Plakat mit der Darstellung einer explosion in Warschau. Quelle: Zentralarchiv Warschau.

Angst als Waffe

Terror und Terrorismus

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9 min readSep 7, 2017

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Von KAI SCHMIDT

Spätestens mit den massiven militärischen Erfolgen des sogenannten Islamischen Staats fanden sich im Westen zahlreiche selbsternannte Realpolitiker, die forderten, man müsse mit dem Regime von Präsident Assad im Kampf gegen den Terror kooperieren. Assad selbst behauptet seit Beginn des bewaffneten Aufstands gegen sein Regime, dass er sein Land gegen den Terror verteidigen müsse. Er rechtfertigt so seinen bewaffneten Kampf gegen sämtliche Oppositionsgruppen.

Dabei könnte man Assad selbst als Terroristen bezeichnen, auch wenn er keine klassischen Anschläge verüben lässt. Sein Regime war und ist selbst ein Terrorregime. Doch unser mittlerweile sehr eingeschränktes Verständnis von Terror lässt es zu, dass die Zusammenarbeit mit einem Terrorregime gegen den Terror gefordert werden kann, ohne dass dieser innere Widerspruch die Forderung sofort in sich zusammenfallen ließe. Daher wird im Folgenden das Phänomen Terror in seiner gesamten Bandbreite beleuchtet und Erklärt, was der Begriff Terrorismus meint und warum er nur ein Teil des Phänomens Terror ist.

Scharfschütze der syrischen Armee. Immer wieder geraten auch Zivilisten in das Visier der Scharfschützen. Quelle: Wikipedia

Terror ist eine mittelbare Art Gewalt auszuüben, die jedoch einen gewissen Grad unmittelbarer Gewaltausübung voraussetzt. Unmittelbare Gewaltausübung ist der direkte Einsatz von Gewalt gegen eine konkrete Person, etwa das Niederschlagen einer Person mit einem Knüppel. Terror bedeutet durch einen Akt unmittelbarer Gewalt gegen einzelne Personen eine ganze Personengruppe in Angst zu versetzten. Ein Beispiel ist ein Überfall nachts auf offener Straße, der dafür sorgt, dass sich jeder davor fürchtet nach Sonnenuntergang noch auf die Straße zu gehen. Die Gewalt trifft nur eine einzige Person, aber mittelbar wird dadurch jeder Mensch in diesem Viertel getroffen.

Terror ist lozierende Gewalt, also Gewalt die dazu dient ein Hindernis bei der Erreichung eigener Ziele zu beseitigen. Es ist ein rational gewähltes Mittel einen Gegner unschädlich zu machen. Dies passiert bei Terror vor allem dadurch, dass man den Gegner durch das Auslösen von Angst zu einer Änderung seines Verhaltens zwingt. Der Gegner wird also nicht durch unmittelbare Gewalt ausgeschaltet, indem man ihn etwa tötet, einsperrt oder in Schach hält, sondern der Gegner ändert sein Verhalten aufgrund der bei ihm durch unmittelbare Gewaltakte gegen andere ausgelöste Angst selbst Opfer unmittelbarer Gewalt zu werden.

Terror hat für die Täter als mittelbarer Akt der Gewalt einige Vorteile gegenüber unmittelbarer Gewalt. Vor allem benötigt man für diese Art der Gewaltausübung nur relativ wenige Ressourcen, da man nicht gegen jede getroffene Person unmittelbar Gewalt einsetzen muss. Um eine Stadt in Angst und Schrecken zu versetzen braucht man keine Division von Truppen, die jede Straße und alle wichtigen Gebäude kontrollieren kann und im Zweifel dazu in der Lage ist alle Bewohner niederzuschießen, sondern es reicht eine kleine Gruppe von Gewalttätern mit einigen leichten Waffen.

Kämpfer von Boko Haram. Bild: AK Rockefeller

Dies bedeutet aber eben gerade nicht, dass nur solche nicht-staatlichen Gruppen, die wir gemeinhin als Terrororganisationen oder schlicht Terroristen bezeichnen, sich des Mittels Terror bedienen. Terror ist schon immer Teil der Gewaltmittel von Herrschern und Staaten, gerade weil es ein kosteneffizientes Mittel ist, Menschen unter Kontrolle zu halten.

