Eines hat bei uns Bestand: niemand behauptet, zu wissen, wie es geht

Ein Gespräch über Creative Leadership mit Catharina van Delden, Geschäftsführerin von innosabi

Steffen Vogt
Creative Leadership Salon Journal
7 min readMay 9, 2018

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Catharina van Delden ist Mitgründerin und Geschäftsführerin der innosabi GmbH. Große Unternehmen nutzen innosabis Software-Plattform, um interne Prozesse gezielt zu öffnen und externe Potentiale nachhaltig für die Entwicklung neuer Produkte, Services und Geschäftsmodelle zu erschließen. So implementieren sie agile Arbeitsweisen in ihrem Innovationsmanagement. Zu innosabis Kunden gehören die Bundesagentur für Arbeit, Daimler, Bayer, Postbank, und Rehau.

Altbau, zentral in München, unweit des Englischen Gartens, direkt an der Isar gelegen. Wo sich ansonsten fast ausschließlich Anwaltskanzleien in der Nachbarschaft tummeln, treffe ich Catharina van Delden in den Büroräumen von innosabi. Das Unternehmen, das Catharina zusammen mit drei Partnern im Dezember 2010 gegründet hat. Dies ist zwar bereits ein paar Jahre her, der Start-up-Charakter ist aber erhalten geblieben. Denn so richtig los ging es erst 2015, nachdem das Geschäftsmodell radikal umgebaut wurde — vom beratenden Dienstleister zum erfolgreichen Software as a Service-Anbieter.

Bei meiner ersten Kontaktaufnahme für dieses Interview vor gut zwölf Wochen war das innosabi-Team knapp über 30 Personen stark. Heute seid Ihr fast 50, Euer rasantes Wachstum wurde in kürzester Zeit noch einmal beschleunigt. Wie geht es Euch hiermit, als noch immer junge Gründer, die nicht auf vorherige Führungserfahrung zurückgreifen können?

Ich glaube, für ein Unternehmen ist es eine der größten Herausforderungen überhaupt, wenn es wächst. Wir haben zu viert gegründet, waren alle um die 23 Jahre alt und noch im Studium. Wir hatten also weder Erfahrung, Netzwerk, Geld, geschweige denn ein Produkt. Keiner von uns konnte nur ansatzweise behaupten, zu wissen wie man ein Unternehmen führt. Was wir allerdings hatten, waren viele Ideen und viel vor. Wir mussten uns nicht nur alles selber beibringen, sondern auch Menschen finden, die uns auf unserem Weg unterstützen. Dieser Hintergrund prägt die gesamte Organisation bis heute enorm. Das gesamte Team ist weiter in einem konstanten Lern- und Entwicklungsmodus. Dies gilt nicht nur in Bezug auf unser Produkt, sondern vor allem auch für die Frage wie wir zusammenarbeiten. Wir Gründer behaupten bis heute nicht, zu wissen wie es geht, auch wenn wir es jetzt schon eine Weile tun. Wir stecken ebenso weiter in einem Lernprozess und das kommunizieren wir mittlerweile ganz bewusst an unser Team und an neue Bewerber, da wir es von ihnen genauso erwarten. Das ist wichtig für uns.

Weshalb?

Da sich das Geschäftsmodell und damit das gesamte Unternehmen in den letzten Jahren sehr stark verändert hat. Wir stellen heute neue Mitarbeiter ein, deren Jobprofil es in einem Jahr vielleicht nicht mehr gibt. Ein gutes Beispiel ist jenes einer Mitarbeiterin, die wir ursprünglich als Innovationsberaterin engagierten. Vor zwei Jahren hätte sie sich noch nicht vorstellen können, dass sie heute als Customer Success Managerin einer Software arbeitet.

„innosabi zieht Menschen an, die einen eigenen Kopf haben und sich trauen die Person zu sein, die sie wirklich sind.“

Gegenteiliges Beispiel sind Menschen, die wir ins Team geholt haben, die zu angepasst waren bzw. so sein wollten wie wir. Sie haben sich allerdings auch sehr schnell unwohl gefühlt bei uns.

Was für Menschen zieht innosabi an? Worin liegt ihre Gemeinsamkeit?

