Geschwindigkeit.

Giering-Jänsch
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5 min readDec 23, 2018

“Aus Mangel an Ruhe läuft unsere Zivilisation in eine neue Barbarei aus. Zu keiner Zeit haben die Tätigen, das heißt die Ruhelosen, mehr gegolten. Es gehört deshalb zu den notwendigen Korrekturen, welche man am Charakter der Menschheit vornehmen muss, das beschauliche Element in großem Maße zu verstärken.” (Friedrich Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches)

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Der derzeitige Aufreger der Republik ist die Ankündigung der Deutschen Umwelthilfe gerichtlich eine Höchstgrenze von 120 Kilometer die Stunde auf Autobahnen durchzusetzen. Ist das nun zu schnell oder zu langsam? Die Frage liegt immer im Auge des Betrachters. Definiert wird Geschwindigkeit wie folgt: Geschwindigkeit beschreibt, wie schnell und in welcher Richtung ein Körper oder ein Phänomen (beispielsweise ein Wellenberg) im Lauf der Zeit seinen Ort verändert (erläutert die Geschwindigkeit als physikalischen Begriff).

Ich versuche mir einen Überblick zum Thema Geschwindigkeit zu verschaffen und “Geschwindigkeit” aus verschiedenen Blickwinkel betrachtet.

Fragen, die ich dazu habe: Schaffen wir es als Mensch mit der Geschwindigkeit im wahrsten Sinne des Wortes Schritt zu halten? Ist wirklich alles schneller geworden? Oder verschieben sich unsere Sichtweisen schneller? Wer oder was hat Einfluß auf die Geschwindigkeit? Ist Geschwindigkeit an sich schlecht oder gut? Die Digitalisierung und damit die Kommunikation, die digitalen Medien haben beispielsweise die Geschwindigkeit von Nachrichten erhöht. Dank des Internets ist der geplatzte Sack Reis in China, quasi wenige Sekunden später als Bild um den gesamten Erdball verbreitet. Die Frage stellt sich nur, wen interessiert der geplatzte Sack Reis denn überhaupt, wenn quasi eine halbe Stunde später schon wieder eine neue Sau durchs Weltdorf getrieben wird?

“Das menschliche Zeitempfinden wird von Signalen des Körpers, der Aufmerksamkeit und den Gefühlen gesteuert. Das menschliche Zeitempfinden ist äußerst komplex, denn es gibt kein Sinnesorgan, das die Gegenwart von der Vergangenheit und der Zukunft trennt. Schon in der Antike unterschied man die messbare Zeit von der gefühlten und wies ihnen zwei Gottheiten zu: Chronos und Kairos. Psychologisch betrachtet folgt die gefühlte Zeit anderen Gesetzen als die messbare, wobei sich das Zeitgefühl in den verschiedenen Lebensabschnitten verändert, denn je älter Menschen sind, desto kürzer erscheinen ihnen die vergangenen Jahre ihres Lebens, und erst ab etwa sechzig Jahren verlangsamt sich die gefühlte Zeit wieder.” (Stangl 2018)

Die Frage stellt sich, ob wir als Menschen überhaupt in den Lage sind, mit den zunehmenden Geschwindigkeiten klar zu kommen, denn das menschliche Gehirn ist in die Vergangenheit gerichtet. Es archiviert Bilder, und versieht jedes Erlebnis mit einer Emotion, das heisst beispielsweise, dass jedes Hervorrufen von Erlebten auch ein Gefühl hervorrufen: Psychologen glauben, dass dies in einigen Fällen die Zukunft blockieren kann. Doch wir sind niocht nur rückwärtsgewandt angelegt, denn das Gehirn ist in gleicherweise in der Lage Informationen über die Zukunft eines Ereignisses zu sammeln: Klassisches Beispiel: Ein Auto rast auf einen Abgrund zu, das Gehirn weiß genau, dass dies Gefahr bedeutet und lässt uns bremsen oder versucht aus dem Auto zu entkommen. Hier macht das Gehirn aus der Vergangenheit die Zukunft. “Wer Veränderungen erreichen will, muss sich daher in vielen Fällen von alten Bildern und Erfahrungen im Gehirn verabschieden, denn belastende Emotionen werden häufig zu Energieräubern. Wo Neues geboren werden will, muss das Alte losgelassen werden, was aber vielen Menschen Schwierigkeiten bereitet, denn man will Erreichtes oft festhalten. Eine Möglichkeit ist dabei, alte Bilder und Erfahrungen zu überschreiben und damit das Erinnerungsrepertoire zu verbreitern.” (Stangl, 2018).