Folter ist dafür ein zentrales Beispiel. Diese diente praktisch nie der Informationsgewinnung, sondern vor allem dazu Angst und Schrecken zu verbreiten. Man bringt einzelne Menschen in seine Gewalt — ob tatsächliche oder nur vermeintliche Gegner spielt dabei keine Rolle — fügt ihnen bestialisches Leid zu und sorgt dann dafür, dass die Menschen im Umfeld des Folteropfers mitbekommen, was diesem zugestoßen ist. Als warnendes Beispiel soll das Folteropfer alle anderen in Angst versetzen. In die Angst selbst solch schreckliche Qualen erleiden zu müssen. Und diese Angst soll sie davon abhalten irgendetwas gegen die Interessen des herrschenden Regimes zu unternehmen.

Zellentrakt im Altbau des Stasi-Gefängnis in Hohenschönhausen. Quelle: Wikipedia

Dabei ist entscheidend, dass die Folter bekannt wird. Folteropfer werden daher oft wieder aus dem Foltergefängnis entlassen und zu ihren Familien zurückgeschickt, damit jeder im Umfeld des Opfers erfährt was ihm zugestoßen ist. Das NS-Regime entließ immer wieder einige seiner Opfer aus den Konzentrationslagern, damit auch jeder erfuhr was einen erwartet, wenn man in ein solches gesteckt wurde (Dies gilt nicht für die Opfer der großen Vernichtungsaktionen).

Öffentliche Folter, oft verbunden mit Hinrichtung, ist eine andere Methode. Dazu gehört ebenso die römische Kreuzigung, wie auch die Folterstrafen und Hinrichtungen in Saudi Arabien heutzutage. Eine besonders perfide Methode wendeten viele Gewaltregime in Südamerika an. Sie ließen ihre Opfer spurlos verschwinden. Menschen verschwanden vom einen Moment auf den anderen und bei zahllosen Desaparecidos, wie die Opfer dieser Art von Terror genannt werden, wissen die Angehörigen bei heute nicht, was ihren Nächsten zugestoßen ist.

Grafik zur Erinnerung an die Opfer der Militärdiktaturen in Südamerika. Künstler: Carlos Latuff

Welche Furcht das Wissen darum auslöst, dass man von einem Tag auf den anderen ohne jede Spur verschwinden kann und niemand vom eigenen Schicksal erfahren wird, ist jedem verständlich. Gewaltherrscher wollen Furcht unter den Menschen erzeugen, um diese zu kontrollieren, um Macht über sie auszuüben und so das eigene Regime am Leben zu halten.

Auch in bewaffneten Konflikten wird Terror nicht nur von schwachen, asymmetrisch agierenden Akteuren eingesetzt, sondern auch von mächtigen Staaten, die über technisch fortschrittliche Mittel verfügen. Ziel ist es durch Angst die Kampfkraft des Gegners zu schwächen. Dabei nimmt man die Zivilbevölkerung ins Visier, die ein großes, schwer zu schützendes Ziel darstellt und welche die unverzichtbare Basis der feindlichen Kriegsbemühungen ist. Als Beispiel kann man die Flächenbombardements von Städten im Zweiten Weltkrieg nennen. Insbesondere die Alliierte Bombenkampagne gegen deutsche Städte hatte ausdrücklich das Ziel den Kriegswillen der Zivilbevölkerung zu brechen.

Luftangriff auf Warschau 1939. Auch die Deutsche Luftwaffe setze auf Terrorangriffe. Quelle: Bundesarchiv Bild 141–0763 / CC-BY-SA 3.0

Besonders oft wird Terror gegen asymmetrisch agierende Kriegsgegner eingesetzt. Guerillas sind nur schwer direkt zu treffen und sie sind in besonderer Weise auf die Unterstützung der Bevölkerung angewiesen. Will man die Bevölkerung davon abhalten, die Aufständischen zu unterstützen, so ist Terror ein oft gewähltes Mittel. Angst soll die Bevölkerung davon abhalten die Guerilla zu unterstützen.

