Reputation als Schutzschild — Wie der gute Ruf unsere Sicht auf Unternehmenskrisen beeinflusst

Tobias Enke
Context & Conversation
3 min readFeb 29, 2016

Umweltskandale, Steuerhinterziehung, Bestechung — die Liste von Negativschlagzeilen deutscher Unternehmen ist lang. Kaum ein Monat vergeht, in dem nicht ein neuer Skandal aufgedeckt und in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Welche langfristigen Folgen eine solche Krise für alle Beteiligten haben kann, das erleben wir am Beispiel #dieselgate von Volkswagen. Was als Manipulationsvorwurf begann, entwickelte sich zu einer handfesten Identitätskrise der Autobauer und führt dazu, dass gar die von den deutschen Autofahrern so geliebte Dieseltechnik grundlegend infrage gestellt wird.

Immaterielle Werte beeinflussen Unternehmenserfolg

In den vergangenen Jahren ließen sich immer größer werdende Folgen öffentlicher Unternehmenskrisen ausmachen, was vor allem in der Veränderung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen begründet liegt. Organisationen gelten als soziale Akteure und werden nicht nur unter rein quantitativen Gesichtspunkten bewertet. Ökonomischer Erfolg lässt sich damit nicht mehr einzig durch solide Unternehmenskennzahlen ausdrücken, er wird viel mehr auch von Markenwerten, Mitarbeiterzufriedenheit und dem guten Ruf eines Unternehmens beeinflusst.

Reputation entscheidet über Erfolg oder Misserfolg

Reputation als Ausdruck der Beziehung zwischen Stakeholdern und Unternehmen gewinnt damit im wirtschaftlichen Umfeld an Bedeutung. „Der gute Ruf“ zählt zu den bedeutendsten Werttreibern eines Unternehmens, der über Erfolg und Misserfolg am Markt entscheiden kann. Dass über Jahre aufgebaute Reputation unter öffentlichen Krisen leidet und innerhalb kürzester Zeit verloren gehen kann, daran besteht kein Zweifel. Uneinigkeit herrscht jedoch darüber, wie solch negative Folgen bereits im Vorfeld vermieden werden können. Natürlich wäre es einfacher, gar nicht erst in eine öffentliche Unternehmenskrise hineinzugeraten. Doch bei den vielfältigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verflechtungen der Konzerne lässt sich nicht jede Krise verhindern. Einige sind gar fremd verschuldet.

Die Arbeit von Reputations- und Krisenmanagern förderte in den vergangenen Jahrzehnten unzählige Theorien darüber zu Tage, wie Reputation durch effektive Maßnahmen innerhalb von Krisen geschützt werden kann. Lange wurde beispielsweise darüber gestritten, ob es sinnvoller sei, die Schuld zu vertuschen oder sie offen zuzugeben, um den guten Ruf zu schützen. Selten fand jedoch eine fundierte Diskussion darüber statt, welchen Beitrag positive Reputation bereits vor bzw. während einer aufkommenden Krise leisten kann. Diesen Ansatz verfolgte ich im vergangenen Jahr im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit. Die Ausgangsfrage war: Inwieweit kann positive Reputation Unternehmen davor schützen, in Krisenkontexten ins mediale und damit öffentliche Kreuzfeuer zu geraten?

Schuldzuschreibungen werden durch Reputation verschoben

Durch ein wissenschaftliches Experiment mit rund 400 Teilnehmern stellte sich heraus, dass Reputation auf signifikante Weise den Prozess beeinflusst, wie Stakeholder Krisengeschehnisse wahrnehmen und bewerten. Dabei kann festgehalten werden: Je positiver die Reputation im Vorfeld einer Krise ist, umso weniger schreiben Stakeholder die Verantwortung für die Krise dem Unternehmen zu. Das bedeutet gleichzeitig auch, dass Reputationsschäden im Anschluss deutlich geringer ausfallen. Wichtige Erkenntnisse, die den elementaren Wert positiver Reputation von Organisationen stärken. Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie mit Hilfe effektiver Kommunikationsmaßnahmen bereits in ruhigen Zeiten für Krisenszenarien vorbeugen können.

Doch einen „Haken“ hat diese Erkenntnis. Die „Akte Volkswagen“ zeigte uns eindrucksvoll: Ein Unternehmen kann eine noch so positive Reputation besitzen. Bei tiefen Krisen gerät auch dieser Schutzmechanismus an seine Grenzen. Dennoch lässt sich die Frage stellen, wie es VW heute gehen würde, ohne den lange Zeit aufgebauten „Guten Ruf“. Umso sinnvoller scheint es also, schon in ruhigen Zeiten auch an morgen zu denken und nicht nur Gutes zu tun, sondern auch darüber zu reden — um den großen Risiken öffentlicher Unternehmenskrisen vorzubeugen.

Über den Autor:

Christian Salmen, Junior Account Executive, Industrial Practice

Christian.Salmen@hkstrategies.com

Bildquelle: Bernd Kasper / pixelio.de

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