnützigen e.V. Mein Grundeinkommen: https://www.mein-grundeinkommen.de/erkenntnisse/was-ist-es

Solange kulturelles Einbringen, gerade durch Unterhaltung, noch nicht durch ein solches bedingungsloses Grundeinkommen oder eine leicht zugängliche, auf den neusten Stand der Entwicklungen gebrachte, staatliche Förderung gesichert wird, müssen Kreative weiter um freiwillige Unterstützung bitten.

Solange gesellschaftliche Teilhabe keinen bedingungslosen Wert darstellt, müssen Menschen also um Hilfe bitten.

Die Vorsitzende des Cyborgs e.V. Elle Nerdinger sagt dazu unter anderem:

Wir können nicht einen großen Teil der Menschen, weil sie im Kapitalismus nicht „nützlich“ sind, einfach vergessen, sondern (müssen) jedem einzelnen Menschen Teilhabe gewähren und Teilhabe über Erwerbsarbeit stellen. Erwerbsarbeit ist etwas, das können wir heutzutage langsam rausfaden, als etwas das jeder Mensch machen muss, sondern Menschen müssen Teilhabe machen können. Sich „nützlich“ machen ist mehr als Geld „verdienen“.

(Aus der Aufzeichnung für Café Sternenstaub, am 31. März 2020, im Gespräch mit Eve Jay.)

Die Selbstverständlichkeit von gesellschaftlich verankerter Zuwendung könnte also die Notwendigkeit des individuellen Bittens ablösen.

Die Künstlerin und Aktivistin Amanda Palmer hielt über die Kunst des Bittens den TED-Talk “The Art of Asking”. Ihr Leben und Erleben dieser Kunst schildert sie im gleichnamigen Buch.

“Um Hilfe zu bitten fällt uns oft schwer, weil wir Angst haben, schwach und bedürftig zu scheinen. Eine völlig falsche Sichtweise, meint Amanda Palmer. Die Musikerin ist eine wahre Expertin darin, sich helfen zu lassen, bat sie doch bei unzähligen Gelegenheiten um die Unterstützung ihrer Fans. Dabei hat sie erfahren, dass der ausgetauschte Gefallen stets für beide Seiten ein Gewinn ist.”

(Amanda Palmer, “The Art of Asking: Wie ich aufhörte, mir Sorgen zu machen, und lernte, mir helfen zu lassen”, Bastei Lübbe, 2015)

Kaffeesatz lesen

Dabei sehe ich über den Rand meiner Tasse folgendes Verhältnis:

  • Aktion:
    Wertschöpfung durch Engagement.
  • Reaktion:
    Anerkennung durch Unterstützung (=Wertschätzung im praktischen Sinne). Unterstützung nach eigenem Ermessen, eigenen Möglichkeiten.
  • Wirkung:
    Sicherung des Engagements.

Die aufgezeigte Ereigniskette kann nur bis zu der jeweils wünschenswerten Wirkung fortschreiten und muss dann von neuem beginnen, wenn Reaktion auf die Aktion geübt wird.
Zur Zeit ist dieses Verhältnis davon abhängig, die Wertschöpfung auf eine hohe Anzahl Menschen mit wenigen Ressourcen oder auf eine niedrige Anzahl Menschen mit vielen Ressourcen auszurichten.

Meine persönlichen “Ehrenaufgaben”, dem Comic in Deutschland durch die “Comic Solidarity” mehr Raum zu geben, sowie Künstler*innen durch den “GINCO-Award”, den inklusiven deutschen Comicpreis der Independent-Szene, mehr Wertschätzung zuzuführen, sind darüber hinaus auf Mischkalkulationen angewiesen.
Hier reicht es nicht, wenn die Nutznießer*innen mit kleinen Beträgen eine Basis schaffen. Sponsorings von Preisgeldern und Sachpreisen durch große Beträge und hohe Gegenwerte sind essenziell.
Definiert — und eingeschränkt — ist dieser Bedarf ebenso wie
jede Wirksamkeit an Bemühungen durch den Begriff der “Gemeinnützigkeit”.

Frage ich die an unseren Ehrenaufgaben Beteiligten, wünschen sich fast alle statt einer punktuellen Förderung ein Grundeinkommen zur eigenen Existenzsicherung, um alle notwendigen Ressourcen für die Aufgabe selbst erbringen zu können.

In meinem Wirkungsbereich zeigt sich, dass die Quelle der Kreativität und Leistungsbereitschaft für die Gemeinnützigkeit noch lange nicht erschöpft ist. Im Gegenteil: Sie kann urbar gemacht werden.

Café geschlossen — und jetzt?

Viele Kreative sind in diesen Monaten, in denen für voraussichtlich unabsehbare Zeit Einnahmequellen im persönlichen Kund*innenkontakt — wie Signierstunden auf Messen, Live-Performances, Lesungen und Tagungen — wegfallen, ohne Einkommen.
Auch Vergütungswege wie Buchverkäufe sind durch Ladenschließungen und eingestellte Produktionen bzw. Auslieferungen für unbestimmte Zeit stark beeinträchtigt oder komplett gekappt.
Betroffene drängen nun verstärkt online, um zu kompensieren, und stoßen auf das nicht nur der Comic Solidarity altbekannte Problem der mangelnden Präsenz gegenüber Leser*innen.
Im Vergleich mit dem Aufwand, eine noch nicht vorhandene Sichtbarkeit herzustellen und mit entsprechender Zugänglichkeit und passender Kommunikation zu hinterlegen, schneidet die zwar kurzfristig überaus anstrengende, aber strukturell einfachere Messeteilnahme als deutlich effektiver ab.