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Bemerkenswerterweise wirft Google bei dem Begriff “Angst vor Geschwindigkeit” rund 4,3 Millionen Treffer aus, bezeichnenderweise haben sehr viele vor allem mit dem Thema Autofahren zu tun, weniger mit der Frage, wie sich Geschwindigkeit mit der Zukunftsentwicklung verträgt. Wie oben erwähnt scheint der Begriff der Geschwindigkeit eines der zentralen Begriffe der Digitalisierung zu sein. “Echtzeit” ist geradezu der Kern dieser Diskussion geworden. Entwicklungen wie Hyperloop von Alan Musk, aber auch die Erwartungen an IoT fußen auf dem Thema Geschwindigkeit, weil offensichtlich weniger Geschwindigkeit weniger Produktivität bedeutet.

Programmierung

In der Programmierung gibt es die so genannte Low-Code-Entwicklung, die sich auf die Programmierung mittels grafischer Modellierungsmethoden bezieht statt klassischer Programmiertechniken. Unter anderem findet der Einsatz visueller Applikationsdesigns statt. Im Vordergrund steht die Zeitersparnis. Der größte Vorteil ist die vereinfachte Vorgehensweise. Die Entwickler nutzen vorgefertigte Elemente und müssen die Anwendungen nicht manuell programmieren. Unternehmen können so eigenständig kleinere Anwendungen selbst programmieren. Der Zeitbedarf bei der Entwicklung reduziert sich. Ein weitere Vorteil ist, dass Entwicklungs-Know-how leicht erlernt werden kann.

China: Im Reich der Geschwindigkeit

“Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen scheint ein Strukturprinzip Chinas: Überall zeigt sich der Kontrast zwischen Alt und Neu, Stillstand und Tempo”

Kaum ein anderes Land wandelt sich derzeit so radikal wie China. Während in den hypermodernen Städten ein einzigartiger Leistungs- und Konkurrenzdruck herrscht, scheint in vielen entvölkerten Dörfern die Zeit wie stehen geblieben zu sein. Rechne damit, dass morgen alles anders sein wird: Das ist das Merkmal der Moderne und für die Menschen in Shanghai eine unabweisbare Lebensrealität. Hartmut Rosa, Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie, analysiert in seinen Arbeiten die Beschleunigungs- und Entfremdungseffekte der Spätmoderne, wie das moderne Subjekt in eine erfüllende Beziehung zur Welt treten kann. Der Artikel zum Thema lässt sich hier nachlesen.

Das Tempo der Entwicklung, vorallem die der digitalen, in China

Geschwindigkeit oder: Was wir von den Alten lernen können

„Lauft schneller, sonst ist das Geld nichts mehr wert, wenn wir ankommen.“ Fritz aus Jena zum Beispiel, Jahrgang 1914, ein ehemaliger Berufsschullehrer und Ingenieur, hat die große Inflation 1923 mitgemacht.

Im Buch kann man Geschichten von Menschen lesen, die ihr Leben lang offen, neugierig und unvoreingenommen geblieben sind und ihre ganz eignen Erfahrung zum Thema Geschwindigkeit gemacht haben. Vielleicht auch noch einmal ein sinnvoller Blick zurück.

Innovation = Ideen + Geschwindigkeit

Fragen:

Wie schnell kann man sich zu einem Thema informieren, das man nicht kennt?

Wie viele Ideen muss man in welcher Geschwindigkeit in den Raum werfen, damit eine zurück kommt?

Zu wenig Zeit für die Entwicklung neuer Ideen?

Braucht Innovation nicht auch Geduld und Ausdauer, Kommunikation und Konsens, also eine demokratische Grundlage?

Literatur:

Hartmut Rosa: „Resonanz. Soziologie einer Weltbeziehung“ (Suhrkamp, 2016)

Kerstin Schweighöfer: 100 Jahre Leben — welche Werte wirklich zählen (Hoffmann und Campe, 2018)

Verwendete Literatur
Stangl, W. (2018). Gehirn und Zeit. [werner stangl]s arbeitsblätter.
WWW: http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/GEHIRN/GehirnZeit.shtml (2018–12–23).

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