Die besten Tools für die Remote-Retrospektive — ein Überblick
Als Scrum Master stehe ich vor neuen Herausforderungen: Als Scrum-Team arbeiten wir remote verteilt (an verschiedenen Standorten, in 2 verschiedenen Ländern, mit einem hohen Homeoffice-Anteil). Vorher hatte ich in einem co-located Scrum-Team als Scrum Master mit einem riesigen Whiteboard an der Wand gearbeitet.
Nicht nur aus gegebenen Anlass (Stichwort: Covid 19), sondern auch weil ich mir ein Überblick über die diversen Tools für Online-Retrospektiven verschaffen wollte, habe ich nun eine umfangreiche Marktstudie durchgeführt.
Inhaltverzeichnis
Zusammenfassung | Tools mit 5 Sterne | Tools mit 4 Sterne | Untersuchungsparameter | Tabelle | Fazit
Zusammenfassung
Ausgehend von entsprechend vorhandenen Online-Meeting-Tools, die Video-Telefonie mit Screensharing-Optionen bieten (Skype, Zoom & Co) wurden 29 Alternativen zu den bereits vorhandenen Nicht-Retrospektiven-spezifischen Tools (Google G-Suite, Trello, Mentimeter) untersucht.
Die “Retrospektive” (kurz: Retro) ist ein zentraler Bestandteil (Event/Meeting) des Scrum-Rahmenwerks zur kontinuierlichen Verbesserung der Arbeitsweise im Team und am Produkt. Hierbei besprechen sich alle 3 Rollen (Product Owner, Development-Team, Scrum Master) in einer vertrauensvollen Umgebung.
Alle untersuchten Retrospektiven-Tools sind über gängige, aktuelle Internet-Browser erreichbar.
Nach meiner subjektiver Einschätzung konnten 4 Online-Tools begeistern (5 von 5 Sternen):
- PARABOL
- Retrospected
- Stormboard
- Metro Retro
Die Auflistung hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Neben Metro Retro und Stormboard gibt es noch unzählige andere Tools, die das Whiteboard und die Post-It-Zettelchen digitalisieren (z.B. Miro, Mural). Um die Übersicht zu bewahren wurden hier keine weiteren Whiteboard-Tools untersucht. Sie eignen sich in vielen Fällen ebenfalls für Remote-Retrospektiven.
Alle Tools hatten eine englischsprachige Benutzeroberfläche. Zwei Tools (Retrospected und upwave) boten ihre Oberfläche auch in Deutsch und anderen Sprachen an.
Von 3 Tools steht der Quellcode der Software unter Open Source Lizenz zur freien Verfügung (PARABOL, Retrospected, Remoteretro). Somit könnten die Tools auch komplett auf eigenen Servern laufen und die Themen Datensicherheit und Datenschutz würden dann in den eigenen Händen liegen. Der Großteil der Tools wird von US-amerikanischen Firmen oder Personen betrieben, aber auch europäische Anbieter sind dabei. Bei einigen wenigen Tools war der Anbieter nicht ermittelbar. Da in der Retrospektive mit vertraulichen Informationen gearbeitet wird, sollte dieser Aspekt in der Nutzungsentscheidung berücksichtigt werden.
Eine Bewertung von 5 Tools war nicht möglich, da es zum aktuellen Zeitpunkt (März 2020) zu Schwierigkeiten bei der Registrierung eines Benutzeraccounts kam (Teamretro, goReflect, SCRUM TOOLKIT, Retroly (Beta), RETRO RABBIT). Somit wurden 24 Tools auf einer subjektiven Skala von 1 bis 5 Sternen bewertet. Sensei wird im Juni 2020 eingestellt, das von mir eine 4-Sterne-Wertung bekommen hätte. Es wird hier aber nicht mehr vorgestellt.
Von den 24 getesteten Tools sind 9 Tools im vollen Umfang kostenlos nutzbar (Retrospected, Metro Retro, Scrumlr, RemoteRetro, sensei, RetrooTool, Reetro, Pointing Poker, IdeaBoardz). Ansonsten ist der Testzeitraum zeitlich oder der Funktionsumfang begrenzt. Gute und hilfreiche Software darf durchaus Geld kosten.
Eine ausführliche tabellarische Auswertung befindet sich am Ende des Artikels.
Top-Tools (☆☆☆☆☆)
Die folgenden 4 Tools konnte mich am meisten überzeugen. Die Untersuchungsergebnisse werden detailliert tabellarisch aufgeführt.