“Massu”-Autorin und -Zeichnerin Ines Korth am Gemeinschaftsstand von Schwarzer Turm, Comic Con Germany 2019 (Foto: Eve Jay)

Selbst Kreativteams online hochfrequentierter Webcomics setzen schon lange auf Conventions, um dort ihre physischen Produkte zu verkaufen.
Die kurzfristige Absage der Leipziger Buchmesse 2020 bedeutete daher für viele, auf den Druckkosten und den Aufwendungen für die Messegestaltung sitzen zu bleiben. Die bald folgenden Absagen der Dokomi Düsseldorf und des Internationalen Comic-Salons Erlangen haben entsprechende Auswirkungen auf die gesamte Manga- und Comicszene.

Kaffee durch den Filter

Wie Ralf Singh mit “Livezig” bereits unter Beweis stellte, sind Online-Messen möglich. Die Herausforderungen für eine erfolgreiche Substitution der Effekte für Künstler*innen sind meiner Meinung nachfolgende:

  • Technisch stabile und abwärtskompatibel zugängliche Durchführung
  • Transfer der gängigen Präsentationsformate und Absatzwege, gemeint sind z.B. Lesungen und Buchverkäufe
  • stärkere Anreize für Partizipation der Rezipient*innen, um lebendige Interaktion wie z.B. am Messetisch zu ermöglichen
  • streng durchgegliederte Konzepte mit ansprechender Moderation oder inhaltlicher Gliederung, um die Absprungraten niedrig halten
Orga-Team-Mitglied Lara Keilbart präsentiert den ersten GINCO-Award im Juli 2019 auf der Comic Con Germany in Stuttgart (Foto: Lisa Rau)

Auch der diesjährige GINCO-Award wird sich dieser Herausforderung stellen müssen. An der Art der Einreichung und Sichtung ändert sich für die Künstler*innen und das Preiskomitee zunächst nichts. (Der Preis setzte von Anfang an auf digitale Einreichungen. Das Komitee ist nicht darauf angewiesen, im gleichen Raum zu sein.)
Der Wegfall einer Kooperationspartnerschaft durch nicht stattfindende Messen betrifft vor allem die Ressourcen der Orga und die Qualität des Preises.
Während das Preisgeld bereits im Vorjahr gesichert wurde, sind durch Sponsorings ermöglichte Sachspenden wie Grafiktabletts, Software und Kontingent für Druckprodukte wie die Auszeichnungssticker gefährdet.

Jetzt sind Sie gefragt!

Überlegen Sie, welche Unterhaltungsmedien Sie wertschätzen und ob die Künstler*innen in Ihrem Umfeld (oder auch darüber hinaus und weltweit) diese direkt für Sie zugänglich machen können oder dies bereits tun.
Einige Kreative bieten in regelmässigen Abständen sogenannte “Commissions” an. Das sind Auftragszeichnungen für verschiedene Anwendungszwecke, zum Beispiel gezeichnete Profilbilder für Social Media.
Vielleicht trifft genau das Ihren Bedarf.
Überlegen Sie gerne auch, einen kleinen Betrag ohne Gegenleistung zu spenden — die Tasse Kaffee, von der ich eingangs sprach.

Es gibt in der durch den Covid-19-Ausbruch bedingten Isolation viel Bedarf für Unterhaltung, gerade bei Kindern jeden Alters.
Von Malvorlagen bis hin zu partizipativen Kunst- und Comicformaten finden sich vielfältige Angebote im Independent-Bereich, viele davon sogar personalisierbar.
Treten Sie mit Kreativen in den Dialog und schlagen Sie vor, was Ihnen statt eines Messebesuchs Freude bereiten und einen Nutzen für Sie persönlich darstellen würde. Zusammen können Sie auf Ideen kommen, die eine große Bereicherung für Sie und Ihr Umfeld bieten können.

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TL;DR:
Online nach Künstler*innen Ausschau halten und sie mit kleinen Beträgen unterstützen und bei ihren Shops einkaufen oder an Organisationen spenden, die gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen oder / und Kunst und Kultur fördern

Ich trinke keinen Kaffee, aber…

…Sie dürfen meine Arbeit gerne wie folgt unterstützen:

  1. Comic Solidarity auf Patreon unterstützen
    Comic Solidarity ist seit 2013 das Projekt, an dem meine Mitstreiter*innen und ich am meisten werkeln. Die Solidarity kümmert sich um “Raum für Comic” auf Comicmessen, konzipiert Kollaborationsprojekte wie “Spiel mich!” und setzt sich für höhere Sichtbarkeit und Zugänglichkeit ein.
    Bis zu einer Vereinsgründung ist dieser Patreon-Account die beste Möglichkeit:
    https://www.patreon.com/comicsolidarity?fan_landing=true
  2. GINCO-Award mit einem Betrag oder einem Gutschein unterstützen:
    info@ginco-award.de
    oder paypal.me/comicsolidarity mit dem Hinweis “GINCO” und ob Sie anonym bleiben wollen oder als Sponsor*in genannt werden möchten
  3. Social-Media-Aktivist*in werden und folgende Accounts mit Folgen, Liken, Teilen pushen:
    www.twitter.com/comicsolidarity
    www.twitter.com/ginco_award

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