Auf Kriegsfuß mit Technologie und Wandel

Tobias Knobloch
Das gute digitale Leben
9 min readMay 31, 2015

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Wie das Silicon-Valley-Geschäftsmodell Deutschland in Panik versetzt und die wichtigen Fragen übersehen lässt

Die Titelstory in der ZEIT kürzlich war nicht die erste, die sich mit dem auf technologischer Innovation beruhenden kalifornischen Kapitalismus auseinandergesetzt hat, und sicher nicht die letzte.

Das Stück von Uwe Heuser ist gut recherchiert und geschrieben, vermittelt aber trotzdem einen eher oberflächlichen Eindruck vom Denken der Weltveränderer des Valley. Das liegt an der deutschen Distanz zu diesem Denken, und das ist natürlich weltanschaulich, nicht geografisch zu verstehen. Weitere aktuelle Beispiele liefern die Süddeutsche Zeitung, die zu ihrem bevorstehenden Wirtschaftsgipfel gleich eine ganze Serie von Porträts und Essays zum Thema digitaler Wandel bringt, und der SPIEGEL, der Ende Februar diesen Titel des “Silicon Valley Reporter” Thomas Schulz brachte:

Wie die Frontalkritik an der Spiegel-Geschichte von Jeff Jarvis zeigt, prallen hier Welten aufeinander. und ich frage mich, warum dieser Aufprall so ungemein hart ist. Gut, wir Deutschen tun uns mit radikalen Neuerungen etwas schwer und vertrauen auf das Altbewährte. Wir glauben, dass Mercedes Benz und Siemens auch in den kommenden Jahrzehnten Garanten für wirtschaftliche Weltspitze sein werden, und das Internet ist für uns irgendwie noch ein unbekanntes Land, das uns manchmal Angst macht. Aber das ist nicht das Ende der Erklärung, sondern ihr Anfang.

In Deutschland herrschen Technologieskeptizismus und Datenschutzpanik vor, so dass der digitale Wandel nicht als Chance begriffen werden kann. Digitalgründer haben es hierzulande nicht umsonst schwerer als in Kalifornien — und zwar nicht nur wegen der fehlenden Milliarden. Hiesige Publizisten verteidigen ihre Pfründe mit Geschick und Chuzpe. Matthias Döpfners offener Brief an Eric Schmidt in der F.A.Z. vor einem Jahr ist ein Lehrstück des politischen Lobbying aus Wirtschaftskreisen heraus. Aus Sicht der Netzökonomie ist es durchaus richtig, dass die Wirtschaftsdinosaurier trotz eines sehr ungleichen Kräfteverhältnisses — der Börsenwert der dreißig wertvollsten Unternehmen des Silicon Valley beträgt das Zweieinhalbfache der deutschen DAX-30-Unternehmen — gefährlich sein können. Denn tatsächlich handelt es sich um eine sterbende Spezies, die ihren politischen Einfluss geltend macht und auch sonst alles in die Waagschale wirft, um ihren Tod abzuwenden oder wenigstens zu verzögern. Der Transhumanist und Google-Ingenieur Ray Kurzweil ist allerdings davon überzeugt, dass es rund die Hälfte der weltgrößten Unternehmen in 15 Jahren nicht mehr geben wird — und er hat schon manches Mal recht gehabt, zum Beispiel mit der Vorhersage selbstfahrender Autos oder dem Gewinn der Schachweltmeisterkrone durch einen Computer.

In Deutschland herrschen Technologieskeptizismus und Datenschutzpanik vor, so dass der digitale Wandel nicht als Chance begriffen werden kann.

Die Geschäftsmodelle des Silicon Valley sind aggressiv. Politik und gesellschaftliche Belange scheinen nur Stolpersteine zu sein, die es aus dem Weg zu räumen gilt. Aber kann man wirklich von einem “Wettrennen auf Leben und Tod zwischen Politik und Technologie” (Peter Thiel) sprechen? Zumindest die großen amerikanischen Technologieunternehmen haben erkannt, dass man die europäische Meinung nicht vollständig gegen sich haben sollte. In Deutschland werden Public-Policy-Stellen geschaffen und mit ausgewählten deutschen Medienhäusern — darunter DIE ZEIT — geht Google eine Partnerschaft ein, um nach Zukunftsmodellen für den Journalismus zu suchen.

