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Das Leben ist ein Erdbeben und ich stehe neben dem Türrahmen

Der Debütroman von Fabian Neidhardt. In einzelnen Kapiteln und mit Autorenkommentar.

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12 min readJul 18, 2014

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Und nun waren wir im Haus meiner Schwester, der Flur voller Dreckspuren und Sara unter dem Türrahmen.

„Um elf Uhr bist du draußen.“

Die Uhr zeigte 10:04 Uhr. Ich wusste, ich konnte sie nicht umstimmen. Sara schnaubte, drehte sich um und schlug die Tür zu. Ich wechselte gerade meine Boxershorts, als Emma hereinkam. Mit einem Hechtsprung verschwand ich hinter die offene Schranktür, doch die Kleine schien sich kaum dafür zu interessieren.

„Onkel Willi, gehst du schon wieder?“

Ich hörte das Telefon klingeln.

„Ja, ich muss.“

Ich konnte mit Kindern nicht umgehen, hatte auch nie Interesse daran gezeigt, wie sollte ich das also Saras Tochter erklären? Ich zog mir hastig eine Hose an und hörte Sara ans Telefon gehen.

„Warum?“

Ich schlüpfte in ein Mets-Shirt, das mir mal eine Chinesin geschenkt hatte, die ich in New York kennengelernt hatte. Aber das ist eine andere Geschichte. Ich merkte, dass der Anrufer sich mit Sara stritt.

„Na ja, deine Mama hat sich doch nicht so gefreut, mich zu sehen.“

Ich hörte, wie Sara wütend den Hörer auf das Telefon knallte.

„Und du hast das ganze Haus dreckig gemacht.“

Einen Koffer hatte ich noch nicht einmal aufgemacht, in den anderen stopfte ich die Klamotten, die ich gestern angehabt hatte. Sie stanken nach Rauch. Kurz erinnerte ich mich daran, warum ich eigentlich Nichtraucher war.

„Emma, geh in dein Zimmer.“

Ich sah auf. Ich hatte nicht bemerkt, wie Sara ins Zimmer gekommen war.

Sie schloss die Tür hinter der Kleinen und lehnte sich dagegen.

„Will, mein Chef hat gerade angerufen. Irgendjemand ist ausgefallen und nun muss ich für ungefähr zwei Wochen weg, ich soll eine Reportage über die Choreographie von Tanzbären schreiben.“

Nein, das hat sie natürlich nicht gesagt. Ich weiß auch nicht mehr genau, was sie gesagt hat und weshalb sie weg musste, jedenfalls musste sie weg. Und es widerstrebte ihr selbst, doch sie brauchte jemanden, der auf ihre Kinder aufpassen würde.

Obwohl Sara jeden Mann hasste, hatte sie sich dreimal von ihnen schwängern lassen. Das erste Mal wurde sie mit 18 schwanger. Es kam nie etwas Genaues raus, aber ich vermute, dass Lukas der Vater von Martin ist. Martin ist wahrscheinlich der einzige Mann, der Sara richtig am Herzen liegt. Mit seiner Männer hassenden Mutter hatte er wirklich eine schwere Kindheit.

Knapp ein Jahr nach der ganzen Geschichte, ich hatte wieder eine feste Freundin, bei der ich eingezogen war, war Martin oft wochenlang bei uns. Er hat es sehr genossen, aus dieser Welt herauszukommen, die aus meiner Schwester, seinen beiden Schwestern und den Freundinnen seiner Mutter bestand. Ich glaube, manchmal habe ich seinen Vater ersetzt. Er erzählte mir von seiner Freundin. Dass er mit ihr schlafen möchte und was er nun tun soll. Stundenlang haben wir geredet, erst am Telefon und dann in den Ferien, als er uns mal wieder besuchen war. Wir saßen am Küchentisch, mein 17-jähriger Neffe mir gegenüber, wir beide einen Kaffee in der Hand, und unterhielten uns über Frauen. Interessant wurde es dann, als Eva, meine Freundin, dazukam. Sie war noch geschäftlich essen gewesen und gerade nach Hause gekommen. Sie setzte sich auf meinen Schoß und fragte, über was wir gerade sprachen. Martin sah mich herausfordernd an. Ich schüttelte meinen Kopf. Eva sah erst mich an, dann blickte sie zu Martin und wieder zu mir herüber.

