Die Millionenlösli der Techgiganten Facebook und Google oder warum die alten Tugenden digital transformiert werden müssen

Bruno Habegger
contentmarkething
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5 min readJan 1, 2018

Facebook und Google protzen mit ihren mächtigen Algorithmen, geben vor zu sein, was sie längst nicht mehr sind: verlässliche Partner für Menschen auf der Suche nach Kontakten und Informationen. Facebook und Google sind Medien, die die technische Wahrnehmung der Welt zur realen Wahrnehmung machen.

Facebook ist der Legende nach dem Wunsch von Studenten entsprungen, leichter mit den Girls anzubändeln. Auf Knopfdruck ein imaginäres Date. Und Google wollte einen relevanteren Index der im Web publizierten Seiten erreichen und niemals evil sein.

Längst sind die sozialen Netzwerke und Suchmaschinen den naiven Wünschen ihrer Erschaffer entwachsen und haben sich zu globalen Medienkonzernen gewandelt, die von sich selbst behaupten, keine Verantwortung für gar nichts zu tragen. Nur eine Plattform. Nur eine Suchmaschine. Nur Daten. Skynet.

Man beschuldigt ja auch nicht den Boden, auf dem sich eine Blutlache ausbreitet. Das erfährt, wer Hassrede meldet; Facebook pflegt eine eigenwillige Vorstellung von «Gemeinschaft», wenn die meisten Meldungen ins Leere laufen, weil Worte allein angeblich frei sind. Sind sie nur, solange sie nicht im Luftraum kollidieren. Vogelfrei sind nur die Einsamen. Wer sich «sozial» auf die Fahne schreibt, muss sich selbst unfrei machen.

Das errechnete Weltbild

Wer ein soziales virtuelles Gefüge betreut, muss haargenau wissen, was vor sich geht und kann sich nicht auf die Freiheit an sich berufen. Die Techgiganten geben es vor, wissen es aber nicht genau und «empfehlen» deshalb nur. Sehr ungenau. Wäre Facebook ein Dartspieler, bliebe das Board frei von Löchern. Der blaue Riese sorgte 2017 für einen Eklat, weil er rechte Gruppen empfahl, ungeachtet der tatsächlichen Weltanschauung. Ein starkes Indiz dafür, dass der eigene Algorithmus nicht so smart ist, wie Facebook vorgibt.

Er errechnet offensichtlich ein Weltbild des Users, das nichts mit der Realität zu tun hat, denn die Wahrnehmung der Welt ist weitaus komplexer als der Klickfinger verrät. Und Menschen sind indifferenter als ihre Enter-Taste. So folge ich gerne auch Menschen mit abstrusen Gehirnen und politisch anderen Anschauungen, nur aus Neugierde, nur um zu sehen, wie die Welt funktioniert. Social Schizophrenia.

Die Schwierigkeiten von Facebook, die Einflüsse der analogen Welt und der Politik im Besonderen auf ihr eigenes datenzentriertes Weltbild zu akzeptieren, liegen womöglich im Urvertrauen in die Kraft des Algorithmus und im gfrenzenlosen Vertrauen in die Redefreiheit. Doch wenn diese mit Hilfe von Technologie — den Fake-News-Bots und anonymen Politwerbeanzeigen — untergraben wird, wird diese ebenso zerstört wie das demokratische System. Nun scheint bei Mark Zuckerberg ein Umdenken stattgefunden zu haben. Er hat einen Plan vorgelegt, wie dem Treiben Einhalt geboten werden soll. Unter anderem durch die Neuanstellung von Personal — eine tröstliche Botschaft für alle Gegner der Digitalisierung.

Immer stärker müssen sich digitale CEO mit der schmutzigen realen Welt befassen und dem Chaos, das darin herrscht. Nur zu verständlich, das sie ihre liebe Mühe damit haben, dass der Mensch in der Gesamtheit traurig und heiter, dunkel und hell, dumm und klug, schlicht widersprüchlich in der analogen Welt agiert. Das passt nicht ins Flussdiagramm der Lebensanschauung der Google- und Facebookbosse. In ihren Plan von der Tyrannei der Daten. Der letzte Satz dient der Verwirrung der Filterbubble.

Die neue Ehrlichkeit

Social-Media-Plattformen werden im 2018 noch stärker zum Lebensmittelpunkt vieler Menschen. Unternehmen buhlen um ihre Zielgruppen, Politiker um Wähler, Regierungen um die stillschweigende Zustimmung zu Fakten, die immer «alternativ» sind, schon alleine deshalb, weil Regierungen sich selbst und ganz selten die Regierten vertreten. Facebook will sogar die klassische Mediennutzung ermöglichen, im blauen Internet. Eine riesige Mailbox entsteht, ein im Sediment des Datenzeitalters eingeschlossene DNA, die chräschlet und pfeift, bis die Verbindung zum Leben erwacht: Tyrannodata Rex. Man loggt sich ein und befindet sich in der digitalen Fruchtblase des analogen Leibes.

