Generation D

Tobias Knobloch
Das gute digitale Leben
7 min readJun 8, 2015

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Unser Verhältnis zur digitalen Welt ist gespalten wie wir selbst — wir sind die “Generation Dazwischen”

Ich bin Jahrgang 1975. Per Definition gehöre ich damit zur Generation X. Aufgewachsen inmitten von Ölkrise, kaltem Krieg, linkem Terror, hohen Zinsen und einem medieninszenierten Geiseldrama, das von einer Stadt im nördlichen Ruhrgebiet seinen Anfang nahm. Außerdem hat meine Generation die Barschel-Affäre, Terschonbyl und die Wiedervereinigung bewusst erlebt und wurde von diesen Ereignissen geprägt.

Vielleicht als eine Art Innenabkehr von alldem habe ich schon von Kindesbeinen an gerne geschrieben. In den 1980ern noch von Hand auf Papier. Unsere Commodore 128 haben wir nur zum Spielen und Tüfteln benutzt. Sonst waren wir viel an der frischen Luft. Im Wald, auf dem Fußballplatz — und später auf dem Skateboard, um einer pubertätsrevoltierenden Gegenkultur zu huldigen.

„BilHerd&DaveDiorio“ Das Original wurde von Bil Herd in der Wikipedia auf Englisch hochgeladen — Übertragen aus en.wikipedia nach Commons. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons

Apropos: An diesem Foto, das den Chefentwickler des Commodore 128, Bil Herd (rechts), zeigt, wird sehr schön die Kultur deutlich, aus welcher der Wandel des Digitalzeitalters hervorgegangen ist. Es ist eben jene fast schizophrene Mischung aus Hippie- und Unternehmertum, aus Respektlosigkeit (Disruption!) und Geschäftssinn. Heute vermisse ich den Commodore — ich weiß nicht mal, wo er abgeblieben ist. Hätte ich ihn noch, schlösse ihn sicher mal wieder an, um die pixeligen Spiele von damals zu spielen, am liebsten “Testdrive” und “The Last Ninja”.

Mitte der 1990er habe ich mir den ersten Laptop gekauft. Eine Workstation hatte ich nach dem Commodore nie, fand ich viel zu groß, zu laut und einfach furchtbar. Weil ich immer, zu Schul- wie zu Uni-Zeiten viel gejobbt habe, hatte ich immer genug Geld, auch für die jeweils neueste Technik. An den ersten Laptop kann ich mich gar nicht mehr richtig erinnern, der zweite war jedenfalls ein Texas Instruments mit amerikanischer Tastatur. Auf den Laptops habe ich fortan alles geschrieben: Hausarbeiten, Briefe, Prosa, Gedichte und Skizzen. Kürzlich erzählte ich einem Bekannten von einer meiner ersten Kurzgeschichten. Zu Hause wollte ich sie selbst noch einmal nachlesen. Dabei fiel mir auf, dass sie einzig auf einer 3,5-Zoll-Diskette lagert, die ich mit keinem meiner Geräte mehr auslesen kann. Ebenso verhält es sich mit den ersten Hausarbeiten. Ich habe einfach versäumt, sie rechtzeitig in anderer Form zu speichern.

Die Generation D ist eine Generation, für die Science Fiction eine Zeit lang realer als das echte Leben war, um später tatsächlich Realität zu werden.

Meine Frau ist Jahrgang 1979 und zählt damit per Definition bereits zur Generation Y. Tatsächlich gibt es einige feine Unterschiede zwischen uns, die sich am Alter festmachen lassen. Kenntnis oder Unkenntnis gewisser Serien. Hat man “A-Team” geguckt oder nicht? Kennt man “Dallas” und “Denver Clan”? Ist “Formel eins” nur mit Autorennen oder auch mit Musik konnotiert? Doch es überwiegen die Gemeinsamkeiten, die uns in Sachen Umgang mit Technik bisweilen mitleidig auf einen in den 1960ern Geborenen und neidisch auf den Ditital Native blicken lassen. Wenn ich die Beobachtung nicht-repräsentativ weiter auf den Bekanntenkreis ausdehne, dann gehören sowohl die späten X-er als auch die frühen Y-er nicht so recht zu ihren Generationen. Vieles passt einfach nicht, und dieses nicht Passende eint uns.

