Susis Continuous Deployment-Effekt

Geschichten von Menschen und Metriken

Eva Hallinger
DARCBLUE
4 min readFeb 7, 2020

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Picture by ProStockStudio via Shutterstock.com

Wie alles begann…

Ich treffe mich im Februar 2019 mit Susi in einem Café in München. Sie ist Scrum Master in einem Startup, das vor zwei Jahren mit einem Health Gadget an den Markt ging. Wir treffen uns regelmäßig, um uns auszutauschen und von den Erfahrungen des anderen zu profitieren. Susi erzählt von ihrem Alltag als Scrum Master und ich von den Erkenntnissen, die ich durch meine Tätigkeit als Beraterin in verschiedenen Kundenprojekten gewinnen konnte. Darüber hinaus sprechen wir über die Entwicklungen in der agilen Welt, über Methoden, Mindset, Werkzeuge, Prozesse, aber auch über agile Metriken.

Bei unserem letzten Treffen vereinbarten Susi und ich, dass wir uns auch einmal das Cumulative Flow Diagram (CFD) aus einem ihrer Projekte näher anschauen. Denn mit agilen Metriken befassen sie und ihr Team sich erst seit Kurzem. Seit längerer Zeit haben sie ein Störgefühl in Bezug auf den Arbeitsprozess. Welche Entwicklungen kann Susi erkennen? Wie können die Daten interpretiert werden? Wo sind mögliche Ansatzpunkte für Verbesserungen?

Das CFD liefert diverse Informationen und Hinweise. Entwicklungen und Muster können auf versteckte Probleme hindeuten. Der frische, neutrale Blick eines Außenstehenden kann bei der Detektivarbeit sehr hilfreich sein. Gemeinsam können Vermutungen diskutiert und Hypothesen formuliert werden. Das Interpretieren sowie die Ursachenforschung können aber die Menschen am besten, deren Projekt es betrifft.

Ich hole uns Kaffee, Susi breitet den Chart aus und beginnt über die aktuelle Situation zu erzählen. Die steigende Unzufriedenheit der Nutzer ist eine Herausforderung, mit der das Startup derzeit zu kämpfen hat. Das Nutzerfeedback fließt direkt in die Items im Backlog ein, dennoch besteht das Problem.

Gemeinsam blicken wir auf das CFD. Der Verlauf der hellblauen Linie (New) zeigt, dass konstant neue Backlog Items entstehen: ein kurzer Anstieg Ende Oktober, sowie ein Abflachen im Dezember — klar, das ist der Feiertagsblues. Susi erzählt, dass das Gadget Ende Oktober auf einer Messe vorgestellt wurde und dabei viele Ideen für zukünftige Features entstanden.

Abb. 1: Cumulative Flow Diagram — Februar 2019

Fertiggestellte, aber noch nicht ausgerollte Backlog Items werden durch die hellgrüne Linie (Ready for Deployment) dargestellt. Diese verläuft annähernd parallel zur hellblauen Linie (New).

Grundsätzlich ist es ein gutes Zeichen, wenn die Linie der neuen Items und die Linie der fertiggestellten Items in etwa die gleiche Steigung aufweisen. Das zeigt, dass das Team annähernd so viele Backlog Items umsetzt, wie neue hinzu kommen. Das Team fokussiert auf beides: Das Anlegen von Backlog Items, beispielsweise dem Schreiben und Verstehen von User Stories, ebenso wie auf das Fertigstellen.

Sie erzählt, dass es im letzten Jahr zwei Releases gab: eines im Juli und eines im Dezember. Dies kann man an den Stufen der dunkelgrünen Linie (Deployed) im CFD erkennen (s. rote Kreise).

Abb. 2: Cumulative Flow Diagram — Releasezyklen

Darüber hinaus scheint es, als hätten Susi und ihr Team weitere 500 Backlog Items zwar fertiggestellt, diese aber bisher nicht ausgerollt. Das kann beabsichtigt sein, kann aber auch Hinweise darauf liefern, an welchen Stellen noch Optimierungsbedarf besteht. Was sind die Hintergründe?

Abb. 3: Cumulative Flow Diagram — Backlog Items Ready for Deployment

Susi bestätigt mir, dass ursprünglich weitere Releases geplant waren. Im vergangen Jahr führten jedoch verschiedene Aspekte dazu, dass die Anzahl der Releases sich auf zwei beschränkte. Diese Aspekte waren u.a. technische Schulden, aber auch Änderungen an der Infrastruktur. Für das Team war das eine Belastungsprobe. Schließlich fließt viel Herzblut in das Gadget und all seine Features.

Zwei Monate später…

Susi und ich verabreden uns wieder im gleichen Café. Sie erzählt mir von turbulenten Wochen. Das Team habe sich nach einem Release im Februar 2019 für die Einführung von Continouous Deployment entschieden.

Gemeinsam schauen wir auf das neue CFD, um zu sehen, was sich in den letzten zwei Monaten getan hat.

Abb. 4: Cumulative Flow Diagram — April 2019

Die Veränderung im Linienverlauf zeigt ganz deutlich, dass alle Linien seit Februar gleichmäßiger verlaufen. Nicht nur die hellgrüne Linie (Ready for Deployment), sondern auch die dunkelgrüne Linie (Deployed) verläuft nun mit ähnlicher Steigung wie die hellblaue Linie (New). Susi erzählt, dass sich auch das Feedback der Kunden bereits verbessert habe. Fertiggestellte Features werden nun in regelmäßigen Abständen dem Kunden zur Verfügung gestellt.

Das sind sehr gute Neuigkeiten. Das Team scheint einen wichtigen Teil des Problems gelöst zu haben.

Fall erledigt, oder doch nicht?

Es gibt im CFD noch viel mehr zu entdecken. Denn vieles ist, wie ich in der Beratungspraxis erfahren habe, nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Nur durch kontinuierliche Auswertung, Interpretation und Umsetzung von Verbesserungsmaßnahmen lassen sich Zusammenhänge und Probleme im Prozess erkennen.

Susi und ihr Team wollen diese regelmäßige Auswertung in den Projektalltag integrieren. Denn trotz Continuous Deployment scheinen viele Features fertiggestellt, aber noch immer nicht ausgerollt zu sein. Es steckt wohl noch mehr dahinter. Die Gründe können vielfältig sein: Veraltete Features, die keiner mehr braucht. Features, die wegen technischer Gründe oder Abhängigkeiten nicht ausgerollt werden können. Features, die am Kundenbedarf vorbei entwickelt wurden. Oder ein ungepflegtes Backlog?

Aber das ist eine Geschichte für den nächsten Kaffee mit Susi. Und ich nehme Euch mit.

Eure Eva

Alle Abbildungen wurden mit dem Tool EazyBI dargestellt.

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Eva Hallinger
DARCBLUE

loves combining agile working methods with figures, dates, and facts.