Die Gründer, CEOs und Risikokapitalgeber des Valley denken groß, wollen am liebsten immer gleich die ganze Welt (zum Guten, wie sie sagen) verändern. Alles muss disruptiv sein, um einen Lieblingsausdruck des kalifornischen Kapitalismus zu gebrauchen. Alles neu erfinden, nicht bloß neu machen: Handel, Hotel, Personenbeförderung, Bank. Und dann am Ende raus auf’s Meer, auf schwimmende Städte, extraterritorial, extranational, in eine von reiner Technologievernunft getragene Opt-in-Gesellschaft.

Zugegeben: Das ist visionär, vielleicht auch ein wenig übergeschnappt, aber böse kann man das nicht ohne weiteres nennen. Andererseits braucht man keine schlechten Vorsätze, um Diabolisches ins Werk zu setzen. Bisweilen glaubt man naive, hochbegabte Kinder vor sich zu haben, die sich mit viel Taschengeld auf einem Jahrmarkt technoider Möglichkeiten austoben.

Gut herausgearbeitet hat diese Seelenlage, die immer auch ein biografisches Element und damit etwas sehr Profanes in sich trägt, Tad Friend im New Yorker an einer Lichtgestalt des Silicon Valley, dem Investor Marc Andreessen.

Nicht übersehen darf man zudem, dass die Führungsriege von Springer et al. in Wahrheit aus glühenden und etwas neidischen Fans der Silicon-Valley-Ökonomie besteht. Nachzulesen ist das etwa im gleichnamigen Buch von Christoph Keese, der bei Springer für den digitalen Wandel des Unternehmens zuständig ist. Hervorgegangen ist “Silicon Valley” aus einem Firmenaufenthalt in Kalifornien mit allem, was dazu gehört: Durch das Veranstalten eigener Gartenpartys (zum Knüpfen von Kontakten unerlässlich) lernten die Springer-Manager die Crème der amerikanischen Internetwirtschaft kennen — und schätzen. Keeses Vorträgen ist deutliche Begeisterung anzumerken. Mit Emphase empfiehlt er Deutschland ein gerüttelt Maß an kalifornischem Gründergeist, wenn es die Zukunft der digitalen Ökonomie bestehen wolle. Bei Springer wird das gleich vorexerziert: In einem konzerneigenen Haus im Valley atmen jährlich 20 Fellows diesen Geist, um ihn anschließend dem eigenen Unternehmen einzuhauchen. Es ist ein vielfach zu beobachtendes Phänomen, dass mit der Kritik an den Erfolgsunternehmen des Silicon Valley stets auch Neid einhergeht, auf welcher Ebene auch immer: entweder dass man nicht selbst eine Killer-Applikation erfunden oder dass man nicht auch eines jener vielversprechenden Filetstücke digitaler Wertschöpfung in der Konzernfamilie hat.

Ist es nun also ein Widerspruch, dass Matthias Döpfner öffentlich gegen Googles Macht wettert und seine Truppe gleichzeitig von den Verheißungen des Silicon Valley schwärmt und sagt, dass ein gerüttelt Maß des dortigen Geistes der deutschen Wirtschaft gut täte? Ich glaube schon, denke aber, dass jener “supercollider of contradictions” (Tad Friend in “Tomorrow’s Advance Man”) namens Internetwirtschaft selbst die Ursache dafür ist:

“a font of innovation that pools around conformity; a freedom train that speeds toward monopoly; a promoter of transparency that shrouds its own dealings; a guild that’s dedicated to flattening hierarchies, and that rewards its leaders with imperial power.”

In Europa gibt es nun seit längerem eine prominente Debatte um die Macht und angebliche Monopolstellung US-amerikanischer Technologiekonzerne. In ihrem Verlauf erhob der deutsche Wirtschaftsminister sogar die Forderung nach Zerschlagung der nach Weltherrschaft strebenden Internet-Giganten. Ein Beschwerdeverfahren der EU-Kommission gegen Google läuft inzwischen. Doch zu glauben, eine Zerschlagung von Google werde daraus folgen, ist wohl einigermaßen gewagt. Ich bin der Meinung, dass jenseits der Auseinandersetzung zwischen Technikphobie und Technikeuphorie die folgenden Punkte mehr Beachtung in der Debatte verdienen:

  1. Insgesamt gibt es zu wenig politisches Bewusstsein in der Internetwirtschaft, die zwar noch den Urgeist der linken Gegenkultur der 1960er und 1970er Jahre in sich trägt, die inzwischen aber schlicht eine milliardenschwere Industrie und alleine dadurch mächtig und einflussreich ist. Politik und Moral müssten in die Unternehmen hinein und weniger von außen als Keule an sie angelegt werden. Die Frage ist weniger, ob beispielsweise der Beförderungsvermittlungsdienst Uber sich zu Recht oder zu Unrecht in mancher Stadt, in manchem Staat mit den Behörden anlegt. Das Problem ist vielmehr, dass die Natur solcher Auseinandersetzungen die Internetunternehmen eigentlich gar nicht interessiert. “The business of business is business”, lautet ein Bonmot Milton Friedmans, jenes Stichtwortgebers der Reaganomics und des Thatcherismus. Und in der Tat sind viele Gründer erfolgreicher Internetunternehmen Libertäre im schlechten Sinne und geradezu autistisch auf den Erfolg ihrer Gründung fixiert, ohne sich genügend über die (möglichen) gesellschaftlichen Folgen Rechenschaft abzulegen. Aber gerne nochmal: Deshalb sind hier keine ausgemachten Schurken am Werk!
  2. Nicht nur die Netzunternehmen, sondern auch die Netzdebatte leidet darunter, dass sie das genuin Politische in weiten Teilen ausblendet und damit bestimmte Folgen ohne weiteres als unvermeidlich hinstellt, wie besonders Evgeny Morozov immer wieder betont. Allerdings genügt es nicht, das offenzulegen. Der Eindruck der Alternativlosigkeit ist nicht deswegen so stark, weil die Digitalunternehmen so geschickt lobbyierten. Vielmehr lebt das Geschäftsmodell von Google et al. von allgemeinen menschlichen Schwächen, die als solche nicht verschwinden werden. Zu diesem Schluss kommt auch eine die Bundesregierung beratende Monopolkommission. Mit anderen Worten verliert der Kunde genau deshalb seine Freiheit, weil er bekommt, was er will. Eigennutz und Anpassungszwang werden dafür sorgen, dass neue Technologien auch im 21. Jahrhundert nicht einfach verschwinden, nur weil sie auf individueller oder gesellschaftlicher Ebene vielleicht als gefährlich einzustufen sind. Neu ist das nicht, sondern eine Folge der Massengesellschaft, wie sie im 19. Jahrhundert entstanden ist. In ihr funktioniert vieles, ohne dass eine Verständigung über innere Ziele und Motive auf Ebene der Individuen stattfindet. Die Menschen stehen in funktionalen Zusammenhängen, in denen sie zentrale Elemente ihres Lebens nicht mehr selbst verhandeln, sondern verhandeln lassen (woher kommt mein Strom, wer legt die Glasfaser-Kabel, wer sorgt für Kita-Plätze etc.). Kurz und gut: Die Kritik an Google et al. unterstellt ein Steuerungsmodell, nach dem wir schon lange nicht mehr leben.*
  3. Apropos staatliche Lenkung: Der Fall Snowden hat gezeigt, dass Staaten mit unseren Daten nicht besser umgehen als Unternehmen. Man muss sich also fragen, wer nun unsere Daten verwalten soll, wenn wir sie Google et al., deren Geschäftsbasis unsere Daten sind, weggenommen und vergesellschaftet haben. Wenn jeder selbst darüber entscheidet, sind wir wieder beim Problem der menschlichen Schwäche (s.o.) — und damit bei Unternehmen, die diese ausnutzen. Wenn es eine Behörde tut, dann wird am Ende die Politik unsere Daten für Überwachung und Verhaltenssteuerung nutzen und sich dazu auf die gleiche Wohltätigkeitsrhetorik berufen wie Unternehmen, die damit Geld verdienen.*
  4. In weiten Teilen der Bevölkerung — nicht nur innerhalb der Politik, aber dort leider auch — herrscht weitgehende Unkenntnis bezüglich der Prinzipien und Mechanismen digitaler Wertschöpfung. Ich wage zu behaupten, dass 999 von 1.000 Menschen, die man zufällig auf der Straße befragt, auch nicht halbwegs adäquat erklären könnten, was Cloud Computing ist oder wie Big-Data-Analysen funktionieren. Gleichzeitig bestimmt beides den Alltag der Befragten zunehmend. Diese wachsende Diskrepanz ist nicht gesund. Wenn der geneigte Leser der Zeitung entnimmt, ein Cyber-Angriff aus der Ukraine hätte die Websites der Bundesreigierung lahmgelegt, wie vor kurzem geschehen, was stellt er sich dann darunter vor? Vielleicht einen Matrix-Bildschirm kaskadierender Nullen und Einsen, aber eine Ahnung von den tatsächlichen Zusammenhängen und Gefahren von Cyber-Kriminalität hat er sicher nicht. Wie also soll der ahnungslose Normalbürger — um ein weiteres Beispiel anzuführen — beurteilen, ob es goldrichtig oder schwachsinnig ist, dass das Unternehmen Uber höher bewertet ist als die Deutsche Bank? Neu ist auch das freilich nicht: Was wusste schon der durchschnittliche Mensch des Mittelalters vom Buchdruck oder der 20. Jahrhunderts von den Hintergründen der maschinellen Automation? Allerdings verfängt das nicht als Gegenargument. Erstens, weil ein Umstand nicht dadurch besser wird, wenn es ihn strukturähnlich schon einmal gegeben hat; und zweitens, weil die Kluft zwischen technologischer Entwicklung und öffentlich verfügbarem Wissen darüber dieser Tage in atemberaubender Geschwindigkeit wächst.