Durch den Einsatz relativ begrenzter, aber brutaler Gewaltmittel, kann man die gesamte Bevölkerung, zumindest aber die Gruppe von der man glaubt, dass sie die Aufständischen unterstützt, treffen und muss nicht große Mengen an Ressourcen binden, um mit direkter Gewalt gegen diese vorzugehen. Die Sowjets versuchten dies in Afghanistan, wo sie zivile Dörfer gezielt mit Helikopter angriffen.

Aufständische in einem von den Sowjets zerstörten Dorf in Afghanistan 1986. Quelle Wikipedia.

Damit kommen wir nun zu dem was allgemein unter Terrorismus verstanden wird. Der Begriff Terrorismus beschreibt Umgangssprachlich eine sehr spezielle Erscheinungsform von Terror. Zum einen impliziert der Begriff Terrorismus, dass hier eine im Verhältnis zum Gegner kleine und über wenige Ressourcen verfügende Gruppe am Werk ist. Daher spricht man meist von einer Terrorgruppe oder Terrororganisation. Das klassische Beispiel in Deutschland hierfür ist die Rote Armee Fraktion. Diese bestand selbst zu Hochzeiten nur aus wenigen Duzend Kämpfern und war damit im Vergleich zu den zehntausenden Polizisten der Bundesrepublik sehr klein.

Neben der Größe der Tätergruppe ist die Art der direkten Gewaltausübung ebenso impliziter Bestandteil des Begriffs Terrorismus. Der Terroranschlag ist ein örtlich und zeitlich begrenzter Akt der Gewalt, der überfallartig ausgeführt wird. Anschläge sind oft nur einzelne Explosionen und dauern damit nur Bruchteile von Sekunden. Die längsten Anschläge dauerten wenige Tage, wobei dann wie in Mumbai der Übergang zwischen Anschlag und Geiselnahme oft fließend ist.

Immer wieder greifen Gruppen, die Anschläge verüben, auch zu Geiselnahmen, um ihre Ziele zu erreichen. Bei diesen wird aber primär versucht das Leben der Geiseln als Faustpfand zu nutzen und dem Gegner so Zugeständnisse abzupressen. Folter und Töten der Geiseln kann dann wieder als Terror genutzt werden, sollten die gestellten Forderungen nicht erfüllt werden.

Logo der Terrorgruppe Rote Armee Fraktion, die sowohl auf Entführungen als auch auf Anschläge setzte, um ihre politischen Ansichten durchzusetzen. Quelle: Wikipedia.

Die Opfer von Anschlägen sind sich der unmittelbaren Bedrohung bis zum Beginn der Gewaltausübung in der Regel nicht bewusst. Terroristen wollen ihre Opfer überraschen, da die Opfer dadurch leichtere Ziele sind. Zudem verbreitet sich die Angst vor einem Anschlag genau deshalb, weil es sich um eine unsichtbare und diffuse Bedrohung handelt, die einen theoretisch jederzeit unvermittelt treffen kann. Dabei macht es wenig unterschied ob eine sehr spezifische Gruppe, wie etwa wichtige staatliche Funktionäre, oder die gesamte Bevölkerung Zielgruppe der Terroristen ist. Die Angst wird sich in der bedrohten Gruppe verbreiten und soll die Handlungen dieser Gruppe beeinflussen.

Zusammengefasst kann man sagen: Mit dem Begriff Terrorismus werden im Allgemeinen kleine Gruppen mit relativ beschränkten Ressourcen assoziiert, die versuchen durch örtlich und zeitlich begrenzte Akte direkter Gewalt, Anschläge genannt, Angst bei ihrem selbstgewählten Gegner zu verursachen und so eine Verhaltensänderung des Gegners herbeizuführen. Es handelt sich also um eine sehr spezielle Erscheinungsform des Gesamtphänomens Terror.