Retrospected
Das Tool überzeugt durch eine unglaublich einfache und unkomplizierte Bedienung.
Für die Nutzung ist kein Account notwendig. Einfach einen Usernamen angeben und schon kann es losgehen. Links über das Menü kann die Sprache ausgewählt werden (14 Sprachen stehen zur Auswahl, u.a. Deutsch und Englisch). Über “Personalisieren” werden die Einstellungen getätigt und mit Klick auf den Button “Erstelle eine neue Session” geht es los. Über die URL können nun die Teilnehmer in die Retrospektive einsteigen. Sie müssen ebenfalls nur ihren Namen eingeben.
Eine Teilnahme über ein Smartphone ist problemlos möglich.
Eine Gruppierung der gesammelten Themen ist nicht möglich. Maßnahmen werden einfach direkt an den Karten definiert.
Leider lassen sich in der aktuellen Version (V2.2.4, März 2020) die Einstellungen nicht mehr nachträglich ändern. Es ist jedoch eine Open Source Anwendung, die aktiv weiterentwickelt wird.
Die Retrospektive kann am Ende nicht gelöscht werden und der Einstieg in die Retro ist auch nach der Retro weiterhin über den Link möglich. Dementsprechend sollte man am Ende lieber alle Einträge per Hand löschen.
Link: https://www.retrospected.com
PARABOL
Dieses Tool ist ebenfalls kostenlos in der Nutzung für bis zu 2 Teams und wird aktiv als Open Source Software weiterentwickelt.
Neben der Retrospektive kann auch ein normales Meeting mit Agenda mit PARABOL durchgeführt werden.
Die Applikation hat einen vorgegeben Prozess (Reflect, Group, Vote, Discuss), der durch einen optionalen Social-Check-In eingeleitet werden kann.
Die Stärke hier liegt in der anonymen Mitarbeit. Sowohl die Themeneingabe als auch das Voting erfolgt blind und anonym. Optional kann ein Countdown eingebaut werden, damit Timeboxen eingehalten werden. Jeder Nutzer kann frei in der Agenda vor und zurück springen oder sich durch den Moderator durch die Agenda führen lassen.
5 Templates stehen zur Verfügung, die durch eigene Templates mit bis zu 12 Kategorien erweitert werden können.
Sehr gut gefällt, dass die erarbeiteten Maßnahmen im Teambereich weiter getrackt werden.
Link: https://www.parabol.co
Stormboard
Mit Stormboard holt man sich das Feeling der “Post-Its”-Zettelchen und weißen Wände auf den Bildschirm. Hier kann man sich als Scrum Master kreativ austoben.
Die große Auswahl an Templates sind inspirierend. Neben dem klassischen Template “Retrospective 6 Sections” und “Retrospective Basic” werden auch Vorlagen zum Beispiel für Empaty Map, Fishbone/Ishikawa Diagram, Six Thinking Hats angeboten. Zu den Templates wird teilweise eine optionale Schritt-für-Schritt-Anleitung (Guide) angeboten.
Die Zettelchen können klassisch mit Text, aber auch mit Freihandzeichnungen, Bildern, Videos und Dateien befüllt werden. Auf den einzelnen Zettelchen können per Dot-Vote abgestimmt werden und einem Teilnehmer als Aufgabe zugewiesen werden.
Für kleine Teams (bis zu 5 User) ist das Tool kostenlos.
Link: https://stormboard.com
Metro Retro
Dieses Tool arbeitet ebenfalls im Whiteboard&Zettelchen-Modus. Die Templates enthalten liebevoll gezeichnete Grafiken und das Hinzufügen der Zettelchen geht sehr einfach. Eine kurze textliche Beschreibung des Prozesses führt durch das Template. Die einzelnen Funktionen werden bei der Erstnutzung kurz erklärt.
Die Gruppierungsfunktion lässt die Zettel optisch schön zusammenfassen. Die Zettelchen können mit Emoticons verziert werden. Mit Pfeilen lassen sich Verbindungen herstellen.
Die Zettelchen können erst einmal verdeckt erstellt werden.
Und zum Schluss darf mit dem Konfetti-Tool gefeiert werden.
Das Tool ist einfach zu bedienen und liebevoll gestaltet. Alle Funktionen stehen im vollem Umfang kostenlos zur Verfügung.
