“Metall auf Metall” als Zitat — Sampling-Streit vor dem Landgericht München

Konstantin Hondros
Creativity across Borders
4 min readJan 25, 2018

Aufarbeitung eines Urteils des LG Münchens; LG München — 33 O 15792/16

von Konstantin Hondros und Georg Fischer

Nach dem Sampling-Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) im Mai 2016, das das umstrittene “Metall auf Metall”-Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH, 2012) aufhob und forderte, die rechtliche Barrieren für Sampling zu überarbeiten (kurzer Überblicksartikel hier), scheint es nun einen ersten Anwendungsfall zu geben. Im Fall “Wiesn’ Schaustellerin gegen die Orsons” des Münchner Landgerichts (LG, Dezember 2017) wurde unseres Wissens nach zum ersten Mal in der Rechtsprechung auf das Urteil des BVerfG rekurriert.

Schaustellerin gegen Hip Hop Band

Konkret geht es um das Stück “Schwung in die Kiste” von Die Orsons, das im Februar 2015 auf dem Album “What’s goes” von Chimperator Records/Universal veröffentlicht wurde.

Zum Song selbst hier entlang: https://www.youtube.com/watch?v=AOekaSp2268

Laut diesem Bericht wurde der Song mehr als 200.000 mal verkauft und belegte Platz 23 der deutschen Singlecharts, das Album sogar Platz 2 der deutschen Albumcharts. Auch im Radio und auf Konzerten wurde das Stück kommerziell eingesetzt. Eröffnet wird das Lied von folgender Wortfolge, die eine Frau spricht: „Ja und jetzt, jetzt bring ma wieder Schwung in die Kiste, hey ab geht die Post, let’s go, let’s fetz, volle Pulle, volle Power, wow, super!“ Weitere Ausschnitte aus der Sprachaufnahme werden als rhythmisches Element über den Song hinweg als Loop eingesetzt.

Die gesampelte Frau klagte gegen die Plattenfirma der Orsons. Sie betreibt eine bekannte Kirmesattraktion auf dem Oktoberfest und beschuldigte die beklagte Band, Aufnahmen ihrer Stimme beim “Rekommandieren”, dem Anwerben und Anfeuern der Fahrgäste, ohne Genehmigung verwendet zu haben. Dabei hätten die Musiker ihre urheberrechtlich geschützten Textpassagen genutzt, ohne die dafür nötigen Rechte zu klären. Die Klägerin habe auf Grund der umfangreichen Nutzung den Eindruck, in dem Song das 5. Bandmitglied zu sein.

Die beklagten Orsons gaben an, sie hätten die Wortfolge von einer Sample Library kopiert, die sie 2007 auf CD erstanden bzw. 2015 nochmals digital heruntergeladen hatten. Sie gingen davon aus, dass die Rechte dafür geklärt seien. Außerdem stellten die Musiker den geringen prozentualen Anteil der beanstandeten Textelemente heraus (5% des Textes bzw. 8,2% der Dauer des Songs) und bezweifelten, ob die Aufnahmen überhaupt von der Klägerin stammen, da diese keine Leistungsschutzrechte geltend macht. Vor allem aber sei dies alles nicht relevant, da die beanstandeten Textzeilen die für einen Urheberrechtsschutz verlangte Schöpfungshöhe nicht erreichen würden.

Das Gericht gab den verklagten Musikern Recht, wies die Klage ab und attestierte ebenfalls mangelnde Gestaltungshöhe (Rn. 41). Dem Text der Klägerin fehle es an Individualität und Doppeldeutigkeit, auch die urheberrechtliche Regelung der “Kleinen Münze”, die die unterste Grenze gerade noch geschützter Werke markiert, würde nicht greifen, da dieser Begriff “nicht die Aufgabe habe, jede Abgrenzung überflüssig zu machen” (Rn. 43). Über diese Begründung hinaus verwies das Gericht mit Nachdruck auf die Kunstfreiheit, die mitunter — wie auch im Urteil zu “Metall auf Metall” — vor das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu stellen sei. Weil die Klägerin einer öffentlichen (Sprach)-Tätigkeit nachgeht, sei sie durch die Nutzung ihrer Stimme möglicherweise in ihrer “Sozialsphäre, nicht aber in ihrer Privat- oder gar Intimsphäre betroffen”. Beim Sampling aber gehe es um die “ästhetische Reformulierung des kollektiven Gedächtnisses kultureller Gemeinschaften” (Rn. 58), wobei das LG München hier direkt das BVerfG zitierte. Eine kunstspezifische Betrachtung rechtfertige hier also den Vorrang der Kunstfreiheit.

Einiges an dem Fall ist unseres Erachtens spannend, auf ein paar Punkte möchten wir daher noch gesondert hinweisen:

  • Aus der Mehrzahl der Sampling-Streitigkeiten ist bekannt, dass tendenziell eher Major Labels rechtlich gegen Sampling vorgehen. Auch in Stellungnahmen zum BVerfG plädierte bspw. der Bundesverband Musikindustrie für eine bessere Kontrolle Geistigen Eigentums und eine restriktivere Auslegung des Rechts zu Gunsten der Rechteinhaber. In diesem Fall ist es aber anders herum: Das beklagte Major zeigte, dass es sich mit den Argumentationen für das Sampling durchaus gut anfreunden konnte.
  • Obwohl “Metall auf Metall” derzeit vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verhandelt wird, wird das BVerfG als Grundlage für die Klageabweisung herangezogen. Hier fehlt uns vielleicht das rechtliche Know-How, aber es ist eine Tatsache, dass ein für sich noch nicht abgeschlossener Fall hier als Rechtfertigung genommen wird, einen anderen Fall abzuschließen. Das verdeutlicht die Strahlkraft der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
  • Die Klägerin kann keine Fixierung der eigenen Leistung vorweisen. Sie versucht also, eine Leistung oder Werk im Nachhinein rechtlich zu konstruieren. Die Frage, ob der Text in verschriftlichter Fassung (als modernes Gedicht oder in Form von als Hip Hop-) eine andere Einschätzung unterstützt hätte, liegt nahe.
  • Die geringe Schöpfungshöhe des Sprachwerkes: Im “Metall auf Metall”-Fall wird vorrangig das Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers bemüht. Es ist also keine Schöpfungshöhe erforderlich. Das unterstreicht wiederum die immanente Bedeutung der wirtschaftlichen Seite der Schöpfung bei “Metall auf Metall” und anderen ähnlich gelagerten Fällen von Mikro-Sampling.
  • Konstruktionen von Bedeutung/Relevanz haben entscheidenden Einfluss auf das Urteil. Während das Rekommandieren der Beklagten als banales Gerede bewertet wird, werden die Texte der Hip Hop Band als doppelbödig bezeichnet und damit als mehrebenenhaft besprochen. Die Konstruktion dieser Doppelbödigkeit, also dass im Text eine Ebene mehr steckt, als auf den ersten Blick erscheinen mag, scheint der zentrale Gradmesser zu sein, weshalb ein Text urheberrechtlichen Schutz genießt und ein anderer nicht.

Text: Konstantin Hondros (Uni Duisburg-Essen) und Georg Fischer (TU Berlin)

Dieser Beitrag erscheint als Crosspost auf “Creativity across Borders” (medium.com) und “Jäger und Sampler

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