Unser gesamtes Team hat erst kürzlich darüber diskutiert, wie wir unsere Kultur verstehen. Für mich ganz persönlich resoniert davon am stärksten der Aspekt „Celebrate Individuality“. innosabi zieht Menschen an, die einen eigenen Kopf haben und sich trauen die Person zu sein, die sie wirklich sind. Es sind Menschen, die begeisterungsfähig sind für neue, ihnen unbekannte Themen und dennoch keine Scheu haben, sich dort einzufuchsen. Nach diesen Köpfen suchen wir auch ganz explizit.

Gibt es Beispiele?

Ja, sehr viele Lebensläufe im Team sind solche, die man erst einmal nicht bei unseren Jobprofilen erwarten würde: So ist z.B. unsere HR-Verantwortliche studierte Kriminologin oder die Mitarbeiterin, die unsere Buchhaltung verantwortet war zuvor Croupière in einem Casino.

Seid Ihr von Beginn auf der Suche nach diesem Spirit oder kam zu einem vorherigen Zeitpunkt einmal ein klassischerer Ansatz in Frage?

Für uns ist dies der klassische Weg, unsere Normalität. Es gab nie eine strategische Entscheidung, so oder so zu sein, vielmehr hat es sich natürlich ergeben, in Folge dessen, wie wir als Gründerteam gestrickt sind.

Der Creative Leadership Salon versammelt Menschen, die Unternehmertum, Kreativität und Führung miteinander verbinden. • Twitter: @leadershipsalon

Euer gesamtes Gründerteam ist weiterhin in der Führungsrolle. Wie hat sich das Team dahinter gebildet und entwickelt? Was habt Ihr als Gründer hierbei gelernt?

Noch zu viert war ganz klar, jeder ist für alle Bereiche zuständig und in alle Entscheidungen involviert. Sich von dieser Situation zu lösen ist ein persönlicher Prozess, in dem wir alle sehr viel lernen mussten. Sobald man die Aufgaben nicht mehr selber umsetzt, beschleicht einen zunächst immer das Gefühl, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit nicht gut genug wird oder zumindest nicht der eigenen Vorstellung entspricht.

„Es geht aus meiner Sicht darum, eine Vertrauensperson zu sein, der Probleme anvertraut werden. Es darf nicht das Gefühl entstehen die Probleme müssen an Dir vorbei gelöst werden.“

Wir mussten erst für uns realisieren, dass es in einem größeren Team wichtiger ist, vorzuleben wofür innosabi steht und was wir mit dem Unternehmen erreichen möchten. Die Grundlage hierfür ist, auf ein Team aufbauen zu können, welches die gleichen Werte teilt. In dem Fall ist es vollkommen in Ordnung, wenn der Einzelne vielleicht fünf andere Wege findet um das Ziel zu erreichen, unabhängig ob einer dieser Wege der meine gewesen wäre.

Welcher Entwicklungsschritt ist Dir persönlich am schwersten gefallen?

Die persönlichen Kontakte loszulassen — das ging nicht von heute auf morgen. Es fühlte sich wie ein Risiko an, die Kommunikation mit einem wichtigen Kunden einem Mitarbeiter anzuvertrauen. Für mich war die Frage, wie ich es anstelle, dass meine Beziehung zum Kunden nicht leidet und gleichzeitig sicher zu sein, dass die Beziehung des Kunden zu innosabi nun wahrscheinlich besser wird.

Gab es etwas, das Dir hierbei half?

Mich selber zu fragen, wo ich zukünftig den meisten Wert stiften kann. Was ist meine Rolle? Bei mir ist dann über Zeit die Erkenntnis gereift, dass ich zukünftig nicht weniger „in“ der Firma arbeite, als „an“ der Firma. Das war schon eine große Umstellung.

Wie sieht deine Rolle heute aus? Womit beschäftigst Du Dich in deiner Arbeit am Unternehmen?

Wir haben mittlerweile die Aufgaben im Gründerteam sehr stark aufgeteilt und verantworten jeweils eigene Bereiche.

Ich glaube, meine persönliche Rolle hat sich in letzter Zeit noch einmal am stärksten gewandelt, so dass sie jetzt den Fokus Wachstumsstrategie hat. Ich beschäftige mich projektweise mit Themen, bei denen wir das Gefühl haben, dass sie aktuell wichtig sind und dass es für sie im Alltagsgeschäft keine Kapazitäten gibt.

Du sprachst eben bereits das „Wofür“ an und wie wichtig es ist, dies in in das Team hineinzutragen. Wie gelingt Euch dies im operativen Alltag?