Link: https://metroretro.io
Gute Wahl (☆☆☆☆)
Eine gute Wahl sind die folgenden 6 Tools und bestechen durch Ihre Einfachheit oder dass Sie ein ungewöhnliches Format anbieten. So kommt Abwechslung in die Retrospektive. Auf die tabellarische Auswertung wurde hier für eine bessere Lesbarkeit verzichtet. Alle Daten finden finden sich ganz am Ende des Artikels.
Scrumlr
Die Stärke des Tools ist die Einfachheit. Aus 7 vorgegebenen Templates kann ausgewählt werden. Eine Anpassung ist nicht möglich. Die Prozess-Schritte sind vorgegeben (Write — Vote — Discuss). Jederzeit können weitere Karten hinzugefügt werden und die einzelne Karte in der Großansicht angezeigt werden. Besonders für das Lean Coffee-Format ein interessantes Tool. Das Tool lässt sich sehr gut mit dem Smartphone nutzen. Die Oberfläche ist recht spartanisch.
Für eine umfassende Retro wird es eventuell zu wenig sein. Zur schnellen Themensammlung und Abstimmung ist es genau das richtige Tool.
Link: https://scrumlr.io
Retrium
Der Fokus von Retrium liegt voll auf die Durchführung von Retrospektiven. Zwei Layouts werden angeboten: Die “klassische” Spalten-Ansicht und das Radardiagramm. Durch die einzelnen Schritte wird der Moderator geführt.
Die Handhabung der Applikation und der notwendige große Bildschirm (nicht für Smartphone/Tablets) führen leider zu kleinen Abstrichen in der Handhabung. Klarer Vorteil ist die Radardiagramm-Funktion, die in keinem weiteren Tool angeboten wird.
Link: https://www.retrium.com
RemoteRetro.org
Der Quellcode von RemoteRetro.org (von Stride Consulting) steht unter einer Open Source Lizenz und ist nicht mit RemoteRetro.io (von Mark Cipolla) zu verwechseln. Die Oberfläche ist einfach bedienbar und das Tool führt durch die einzelnen Schritte. Jeder Schritt wird erklärt.
Die Moderatoren-Rolle (Facilitator) kann an einen anderen Nutzer übergegeben werden.
Im letzten Schritt werden die Maßnahmen definiert und können jeweils einem Nutzer zugeordnet werden, die dann per E-Mail zugesendet werden.
Link: https://remoteretro.org
ScatterSpoke
Das Tool überzeugt durch eine schöne Oberfläche. Viele nützliche Funktionen (z.B. private Voting, private Feedback) stehen nur in der Bezahl-Version zur Verfügung.
Interessante Funktion in der kostenlosen Grundversion: Ein Themen-Parkplatz (Parking-Lot) sammelt Themen, die für eine andere Retrospektive vorgemerkt werden soll. Eine kleine Statistik lässt die Retrospektiven über einen längeren Zeitraum gut auswerten.
Link: https://www.scatterspoke.com
Outro
Das Tool ist weniger ein spezielles Retro-Tool sondern eher als Notiz-Tool zum Mitschreiben in einem offenen Retroformat oder direkt im Sprint Review.
Über ein Button können die ausgesprochenen Kudos (Lob, Danksagungen) mitgezählt werden. Notizen/Maßnahmen werden in einer Liste gesammelt und können einem Bearbeiter zugeordnet werden. In jeder weiteren Session stehen die nicht abgehakten Punkte wieder auf der Agenda. Ziemlich einfach und deshalb eine Empfehlung wert.
Link: https://outro.co
Team O’Clock
Mit diesem Tool kann eine zweite Dimension in die Spalten-Ansicht eingefügt werden (Swimlanes/Schwimmbahnen). Das ermöglicht neue Retroformate. Der User wird hier durch den Retro-Prozess geführt (Gather, Groom, Vote, Discuss).
Die erstellten Maßnahmen stehen nach der Retro im Teamboard zur Maßnahmen-Verfolgung zur Verfügung. Die offenen Maßnahmen werden in der Retro bei der Maßnahmen-Definition (Prozessschritt “Discuss”) transparent wieder aufgelistet.
Link: https://www.teamoclock.com
Untersuchungsparameter
Eine Vielzahl von Parameter habe ich zu den einzelnen Tools zusammengetragen.