Wie schwierig dieser Begriff ist, sah man am Fall des sogenannten Islamischen Staats. Anfangs auch einfach als Terrororganisation bezeichnet, wohl weil man das bei ziemlich allen gewalttätigen Islamisten so gewohnt war, kämpfte der IS im offenen Feld, eroberte bedeutende Gebiete, schuf eine eigene Bürokratie in seinem Machtbereich und akquirierte erhebliche Ressourcen. Als Terrororganisation konnte man ihn beim besten Willen nicht mehr bezeichnen, also behalf man sich mit der Wortneuschöpfung der „Terror-Miliz“. Ein Begriff der noch schwammiger und unklarer ist als der der Terrororganisation oder des Terroristen.

Kommen wir nun zu Assad zurück. Nachdem wir geklärt haben was Terror istund was unter dem Begriff Terrorismus verstanden wird, so ist klar wie absurd es ist in Assad einen Verbündeten gegen den Terror sehen zu wollen. Denn Assad setzt massiv auf Terror, um sein Regime zu erhalten. Im Gefängnis Sednaja wird Folter systematisch Eingesetzt, um die Gefangenen zu brechen, nicht um Informationen aus ihnen heraus zu zwingen. Ein bedeutender Anteil wird nach dieser grausamen Behandlung wieder freigelassen und so wird dafür gesorgt, dass allgemein bekannt ist, welche Schrecklichen Dinge Gegnern des Regimes zustoßen. Hier wird Angst verbreitet, um die Bevölkerung zu kontrollieren. Das ist klassischer Terror.

Karte des Chemiewaffenagriffs von Gouta im Jahr 2013. Quelle. Wikipedia

Die gezielten Angriffe auf Zivilisten in Rebellengebiet sind eine weitere Art des Terrors. Explizit werden Einrichtungen des alltäglichen Lebens bombardiert. Menschen werden in den Wartschlangen von Bäckereien angegriffen, damit jeder, der sich in eine solche Wartschlange stellt Angst um sein Leben haben muss. Tätigkeiten des Alltags sollen so mit ständiger Angst verbunden werden und der so erzeugte psychische Druck soll den Gegner brechen oder ihn zumindest in seinem normalen Verhalten stark einschränken. Wiederum klassischer Terror.

Der Einsatz von Chemiewaffen ist ebenso eine Art des Terrors zu der Assad mindestens einmal gegriffen hat. Giftgas ist im wahrsten Sinne des Wortes eine schreckliche Waffe. Sie ist nicht besonders effektiv und relativ schwer einzusetzen — die Fassbomben des Regimes sind billiger und töten deutlich mehr Menschen — aber Chemiewaffen töten ihre Opfer auf besonders grausame Weise und Zivilisten sind ihnen schutzlos ausgeliefert.

Gasmasken sind nicht vorhanden und man kann sich vor Giftgas nicht in tiefen Kellern verstecken, wie vor explosiven Bomben. Man ist dem Zufall ausgeliefert, ob man ein Opfer des Kampfgases wird. Die Bilder der Opfer sind bekannt. Der Tod und auch die Verletzungen durch Giftgas sind qualvoll. Jeder, der Bilder der Toten, Sterbenden und Verletzten sieht bekommt Angst selbst Opfer eines solchen Angriffs zu werden. Giftgas ist eine Terrorwaffe.

Dies sind nur drei Beispiele dafür, dass Assad gezielt auf Terror setzt, um seine Ziele zu erreichen. Er begeht dabei keine Anschläge, wie wir es von Gruppen kennen, die wir als Terroristen bezeichnen. Assad befehligt einen Terrorstaat und daher fällt er nicht unter unseren allgemein gebräuchlichen Begriff des Terroristen. Aber Assad setzt Terror gegen alle seine Feinde ein. Er tötet und foltert auf grausame Weiße, um Angst und Schrecken zu verbreiten und so seine Gegner letztlich zur Unterwerfung zu zwingen. Jemanden wie Assad als Verbündeten gegen den Terror zu sehen ist absurd.

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