Kommt schon, sagt mir, über was ihr redet, ich komme gerade von einem langweiligen Essen. Ich habe den ganzen Abend über Schulen geredet. Gebt mir etwas Spannendes.“

Martin, sollen wir’s ihr sagen?“

Martin blickte zweifelnd hoch und Eva nickte stürmisch.

Aber nur, wenn du uns ein paar Fragen zu dem Thema beantwortest, oder, Martin?“

Jetzt war Eva unsicher und Martin nickte lächelnd. Doch ihre Neugier war stärker.

Sagt schon, so schlimm kann’s gar nicht sein“

Martin erzählte von seiner Freundin Tabea, wie sehr er sie liebte und seiner Unsicherheit. Und dann fragte er Eva, was er machen sollte und wie ihr erstes Mal gewesen sei. Eva wurde ganz still.

Wollt ihr das wirklich hören? Ist keine romantische Geschichte.“

Komm schon, Eva, ich habe ihm auch schon meine Geschichte erzählt.“

Sie seufzte.

Mein erstes Mal war nicht wirklich schön. Wisst ihr, ich war ein Spätzünder. Ich war 19 und hatte gerade meinen Abschluss gemacht. Und der war grottenschlecht. Ich war am Boden zerstört. Wir waren dann alle auf dieser Party, um unser Abi zu feiern. Und da war auch dieser Kotzbrocken aus unserem Jahrgang. So ein Wichser! Ihr kennt solche Leute bestimmt, die saufen wie die Weltmeister, legen Mädchen flach und behandeln sie danach wie Dreck. Wir waren also auf dieser Party und ich hatte schon viel zu viel getrunken und dann kommt er zu mir rüber und setzt sich zu mir und wir reden. Ich habe mir dann eingeredet, so schlimm ist er ja gar nicht. Und dann irgendwann sind wir spazieren gegangen. Im Wald hinter der Hütte, in der wir gefeiert haben. Wie gesagt, ich war betrunken und plötzlich küsst der Typ mich. Und erzählt mir, dass ich etwas ganz Besonderes sei. Dazu kam dann, dass ich für mich selbst dachte, das kann doch nicht sein, ich bin 19 und noch Jungfrau! Und so ging es Schlag auf Schlag und dann zieht er mich vom Weg in den Wald und küsst mich und meint, ob ich mir denn sicher sei. Ich war alles andere als das. Ich war einfach besoffen und fertig wegen meines Abschlusses und wollte keine Jungfrau mehr sein. Ich sage ihm, ich bin mir sicher, da macht er schon meine Hose auf und zieht sie mir über die Hüfte. Er küsst mich, legt mich auf den Waldboden und zieht seine eigene Hose aus. Und schon bin ich entjungfert. Ich habe den Typen nie wieder gesehen, nur sein Gerede über mich habe ich mitbekommen. Das halbe Jahr danach habe ich mir vorgemacht, dass es gar nicht so schlimm war, aber dann wurde mir klar, dass es eigentlich richtig scheiße war und nicht hätte sein müssen. Mein zweites Mal wurde nichts.“

Nun lachte sie wieder. Erstaunlich, wie schnell sie von einer unangenehmen Erinnerung zu einer lustigen Erinnerung sprang.

Ich war im Urlaub auf Hawaii und da war dieser Junge, der einfach super aussah. Und am Ende meines Urlaubs lagen wir am Strand und ich hatte meine Hand in seiner Hose. Plötzlich höre ich eine Gitarre und eine Gruppe von Jugendlichen kommt auf uns zu. Und der Typ springt auf und rennt zu ihnen und was stellt sich heraus? Seine Freundin war bei der Gruppe. Jetzt kann ich darüber lachen. Doch zu dem Zeitpunkt dachte ich: Sag mal, komme ich nur an Idioten?“

Nun lachten wir alle. Ich küsste meine Freundin und merkte, dass sie noch zitterte. Ihr Erlebnis hatte sie wohl mehr getroffen, als sie vorgab. Martin dagegen war das Zuhören anfangs peinlich gewesen, doch dann war er interessiert. Und ich? Ich musste mich anstrengen, meine Erregung vor Eva zu verbergen. Klar war das kein angenehmes Erlebnis für sie, aber die Vorstellung, mit einem Mädchen im Wald zu schlafen, hatte schon ihre Reize. Irgendwann erzählte ich Eva davon und sie war auch nicht abgeneigt. Aber das ist eine andere Geschichte. Martins Problem war noch nicht gelöst.

Und jetzt soll ich dir raten, was du mit Tabea machen sollst?“

Er nickte.

