Ich, der Wutbürger oder der Knackpunkt

Bruno Habegger
contentmarkething
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4 min readSep 16, 2017

Knackeboul ist ein ernstzunehmender Mensch. Wie alle Politiker. Er ist die Wiedergeburt des Schriftsteller vergangener Tage, der Einfluss nehmen will: Bücher liest niemand, Spotify-Playlisten hört jeder. Ein kleines Twitter-Experiment mit ihm, dem «Watson-Star», zeigt ein Problem in der Kommunikation auf: Wer mit Wut gegen Wut kommuniziert, wird wütend und gleicht sich seinem Gegner an.

Wenn einen die Wut packt, um sich gegen Wütende zu wehren, wird man unbewusst wie sie. Das Wahrnehmungsfeld verengt sich, die Wut gebiert neue Wut. Von Wut geleitete Kommunikation gleicht sich an; aus einer gegenteiligen Position heraus wird man Teil der Wutmasse. Ein schönes Beispiel dafür der Disput, den Rapper Knackeboul mit Wutbürgern und Weltwoche ausficht. Und mit mir, der mit ihm ein kleines Experiment durchgeführt hat.

Vorgeschichte

«Knack» wie er liebevoll genannt wird, befindet sich in Dauerfehde mit SVP-Politikern und anderen «Wutbürgern», ein Begriff, der meist für Menschen aus dem rechten Lager angewendet wird — denn wer sich vermummt und Steine auf Polizisten schmeisst, tut dies sicher aus Liebe zum Menschen an und für sich. Linke sind nicht gewalttätig. Überhaupt nicht. Lalala.

Nach seiner x-ten öffentlichen Tirade gegen Rassisten, Homophobe etc., entschloss ich mich zu einer schlichten Antwort:

Seine Tweets sind für mich leider nicht mehr sichtbar, weil er mich unverzüglich geblockt hat. Ohne etwas über mich zu wissen oder mich zu kennen.

«Auch wenns dir nicht gefällt: In den eigenen vier Wänden darf man alles sein.»

Unschwer ist die liberale Grundhaltung zu erkennen. In den eigenen vier Wänden darf jeder sein, was er will — solange andere davon nicht betroffen sind.

Knacks sofortige Antwort: ein ironisches Gif seiner selbst mit der sinngemässen Legende, sein Gesichtsausdruck entspreche seiner Haltung gegen alle Wutbürger.

Auf meine Rückfrage, er unterstelle mir also, ich sei ein Wutbürger, folgt ein Tweet des Inhalts, er entschuldige sich, das sei nicht für mich gedacht gewesen, normalerweise antworte er auf Tweets wie die meinen gar nicht. Ich hätte mich zu früh gefreut… Meine Antwort, er unterstelle mir da wieder Sachen, von wegen Freude, erreicht ihn gar nicht mehr. Geblockt.

Nicht besser gemacht hat den überheblichen meinungsfeindlichen Monolog ein anderer, der mich belehrte, meine Meinung sei sowas von falsch. Auf meine Frage, weshalb, folgt, ich sei also der Meinung, Fritzl dürfe zu Hause alles machen, solange es in seinem Keller passiert — ein Argumentationsmuster, das man gemeinhin von der rechten Seite kennt. Dumm, respekt- und rücksichtlos gegenüber der Person, die hinter der virtuellen Meinung steht, in den eigenen vier Wänden dürfe man alles SEIN.

Die Annäherung der Extreme

Eine interessante Erfahrung, nach bald zehn Jahren Twitter, ohne jemals geblockt worden zu sein: Die Gesprächsverweigerung fühlt sich selbst wie Hatespeech an. Die Premiere ausgerechnet mit einem, der eigentlich anders verfahren müsste, seinem linken Weltbild gemäss. Oder ist das bereits eine Projektion aus der Mitte — Linke sind so, Wutbürger so?

Auch den prominenten Raptwitterer hat anscheinend die Wut gepackt, das macht ihn ebenso zum Wutbürger wie die anderen, auf der anderen Seite. Ein Blick auf seine für mich nicht gesperrten anderen Präsenzen zeigt, wie er sich immer heftiger zofft, Vertreter der jungen SVP mit Schimpfwörtern eindeckt, sie verbal attackiert und dafür wiederum neue Attacken einsteckt. Er kopiert das Muster der Wutbürger und gleicht sich ihnen mit jedem Angriff weiter an.

Wut ist ein universales Gefühl, das Menschen vereint. Selbst in ihrer Gegensätzlichkeit vereint. Vielleicht findet auch eine Übertragung statt, ein Phänomen in der Psychologie. Unverarbeitete Wut, Gefühle und Zerwürfnisse, die eigene innere Spaltung wird auf den Therapeuten — das soziale Internet — übertragen und aktiviert. Übertragen auf mich.

Die virtuelle Wut

Der Rapper ist selbstverständlich kein Hassprediger und kein Gewalttäter. Die Entkörperung der Kommunikation führt bloss zur Bildung neuer virtueller Persönlichkeiten mit einem ganz eigenen Charakterprofil. Die Wut ist ein Link, mehr nicht. Der sogenannte «Wutbürger» ist der tausendfach reproduzierte Link auf die Unsicherheit der Menschen in einer komplexen Welt; sie wähnen sich auf einem kapitänslosen Kahn in stürmischer See. Die Virtualität der Massenseele führt zu einer Stampede der IP-Rinder.

Die Annäherung der Extreme müssen Unternehmen in ihrer Contentstrategie berücksichtigen. Man wird zu dem, was man sein möchte, zu dem, was man niemals sein möchte, zu dem, was man insgeheim sich wünscht, was man ist, ohne es bisher bemerkt zu haben.

Bedenken Sie beim Formulieren Ihrer Contentstrategie:

  • Politik ist ein Minenfeld. Sollten Sie meiden, ausser wenn sie eine bestimmte, politisch geprägte Zielgruppe ansprechen wollen.
  • Die Kraft der Sprache wirkt auf den Kopf ein wie der Kuss des Asphalts. Je mehr Wut sie hineinlegen, desto unkontrollierbarer wird die Wirkung.
  • Testen Sie die Wirkung Ihres Contents. Löst er die gewünschten Emotionen aus? Oder gegenteilige?
  • Planen Sie negative Reaktionen Ihrer Kunden und von Fangruppen mit ein.
  • Lassen Sie aus kontroversen Geschichten die Wut ab, indem sie sie zuerst erzählen. Richtig erzählen. Aus Sicht der betroffenen Kunden und dabei Protagonisten wählen, die ehrlich und glaubwürdig den Umgang mit Ihnen und Ihren Angeboten und Produkten darstellen.

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Bruno Habegger
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Unternehmensjournalist. Langjähriger freier Mitarbeiter diverser Zeitschriften und Zeitungen. Mitglied Gründungsteam zweier Newsplattformen in den 90ern.