Ein wiederkehrendes Thema im Laufe des Wachstums der letzten zwei Jahre war die aufkommende Intransparenz. Bei einer Größe von 10–15 ist das gesamte Team noch sehr nah beieinander, alle bekommen irgendwie alles automatisch mit. Zu diesem Zeitpunkt war es noch vergleichsweise einfach zu kommunizieren, warum und wofür wir tagtäglich arbeiten. In der heutigen Teamgröße von fast 50 Mitarbeitern redet allerdings nicht mehr jeder mit jedem täglich. Wir haben uns sehr viele Gedanken gemacht, wie wir jedem Einzelnen ermöglichen, das große Ganze zu verstehen, damit er dieses mit seiner persönlichen Arbeit unterstützen kann. Am wichtigsten hierfür ist wahrscheinlich unser TGIT (Thank God it’s Thursday): ein wöchentliches Teammeeting, in dem jeder Bereich hartgetaktete fünf Minuten Zeit bekommt, die Ereignisse und Ergebnisse der letzten Woche vorzustellen. Welche Fragen und ungelöste Probleme auftraten und wo Input von den anderen benötigt wird. Und natürlich auch um Erfolge gemeinsam zu feiern.

Noch alltäglicher ist ein Messaging-Tool über das alle untereinander kommunizieren und bei dem die verschiedenen Kanäle für alle offen sind. Neben vielen kleineren, sind dies vielleicht die zwei wichtigsten Maßnahmen.

Gibt es Reibung im Team? Konflikte die sich länger hinziehen?

Ich glaube, mit solch einer Facette an unterschiedlichen Köpfen, wie wir sie im Team vereinen, erzeugt man automatisch Reibung. Wichtig dabei ist, dass es einen konstanten Dialog gibt, der es ermöglicht, Konflikte zu lösen. Meiner Wahrnehmung nach herrscht bei uns eine sehr gute Konfliktkultur. Ich habe einmal gehört, woran man angeblich merkt, dass man selbst keine gute Führungskraft (mehr) ist: Und zwar wenn einem auffällt, dass die Mitarbeiter mit ihren Problemen nicht mehr zu einem kommen. Diese Aussage finde ich wahnsinnig treffend. Es geht aus meiner Sicht darum, eine Vertrauensperson zu sein, der Probleme anvertraut werden. Es darf nicht das Gefühl entstehen, die Probleme müssen an dir vorbei gelöst werden. Ich glaube, solch eine Vertrauensbasis haben wir bisher ganz gut etablieren können. Auch weil wir ganz aktiv sagen, niemand verliert seinen Job, wenn er einen Fehler macht. Fehler dürfen passieren, sofern wir daraus lernen und darüber reden, so dass auch alle anderen die Chance haben, aus dem Fehler zu lernen. Dies erfordert natürlich Mut eines jeden Einzelnen.

Was bedeutet für dich Creative Leadership und Leadership im allgemeinen?

Als Gründer hast du ganz grundsätzlich eine andere Einstellung zum Thema Leadership wie beispielsweise ein Abteilungsleiter in einem Großkonzern. Als Gründer geht es Dir immer um die Frage, wie erreiche ich meine Vision. Du willst Menschen überzeugen, begeistern und mitreißen. Das prägt sich in jedem Aspekt der Art und Weise wie Du mit deinem Team zusammenarbeitest.

Kannst Du dies konkretisieren?

Einer der für mich persönlich erfüllendsten Momente wurde ausgelöst durch einen chaotischen Termin mit einem Kunden. In der Folge habe ich mich persönlich mit den Mitarbeitern einzeln zusammengesetzt um zu verstehen, warum derjenige eigentlich bei uns arbeitet. Ich wollte wissen, welche individuelle, berufliche Passion sie bei innosabi sein lässt. Die einzelnen Gründe zu hören war extrem erfüllend und positiv. Und dies wirkt sich bis heute darauf aus, wie wir unser Team führen und einsetzen. Zu wissen, warum diejenige bei uns ist, macht es einfacher, sie mit Aufgaben zu betreuen, die ihre eigene individuelle Motivation vermutlich stärken. Dieses Wissen macht Führung viel einfacher und erfüllender.

DDDas Gespräch führte Steffen Vogt, Mitgründer und Partner bei NAMENAME Creative Consultancy und Co-Initiator des Creative Leadership Salon.
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Steffen Vogt
Creative Leadership Salon Journal

Harnessing the creative disciplines to build human enterprises. Partner at NAMENAME Creative Partners and Co-Initiator of the Creative Leadership Salon.