JAS-39 Gripen der tschechischen Luftwaffe über der Kurische Nehrung. Im Rahmen des sogenannten “Air Policing” übernimmt die NATO die Sicherung des Baltischen Luftraumes, da diese Staaten über keine dafür geeigneten Flugzeuge verfügen. Bild: Litauisches Verteidigungsministerium.

Auf verlorenem Posten?

Die NATO im Baltikum

Kai Schmidt
Das Sonar
Published in
4 min readNov 12, 2016

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Von KAI SCHMIDT

Der Krieg in der Ukraine hat einen militärischen Angriff Russlands wieder in das Europäische Sicherheitsdenken eingeführt. Besonders anfällig sind die baltischen NATO-Mitglieder Estland, Lettland und Litauen. Diese verfügen weder über besonders große noch besonders gut ausgestattete Armeen und geographisch sind sie nicht nur vom Rest der NATO entfernt und durch die russische Enklave Kaliningrad abgeschnitten, sondern sie sind flach und stellen einem vorrückenden Gegner kaum Hindernisse in den Weg. Eine Studie des Think-Tanks RAND-Corporation geht davon aus, dass russische Truppen höchstens 60 Stunden benötigen würden, um Tallin und Riga zu erreichen.

Die NATO könnte darauf nur mit einer kostspieligen Gegenoffensive antworten, oder auf eine Rückeroberung der Gebiete verzichten. Beide Optionen sind schlecht.

Die Autoren der Studie gehen davon aus, dass die NATO sieben Brigaden, davon drei Panzerbrigaden, benötigen würde, um das Baltikum erfolgreich zu verteidigen. Als Reaktion auf Russlands aggressives Verhalten und um die Osteuropäischen Mitglieder der NATO zu beruhigen verlegt die NATO Truppen nach Polen und in die Baltischen Staaten, alles in allem etwa eine Brigade, die vor allem das schnelle nachrücken weiterer Kräfte ermöglichen soll.

Litauische Spezialkräfte während einer Übung mit US-hubschraubern. Bild: US-Army

Hinzu kommt die Very High Readiness Joint Task Force, in den Medien oft als „Speerspitze“ bezeichnet. Diese soll im Ernstfall innerhalb weniger Tage verlegt werden können, um so die Truppen um eine weitere Brigade aufzustocken. Darauf soll dann der Rest der NATO Response Force folgen, die innerhalb von 30 Tagen 40.000 Mann zur Verfügung stellen soll.

Fraglich ist dabei ob genügend Truppen schnell genug verlegt werden können. Die gesamte NATO Response Force würde die benötigten 7 Brigaden stellen können, benötigt aber einen Monat bis sie vollständig verlegt ist. Deutlich länger als 60 Stunden. Die Maßnahmen der NATO bleiben also deutlich hinter dem zurück was für eine zuverlässige Verteidigung des Baltikums notwendig wäre. Zum einen spielen Kosten dabei eine Rolle, zum anderen aber wäre es völlig rational wenn Russland in 40.000 NATO Soldaten an seiner Grenze eine Bedrohung seiner Sicherheit sähe. Es gibt also gute Gründe die dagegen sprechen so viele Soldaten dauerhaft im Baltikum zu stationieren.

Was bringt aber ein kleineres Engagement wie es nun beschlossen wurde? Einerseits werden damit die östlichen NATO Partner zumindest etwas beruhigt und man zeigt, dass ihre Bedenken gehört werden. Würde man nichts tun fühlten sich diese zurecht im Stich gelassen und das Versprechen der kollektiven Verteidigung würde dadurch ernsten Schaden nehmen. Zum anderen haben auch wenige NATO Soldaten einen gewissen Abschreckungswert.

Panzerhaubitze 2000 der Bundeswehr während der Übung Sabre Strike 2015. Bild: US-Army Europe

Russland könnte das Baltikum dennoch erobern, aber dabei würde es auch NATO-Soldaten angreifen und dies würde die gesamte Allianz in den Konflikt hineinziehen. Eine solche Eskalation käme Russland weitaus teurer als ein offener Krieg mit der geschwächten Ukraine. Die NATO-Soldaten sind ein Stolperdraht, der das Versprechen und die Drohung der kollektiven Verteidigung garantiert. Dafür reicht auch ein kleines Kontingent an Soldaten.

Doch sind die Soldaten nicht nur dazu im Baltikum, um einen verlorenen Posten zu besetzen, ihre Fähigkeiten werden in einem anderen Szenario tatsächlich gebraucht. Russland hat die Krim annektiert und die Ostukraine destabilisiert ohne den Einsatz konventioneller Truppen. Die Strategie, welche als Hybride Kriegsführung bezeichnet wird, setze ganz darauf unterhalb der Schwelle eines konventionellen Krieges zu bleiben, um eben nicht die Kosten und Risiken einer solchen Eskalation tragen zu müssen. Unmarkierte Bewaffnete tauchten mehr oder weniger aus dem Nichts auf und übernahmen sichtbar, aber stillschweigend die Krim. Die ukrainischen Sicherheitskräfte waren nicht in der Lage dem etwas entgegenzusetzen.

Russische Kämpfer ohne Hoheitszeichen während der Annexion der Krim. Bild: Voice of America

Die baltischen Staaten erscheinen mit ihren kleinen, wenn auch weitaus schlagkräftigeren, Armeen und ihrem hohen Anteil an Bewohnern mit russischer Abstammung und russischem Pass anfällig für einen solchen hybriden Angriff. Zudem könnte dieser, unterhalb der Schwelle zum konventionellen Krieg gehalten, ein Eingreifen der NATO zumindest verzögern, wenn nicht vermeiden.

In genau solch einem Fall können NATO-Kräfte den Sicherheitskräften der baltischen Staaten beistehen und ein koordiniertes Vorgehen, auch mit Waffengewalt, gegen irreguläre Truppen ermöglichen. Insbesondere die Sicherung der Grenzen, um das Einsickern von Nachschub und Kämpfern zu unterbinden, könnte von NATO-Kräften übernommen werden. Nachrückende Kräfte könnten den heimischen Truppen den Rücken freihalten beim Vorgehen gegen die irregulären Angreifer.

Kanadische und amerikanische Soldaten bei einer Übung in den baltischen Wäldern. Bild: US-Army

Russland hat die Ukraine auch attackiert da abzusehen war, dass diese gegen eine solche Aktion keine Gegenwehr leisten würde können. Die NATO-Truppen sorgen dafür, dass im Baltikum nicht mit der Unfähigkeit und Untätigkeit der heimischen Sicherheitskräfte zu rechnen ist. Die NATO steht im Baltikum also nicht nur auf verlorenem Posten. Sie ermöglicht eine effektive Verteidigung gegen einen hybriden Angriff.

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