Anbieter
Ist eine Anbieterkennzeichnung vorhanden? Der Standort des Anbieters ist aus Datenschutz-Gesichtspunkten wichtig.
Sprache
Wird das Tool in deutscher oder englischer Sprache angeboten?
Hosting
Kann das Tool auch auf einem eigenen Server selbst gehostet werden?
Nutzung ohne Account (Moderation)
Kann die Retrospektive ohne User-Account gestartet und durchgeführt werden (Administrator/Moderatoren/Scrum-Master-Rolle)?
Teilnahme ohne Account (Teilnehmer)
Können Teilnehmer ohne User-Account an der Retrospektive teilnehmen (z.B. über einen Link)?
Login-Optionen
Username+Passwort, Google-Account, weitere Anbieter (z.B. Microsoft, LinkedIn, Github, Slack, Twitter, Facebook)
Templates
Werden verschiedene Retrospektiven-Templates angeboten, die einfach übernommen werden können? Oft sind die Templates sehr inspirierend und bringen Abwechslung in die Retrospektive.
individuelle Kategorien
kann das Format/Template individuell angepasst werden?
Prozessschritte
wird ein Retrospektiven-Prozess durch das Tool vorgegeben oder angeboten?
Inhalte anonym
Können die Inhalte anonym (ohne Nennung des Autors) eingegeben werden oder steht der Autor neben dem Thema? Eine anonyme Eingabe kann unangenehme Themen kommunizieren.
Inhalte blind
Können Themen “gepokert” werden? Also verdeckt aufgeschrieben/gesammelt und dann gemeinsam (zeitgleich) aufgedeckt werden? Bei “gepokerte” Themen beeinflussen sich die Teilnehmer nicht und Mehrfachnennung der Themen ist erwünscht.
Gruppierung möglich
Können die Themen, nachdem sie von den Teilnehmern gesammelt und aufgeschrieben wurden, gruppiert/aggregiert werden? Kann mit Themen-Cluster gearbeitet werden?
Voting Anzahl Stimmen
Welche Art von Voting durch die Teilnehmer ist möglich (Dot = mehrere Stimmen pro Thema sind möglich, Like = maximal 1 Stimme pro Thema ist möglich, Up/Down = positive bzw. negative Reaktion)? Wie viele Stimmen können pro Teilnehmer abgegeben werden (individuell = durch Moderation Anzahl der Stimmen vorgegeben, berechnet = durch das Tool anhand der Themen berechnet, unlimited = beliebige Anzahl an Stimmen, fix = fest vorgegebene Anzahl an Stimmen)?
Voting blind
Ist die Stimmenabgabe geheim, so dass die abgegebenen Stimmen nicht sofort sichtbar sind? Ist die Stimmenabgabe nicht blind/geheim, dann kann es zu einem taktischen Anker-Effekt kommen und somit das eigentliche Stimmungsbild verzerrt werden.
Maßnahmen
Werden Maßnahmen (englisch: Action Items) explizit definiert, damit eine Verbesserung möglich ist?
Mobile-freundlich
Ist das Tool auch mit kleinen Bildschirmen (z.B. Handy/Tablet) nutzbar?
Ergebnisse-Export
Wie können die Ergebnisse der Retrospektive exportiert werden (z.B. per E-Mail, Excel-Tabelle, PDF)?
Integration in andere Tools
Stehen Schnittstellen zu anderen Tools zur Verfügung (z.B. Slack, Trello, Jira)
Ergebnisse (Tabelle)
Fazit
Remote-Retrospektiven lassen sich bequem und produktiv durchführen. Die Auswahl an Tools ist groß. Auch für Retrospektiven-Experten sind interessante Formate dabei, so dass Langeweile nicht aufkommen sollte.
Über uns
Wir von Comsysto Reply arbeiten in internationalen Remote-Teams. Agilität, wie zum Beispiel Scrum, ist gelebte und erfolgreicher Alltag in unserer Softwareentwicklung gemeinsam mit dem Kunden. Unsere Mitarbeiter arbeiten im Homeoffice wann sie möchten.
An unseren Standorten in München, Berlin, Hannover, Rosenheim, Regensburg und Zagreb (Kroatien) suchen wir ständig nach guten Softwareentwickler*innen und Scrum Mastern/Agile Coaches.
In unseren Schulungen für Product Owner und Scrum Master teilen wir unser Wissen gerne mit Ihnen. Auf Wunsch auch als Inhouse-Schulung.
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