“GenerationX” by Source. Licensed under Fair use via Wikipedia

Die späten X-er sind einerseits richtige X-er. So habe ich auf einem Golf 2 das Fahren gelernt und mein erstes eigenes Auto war noch ein Käfer. Andererseits haben wir aber auch Züge von Digital Natives. Wir haben keine Berührungsangst vor Technologie, umgeben uns mit dem jeweils Neuesten und können damit schnell nutzbringend umgehen. Aber wir kennen auch noch eine Welt, die nicht ganz von Technik durchdrungen ist. Langweilige Sonntage und Fernsehserien, die irgendwann liefen und irgendwann wiederholt wurden, die aber niemals jederzeit abrufbar waren. Wir haben schon programmiert, als ein vernünftiger Personal Computer gerade so erschwinglich war. Aber wir haben auch Wochen am Stück verbracht, ohne ihn einmal hochzufahren, weil wir Besseres zu tun hatten. Wir haben uns analog verliebt, Briefe geschrieben und der Angebeteten vor ihrer Haustür aufgelauert, um einen Blick zu erheischen, statt SMS zu schreiben und in Sozialen Netzwerken zu flirten. Wir haben die Einführung der CD erlebt, besitzen aber aus der Zeit davor noch Platten und jede Menge Tapes, die wir mühevoll aufgenommen und liebevoll gemixt haben. Wir sind mit unseren Eltern mit dem vollgepackten Auto in den Süden gefahren, als wir Kinder waren, und haben später die Welt mit dem Flugzeug erobert, als wir gerade erwachsen waren.

Die Generation D ist eine Generation, für die Science Fiction eine Zeit lang realer als das echte Leben war, um später tatsächlich Realität zu werden. Den ersten Krieg-der-Sterne-Film habe ich in einem Kino im Ruhrgebiet gesehen. Das war auf der Rückreise von einem Fotoshooting, bei dem ich für einen Nachtwäschehändler (Globalisierung!) in Schlafanzügen Modell gestanden habe. Der Kinobesuch war mein Honorar. Vor der Tür des Studios parkten die Sportwagen der echten männlichen Models, was mich beeindruckte, denn natürlich habe ich damals Don Johnson in “Miami Vice” bewundert. Eine Ikone der nach Schweiß, Alkohol, Blut und Zigaretten riechenden vordigitalen Ära, die noch heute unseren Flur ziert.

Gerahmte Spiegelfotografie im Flur unserer Wohnung in Berlin-Friedrichshain (eigenes Foto)

Später kam die Begeisterung für Star Trek. Toll, was Technik dort alles ermöglichte, und damit meine ich nicht die großen Dinge wie Zeitsprünge, das Reisen mit Überlichtgeschwindigkeit und zerstörerische Waffen. Übertragbar auf das damalige Leben schienen vor allem die ‘kleinen’ Dinge, der Replikator, der Tricorder, der Beamer. Genau aus diesem Grund erinnere ich mich noch sehr gut an den Moment, als ich dem iPhone zum ersten Mal begegnete. Als ich dem Technik-Business infolge des Platzens der Blase “New Economy” längst den Rücken hatte kehren müssen und in die Wissenschaft abgetaucht war, traf ich mich mit dem ehemaligen Chef der Web-Agentur, für die ich nach dem Studium für ein paar ereignis- und lehrreiche Jahre gearbeitet hatte. Der hatte die Selbständigkeit inzwischen drangegeben, war freier Programmierer bei RWE und verdiente dort — obwohl er keinen Uni-Abschluss hatte — Berge von Geld. Einfach weil er mehrere Programmiersprachen beherrschte und auch strategisch was draufhatte. Nach ein wenig Geplauder zog er das iPhone aus der Tasche und sagte, dass das alles verändern werde. Ich ließ mir die Funktionen zeigen und brauchte nicht lange, um zu erkennen, dass ich tatsächlich einen Game Changer vor mir hatte, und dass wir mit diesem Beinahe-Tricorder am Beginn einer technologischen Revolution standen. Inzwischen können wir uns alle sicher sein, dass es der Beginn des “Second Machine Age” war.