Das ändert auch in der Kommunikation vieles. 2018 ist das Jahr, in dem keine Unterschiede mehr gemacht werden sollten. Analoge Regeln für das digitale Leben! Kommunikatoren müssen berücksichtigen, dass «Social Media» keine eigenständige Marketinggattung mehr ist. Hinfort mit den SoMe-Managern! Hinfort mit dem Futter für klickrasende Menschen! Her mit den Geschichten, die sich über Tage und Wochen hinweg entwickeln, über die Kanäle hinweg, die Menschen fesseln und berühren — und mit der Marke verbinden.

Social-Media-Algorithmen produzieren keinen Mehrwert für ihre Nutzer, sondern nehmen ihnen die Freiheit zu entscheiden, wie sie ihr eigene Meinung entwickeln. Sie müssen diese zurück erhalten, in algofreien Zonen, frei von datenfaschistischen Tendenzen der Grosskonzerne. Das sind Algorithmen letztlich: Diktatoren der digitalen Wahrnehmung. Diktatoren, die man im Glauben einsetzte, sie zu beherrschen, die sich aber selbstherrlich selbständig machten, nicht mehr unter Kontrolle sind. Sagt auch Sascha Lobo, der Internetversteher:

«Facebook hat Facebook noch nicht verstanden. Und damit hat es auch noch nicht die Macht und vor allem den Machtmissbrauch begriffen, die beide ab Werk in den Plattformen eingebaut sind.»

Algorithmen sind Programme, die uns Entscheidungen abnehmen, die wir lieber selbst vornehmen sollten: mit wem wir Kontakt haben, welche Nachrichten wir lesen wollen, wem es sich zu folgen lohnt, wie wir Social Media gewinnbringend in unseren Tag integrieren. Algorithmen nehmen uns all diese Entscheidungen ab, führen zu Content und einem Leben, die nur für die Algorithmen statt für die Menschen geschrieben und gelebt werden. So will man uns seit Jahren weismachen, Texte müssten nach einem bestimmten Muster für Google erstellt werden, damit sie nicht untergehen im Datenmeer, sondern kleinen Schiffen gleich die Gedanken der User zu neuen Häfen des Geistes bringen. Nichts da. Relevante Texte, die aus dem echten Leben schöpfen, genügen. Alles Anderes ist Glückssache, denn siehe: Die erste Google-Seite hält nur eine Handvoll Links feil, dazu Newsschlagzeilen und anderen Krimskrams. Die Suchtreffer muss man sich meist erscrollen. Google ist nicht evil geworden. Aber ehrlich. Und geldfixiert.

Massnahmen gegen den Algowahn

Geld verdienen wollen auch andere. Die Konkurrenz auf den Suchseiten und in den Newsfeeds ist enorm. Darum: Vergessen Sie es. Der finanzielle Einsatz ist viel zu gross in Relation zur Chance. Wie bei den Lösli, die es an jedem Kiosk gibt. Sie tragen hübsche Namen und versprechen Gewinne, die selten kommen. Es ist Bettelgeld plus Hoffnung.

Das blosse Vorhandensein einer Masse ist keine Garantie für Umsatz. Ein Ad macht noch keinen loyalen Kunden. Eine Kampagne kein Wachstum. Organische Reichweiten mit Interaktion sind nachhaltiger als bezahlte ohne Einfluss aufs Tagesgeschäft — aber mühsamer zu erreichen.

Seien wir ehrlich: Facebook & Co. sind Werbemaschinen, die Honigtöpfchen auslegen, in denen wir festsinken. Das Millionenlos zu ergattern ist kein Geschäftsmodell. Darum müssen sich Unternehmen wie früher wieder selbst um den Aufbau ihrer eigenen Kundschaft kümmern, die guten, alten analogen Tugenden auch im hybriden Zeitalter pflegen und anwenden. Wenn sie folgende Leitsätze beachten, fällt der Übergang leichter:

  • Bereiten Sie Ihren Content für die Kundinnen und Kunden auf, nicht für den Algorithmus.
  • Billiger Content wird kaum geteilt. Ausser Katzen jeder Art.
  • Teurer Content garantiert keinen Erfolg.
  • Eine Contentstrategie ist das Herz aller Massnahmen. Sämtliche Disziplinen richten sich danach aus. Auch das Budget wird danach festgelegt.
  • Content übernimmt die Führung. Die Story ist das Mass aller Dinge. Auch in der Organisation.
  • Träumen Sie nicht. Der Erfolg kommt nicht über Nacht. Und schon gar nicht mit der Buchung von Werbung.
  • Entwickeln Sie Ihren Content stets mit 10 Prozent Überraschung im Hinterkopf. Anders gesagt sollte Ihr Content zu 90 Prozent den Erwartungen entsprechen, zu 10 Prozent den Geist öffnen für Neues.

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Bruno Habegger
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Unternehmensjournalist. Langjähriger freier Mitarbeiter diverser Zeitschriften und Zeitungen. Mitglied Gründungsteam zweier Newsplattformen in den 90ern.