Du bist noch Jungfrau. Und sie auch?“

Nochmals ein Nicken.

Lass ihr Zeit. Viel Zeit. Und dir selbst auch. Lass dich von keinem beeindrucken, nur weil er schon mit einem Mädchen geschlafen hat. Ihr seid beide unerfahren. Macht euch das klar. Ihr macht bestimmt Fehler, aber das gehört dazu. Lacht darüber. Ihr müsst nicht perfekt sein. Die peinlichen Erlebnisse, die nur ihr Zwei kennt, sind die, über die ihr später am meisten lachen werdet.“

Sie hatte Recht.

Als ich Penelope kennenlernte, war schon unser erstes Zusammentreffen eine witzige Begegnung. Ich kam gerade von einem Friseur und ging schnell die Straße entlang, als plötzlich die Tür von einem BMW aufging und ein Mädchen ausstieg. Ich prallte mit ihr zusammen und wir beide lagen auf dem Boden. Ich stammelte eine Entschuldigung, half dem Mädchen auf und ging weiter. Dann rief sie mich plötzlich. Ich kam zurück und fragte, was los sei.

Ich habe gerade mit meinem Freund Schluss gemacht, der Banker hier in seinem Scheiß-BMW. Nachdem du mich so umgerannt hast, könntest du mich doch zum Essen einladen.“

Ich war perplex und wusste nicht, was ich sagen sollte, als plötzlich ein Polizist hinter mir stand und fragte, ob es Probleme gäbe. Ich konnte nur stottern und meinte, nein, ich wollte dieses Mädchen nur zum Essen einladen, weil ich sie umgerannt hatte. Während ich redete, ging auch noch die Scheibe von dem BMW runter und ich erntete böse Blicke vom Banker, denn er traute sich nicht, etwas zu sagen. Dann fuhr er davon und der Polizist wünschte uns einen guten Appetit. Penny lächelte, hakte sich bei mir unter und zog mich weiter. Und nach dieser Nacht sah und hörte und roch ich Penny in allem, was mir begegnete. Wir lagen gemeinsam im Bett. Ich stülpte mir das Kondom über und kurz nach dem Eindringen platzte es. Schnell das zweite geholt, und es platzte wieder. Aber aller guten Dinge sind ja drei und so zog ich mir das dritte Kondom über, doch auch das wollte nicht halten. Ich wusste nicht, ob ich weinen oder lachen sollte. Doch Penny lachte nur, hielt mich im Arm und meinte:

Och Will, ich liebe dich trotzdem.“

Eine Nacht später lagen wir wieder nackt beieinander und Penelope sah mich mit ihren wunderschönen Augen an.

Der vierte Versuch klappt.“

Und sie hatte Recht.

Sieben Jahre nach Martins Geburt wurde Sara wieder schwanger. Der Vater ist ein Kerl namens Peer. Pilot. Verteilt seine Samen auf der ganzen Welt. Und übernimmt keine Verantwortung. Martins Schwester heißt Violet. Als sie acht war, bekam sie einen Brief von einem Halbbruder. Ihr Vater war gestorben und der Bruder hatte im Nachlass die Adresse und eine Kopie der Geburtsurkunde von Violet gefunden. Er schickte ihr einen ganzen Haufen Geld und ein Bild von ihm und ihrem gemeinsamen Vater. Dieses Bild hängt nun über ihrem Bett und sie pflegt regen Schreibkontakt zu ihrem Bruder, obwohl Sara dagegen ist. Ja, und nun fehlt nur noch Emma. Emma ist drei Jahre jünger als Violet und ist das Kind von Sam.

Keine Ahnung, wie das passiert ist. Sara erzählt nichts und Sam selbst weiß nichts davon. Sara meinte, lieber keinen Vater als Sam. Emma weiß auch nichts. Niemand weiß es, außer Sara und mir. Ich weiß es auch nur, weil ich aus Versehen einmal ihre Aufschriebe gelesen habe. Und wenn es nach Sara ginge, sollte das auch so bleiben.

Martin, Violet und Emma, zu dem Zeitpunkt 16, neun und sechs Jahre alt, sollten nun unter meine Obhut gestellt werden. Dann doch lieber in meine als in fremde Hände. Ich sah meine Schwester erschrocken an. In meinem Kopf spielten sich schreckliche Szenarien ab, wie ich mit Kindern spielte. Oder sie mit mir. Schon der Gedanke daran ließ mich schaudern.