Niemals sollten wir die Menge an Aufgaben übersehen, die das Internet als solches der kritischen Reflexion stellt. Denn ohne diese und die notwendigen Schlussfolgerungen daraus könnte unsere Zukunft einen recht dystopischen Anstrich bekommen.

Die Kombination dieser vier Sachverhalte ist natürlich brandgefährlich. Vielleicht muss man zukünftig entlang einer Linie über diese Dinge nachdenken, die der Philosoph Peter Sloterdijk am Ende seines jüngsten Buches Die schrecklichen Kinder der Neuzeit (S. 476 ff.) andeutet:

“Vor allem hatten Deleuze und Guattari (in “Mille Plateaux” von 1980, Anm.d.Verf.) mit dem Konzept ‘Rhizom’ die flachen Raumbilder und die interaktiven, interdeliranten, interautistischen Sozialphantasmen der emergenten Internet-Weltkultur vorweggenommen. (…) Unter dem Namen ‘Rhizom’ hatten sie ein diffuses post-industrielles, von Wünschen, Gütern und Zeichenströmen durchpulstes Hyper-Proletariat heraufbeschworen, arbeitslos und werktätig, rebellisch und angepasst, im Zentrum lebend oder an der Peripherie, prostituiert oder autonom, prekär oder fest angestellt, neben dem die ‘Arbeiterklasse’ des Marxismus wie eine altehrwürdige Dynastie wirkte.“

Das Internet, jenes bisweilen begeisternde und dann wieder furchteinflößende Netz der Netze, sollten wir einerseits weiterhin optmistisch als Betätigungsfeld für viele sehr nützliche, Sicherheit, Beteiligung und Bequemlichkeit fördernde und meinetwegen auch reich machende Anwendungen betrachten. Aber wir sollten gleichzeitig erstens darüber nachdenken, ob wir bestimmte persönliche Datensätze gesetzlich unverfügbar machen sollten (niemand darf sie anderen geben, selbst wenn er das will). Zweitens sollten wir uns dem durch Digitaltools äußerlich bequem gemachten Leben immer dann verweigern, wenn der Preis dafür zu hoch ist. Drittens sollten wir auch im Digitalzeitalter auf Individualität beharren und persönliche Beziehungen pflegen. Und niemals sollten wir schließlich die Menge an Aufgaben übersehen, die das Internet als solches der kritischen Reflexion stellt. Denn ohne diese und die notwendigen Schlussfolgerungen daraus könnte unsere Zukunft einen recht dystopischen Anstrich bekommen.

*Bezüglich dieser Punkte danke ich meinem Kollegen Dr. Roger Fischer für Anregungen, die ich z.T. wörtlich übernommen habe.

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Tobias Knobloch
Das gute digitale Leben

Philosopher and Partner/CEO @ Civitalis.eu (Berlin) working on government innovation & data governance