„Original iPhone docked“ von Andrew from London, UK — 16GB iPhone. Lizenziert unter CC BY-SA 2.0 über Wikimedia Commons

Das iPhone verband Mobiltelefon und Computer. Es machte aus zwei Game Changern einen Hyper-Game-Changer. Sehr gut erinnern kann ich mich auch an mein erstes Mobiltelefonat in den frühen 1990ern über das C-Netz-Autotelefon meines Onkels, der als Architekt nach der Wende eine Zweigstelle im Osten eröffnet hatte und daher erreichbarer als andere sein musste. Auch hier war ich mir sofort sicher, dass diese Technologie früher oder später mein Leben grundlegend verändern würde.

Heute lebe ich — wieder, muss ich nach meiner Agenturerfahrung im Web 1.0 sagen — vom Umgang und mehr oder weniger geschickten Einsatz von Kommunikationstechnologie. Ich mache Online-Kommunikation für ein Bundesministerium. Dort können wir aus dem Vollen schöpfen. Es gibt inzwischen all diese erprobten Plattformen und Netzwerke und wir könnten, wenn wir wollten und es sinnvoll wäre, überall mit schicken Präsenzen vertreten sein. Sind wir aber nicht. Es hat eine Weile gebraucht, bis wir verstanden haben, was für uns zielführend ist. Mittlerweile konzentrieren wir uns auf professionelle Filme, einen Twitterkanal und Kampagnen, weil wir darüber relativ günstig viele Menschen mit unseren Botschaften erreichen. Für eine Behörde war das Web 2.0 eben eine ganze Weile länger Neuland als für Unternehmen.

Irgendwie hört für die Generation dieser ganze Digitalkram nie auf, Neuland zu sein. Es ist ein Land, in dem wir frühe Immigranten waren. Aber wir haben unsere Erinnerung. Wir haben das nur-analoge Leben nie wirklich gelebt, aber wissen dennoch aus eigener Anschauung, wie es sich anfühlt.

So geht es auch der Generation D. Irgendwie hört für sie dieser ganze Digitalkram nie auf, Neuland zu sein. Es ist ein Land, in dem wir frühe Immigranten waren. Aber wir haben unsere Erinnerung. Wir haben das nur-analoge Leben nie wirklich gelebt, aber wissen dennoch aus eigener Anschauung, wie es sich anfühlt. Als einigendes Element dieser keineswegs homogenen Gruppe kann auch die lange Regierungszeit Helmut Kohls begriffen werden. Der Begriff “Kanzler” ist für uns fest mit dem Namen Kohl verbunden — bis heute, da es sich mit dem Begriff “Kanzlerin” und dem Namen Merkel inzwischen ähnlich verhält. Kohls Dauerherrschaft gründete sich bekanntermaßen auf sehr klassische Mittel der Kommunikation und Netzwerkpflege — das Telefon und den Brief — und ist insofern auch für das Thema Digitalisierung und Politik sehr interessant.

Die Generation D spielt eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, das, was wir “Digitalen Wandel” nennen, zu reflektieren und mitzugestalten. Wandel ist etwas, das etwas von einem Zustand in einen anderen überführt. Wir, die Mitglieder der Generation D, kennen beide Welten, die analoge und die digitale, sehr intim. Und wir sind zwangsläufig geübt im Ausloten der Zwischenräume. Weil wir sie bewohnen, sie sind unser Zuhause. Wir sind “Anadigis” im besten und zugleich schlechtesten Sinn. Aber wir kommen klar. Und wir haben zu diesem Thema viel zu sagen. Fragt uns, widersprecht uns, redet mit uns. Wir stehen bereit für den Dialog über das gute digitalanaloge Leben.

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Tobias Knobloch
Das gute digitale Leben

Philosopher and Partner/CEO @ Civitalis.eu (Berlin) working on government innovation & data governance