„Sara, das kann nicht dein Ernst sein! Das kannst du mir nicht antun!“

„Wenn, dann kann ich das meinen Kindern nicht antun. William, sie beißen nicht. Es sind nur Kinder!“

„Nur!? Sara, ich kann Kinder nicht ausstehen!“

Eigentlich hatte ich keine Wahl. Entweder ich kümmerte mich um das Haus und um die Gören und hatte ein Dach überm Kopf, oder eben nicht. So kam es, dass mein Auszug verschoben wurde, bis Sara wieder zu Hause war.

Sara hatte dennoch kein wirkliches Vertrauen in meine Fähigkeiten als Mensch und Babysitter. Verständlich, nicht einmal ich hatte das! Sie notierte meine Rechte, die sehr wenige waren. Meine Pflichten, von denen es viele gab, und meine Verbote, von denen noch mehr existierten, schrieb sie auch auf eine Liste. Diese Liste hing an der Kühlschranktür und reichte fast bis zum Boden. Dann bläute sie den Kindern ihre Handynummer ein und dass sie auf mich aufzupassen hatten. Besonders die beiden Mädchen freuten sich und versprachen, artig zu sein. In meinen Ohren hörte sich das nach einer Drohung an.

Kurz darauf verabschiedete sie sich intensiv von ihren Kindern, sah mich böse an und sagte:

„Mach nichts Dummes, Will.“

Dann schloss sie die Tür.

„Ja, ich wünsche dir auch eine schöne Zeit, Sara! Komm gesund wieder.“

Martin legte seine Hand auf meine Schulter. Er war zwar erst 16, aber schon genauso groß wie ich.

„Sie meint es nicht ganz so, wie sie es sagt.“

Emma sah hoch.

„Aber fast.“

Violet stimmte ihr zu. Na toll. Vielleicht sollte ich doch Sam nach einem Job für mich fragen.

Mein erster Gang war der an die Liste, um zu sehen, was ich durfte und was nicht. Ich durfte die Kinder ins Bett und in die Schule bringen, das Haus sauber halten und schauen, dass etwas zu essen im Haus war. Und noch ein bisschen mehr.

Verboten war Fernsehgucken, Alkohol im Haus, Freunde mitbringen, Frauen im Haus, nachts laut sein, den Plattenspieler benutzen, irgendeine meiner Pflichten vergessen, immer noch die Wäsche im Haus waschen und noch einige mehr. Ich sah auf die Uhr. Es war Zeit für ein kühles Bier und ein Fußballspiel im Fernsehen. Doch beim Blick in den Kühlschrank dämmerte mir, was sich kurz darauf bestätigte. Sara hatte dafür gesorgt, dass ich die Verbote so wenig wie möglich brechen konnte. So setzte ich mich mit Apfelsaft vor den Fernseher. Die Batterien der Fernbedienung schienen erst leer zu sein, doch ein Blick unter die Abdeckung zeigte mir, dass sie gar nicht vorhanden waren. Auch das Drücken auf den Knopf direkt am Fernseher brachte die Kiste nicht zum Flimmern. Sara hatte vorgesorgt. Das Stromkabel und das Fernsehkabel waren verschwunden.

Ich konnte mir Sams Handy vorstellen, wie es in der Tasche seiner achtlos in die Ecke geworfenen Jeans vibrierte und er durch seine Wohnung rannte und es suchte. Irgendwann klickte es.

„Ja?“

„Donald, ich bin’s, Goofy. Wie geht’s dir?“

„Willssu die gute oder die schlechte Nachricht zuers hören?“

„Die gute.“

„Also, ich bin in nem fremden Bett aufgewacht und ich hab keine Kopfschmerzen.“

„Aha, ich schon. Was ist die schlechte Nachricht?“

„Die Frau, die neben mir lag, war nicht die süße Bedienung aus der Bar.“

„Sondern?“

„So ne Russin, die hat ganz gelbe Zähne und Finger! Ich hab dann schnell meine Sachen gepackt und bin verschwunden, bevor sie aufgewacht is.“

Sprach er von der Frau, die mir Feuer gegeben hatte? Das wäre selbst für Sam ein neues Niveau.

„Wie hast du das geschafft?“

„Keine Ahnung, Goofy. Ich weiß noch, dass ich wieder in die Bar gekommen bin und mich an den Tresen gehockt hab. Und dann hab ich mit dem Barkeeper geredet und gemeint, ob er denn nicht der süßen blonden Bedienung meine Nummer geben will. Der Typ schaut an mir vorbei und meint: ‚Die da?‘

Ich nicke und er sagte: ‚Das ist meine Freundin.‘ Was danach passiert ist, keine Ahnung.“

So etwas passierte Sam andauernd. Wir verabredeten uns in einer halben Stunde in einem Pub in Bad Cannstatt. Ich kniete gerade in der Garderobe und band mir die Schnürsenkel, als Violet vor mir stand.

„Onkel Willi?“

„Hm?“

„Wann machst du denn die Flecken wieder aus dem Teppich?“

Ich sah mir den Teppich mit meinen Spuren an. Das würde Stunden dauern.

„Das mache ich morgen, in Ordnung? Wenn ihr in der Schule seid und ich meine Ruhe habe. Wenn ihr wiederkommt, ist alles blitzsauber.“

„Und wer bringt mich und Emma ins Ballett?“

Ich sah Violet ungläubig an. Aus meiner knienden Position musste ich zu ihr hinaufschauen und wie sie so auf mich herunterblickte, erinnerte sie mich sehr an ihre Mutter und an deren Drohungen.

„Findet ihr den Weg nicht selbst?“

Wortlos zeigte sie auf die Liste am Kühlschrank. Dort stand geschrieben, ich MÜSSE die beiden Gören auf JEDEN FALL immer zum Ballett begleiten, weil sie auf dem Weg eine große Straße überqueren müssten und sie das allein noch nicht schafften.

Mit meinen beiden Nichten an der Hand wurde ich zum Ballett geführt. Von außen sah das Haus ziemlich unscheinbar aus, doch im Inneren befand sich hinter den Duschen und Umkleidekabinen ein riesiger Saal. Jede Seite war verspiegelt und mit einer Stange versehen.

„In einer Stunde holst du uns wieder ab?“

Mitten im Raum viele blau angezogene Mädchen. Ich dachte an mein Bier, das schon mit Sam auf mich wartete.

„Ja, klar.“

Dann kam eine Frau herein, auch einen Gymnastikanzug an. Aber in Schwarz. Ein supersüßes Gesicht.

„Du kannst jetzt gehen, Onkel. Aber sei in einer Stunde wieder da.“

Ja, das würde ich. Diese Frau und vor allem dieses Gesicht wollte ich noch mal sehen.

Ich kam anderthalb Stunden später als geplant in den Pub. Doch Sam schien das nicht gestört zu haben. Neben ihm saß ein Mann mit Hornbrille aus den Achtzigern und langen, verfilzten Haaren. Spindeldürr, bleich, große viereckige Augen und ein Buckel. Ein Mensch, der tagelang nicht aus dem Haus gehen muss. Ein Mensch, für den die Welt in Ordnung ist, solange sein Computer läuft.

„Hey Goofy. Setz dich. Das hier is Harald.“

Ich setzte mich.

„Harald is Computercrack. Ich hab ihn mal im Netz kennengelernt und seitdem hilfter mir manchmal bei meim Shop. Er kommt später noch mit zu mir.“

Harald sah mich an. Beide Hände lagen auf dem Tisch und er trommelte mit den Fingern andauernd lautlos auf die Tischplatte, als ob er eine unsichtbare Tastatur bedienen würde. Vielleicht schickte er mir gerade ein Smiley.

Als mein Bier gebracht wurde, bestellte Sam für uns drei gleich noch mal eine Runde.

„Nein, ich will nicht mehr, ich muss gleich wieder los. Meine Nichten vom Ballett abholen.“

Sam grinste schadenfroh, Harald schaute eher so, als wüsste er nicht, was Ballett genau war. Aber das konnte er später bei Wikipedia nachschauen.

„Warum mussu Saras Kinder abholen? Is das die Entschädigung, damit du bei ihr wohnen darfs?“

Sam wusste noch nichts von den Vorfällen am Morgen. Woher auch. Also erzählte ich ihm alles.

Weiterlesen? Auf mokita.de kannst du den gesamten Roman lesen. Als kostenlose PDF, als eBook oder als gedruckte Ausgabe. Die Autorenkommentare gibt es aber erstmal nur hier.

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Der Debütroman von Fabian Neidhardt. In einzelnen Kapiteln und mit Autorenkommentar.

Fabian Neidhardt
Fabian Neidhardt

Written by Fabian Neidhardt

Straßenpoet, Sprecher & Botschafter des Lächelns.